«Ode to Billie Joe» von Bobbie Gentry Songs und ihre Geschichten
Quasi aus dem Nichts landete Bobbie Gentry 1967 mit «Ode to Billie Joe» ihren grössten Hit. Die Singer/Songwriterin verdrängte die Beatles von Platz eins in den US-Single-Charts. Mit 40 verschwand sie aus der Öffentlichkeit.
Roberta Lee Streeter, so der bürgerliche Name von Bobbie Gentry, war ein musikalisches Wunderkind. Aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen in Chickasaw County, Mississippi auf der Farm ihrer Grosseltern komponierte sie mit 7 Jahren ihren ersten Song und brachte sich selber Gitarre, Banjo, Klavier und Vibraphone bei. Durch den Verkauf einer Milchkuh sorgte die Grossmutter für die finanzielle Unterstützung.
Roberta Lee Streeter studierte Philosophie in L.A. und sammelte Bühnenerfahrung seit sie als 13-Jährige nach Kalifornien zog. Hier legte sie sich das Pseudonym Bobbie Gentry zu – in Anlehnung an den Film «Ruby Gentry» (1952) von King Vidor mit Jennifer Jones in der Rolle als selbstbewusste junge Frau, die weder die Diskriminierung wegen ihrer Herkunft noch aufgrund ihres Geschlechts akzeptiert.
Platz eins in den US-Charts
1967 erhielt Bobbie Gentry einen Schallplattenvertrag. Bereits ihre erste Single, die mit karger Gitarrenbegleitung, subtilen Streichern und heiserer Bluestimme vorgetragene «Ode to Billie Joe», wurde zum Bestseller. Der Song, welcher der 25-jährigen Sängerin u.a. drei Grammys einbrachte, verdrängte «All you need is love» der Beatles von Platz eins in den US-Charts und hielt sich vier Wochen an der Spitze. Das Lied war allgegenwärtig, als Sound, der das Ende des «Summer of Love» ankündigte.
«Ode to Billie Joe» handelt von einem Mädchen, das beim Abendessen mit ihrer Familie ganz beiläufig vom Selbstmord ihres – geheimen -– Freundes erfährt.
Weil die Tragödie neben alltäglichen Routinen erwähnt wird, stellt sich die Stimmung um so einprägsamer dar:
It was the third of June, another sleepy, dusty, delta day
I was out choppin`cotton and my brother was balin`hay
And at dinner time we stopped and walked back to the house to eat
And Mama hollered out the back door «Y`all remember to wipe your
feet»
Then she said: «I got some news this morning` from Choctaw Ridge
Today Billie Joe McAllister jumped off the Tallahatchie Bridge»
Es war der 3. Juni, einer dieser schläfrigen, staubigen Tage im Delta
Ich war draussen am Baumwolleschneiden und mein Bruder machte Heuballen
Und als es Zeit fürs Abendessen war, hörten wir auf und gingen zurückzum Haus, um zu essen
Und Mama rief zur Hintertür hinaus: «Denkt bitte alle daran, euch die Füsse sauberzumachen! »
Und dann sagte sie: «Ich hab`diesen Morgen Neuigkeiten vom Chactaw Grat gehört Billie Joe Allister hat sich heute von der Tallahatchie Brücke gestürzt»
«Ode To Billie Joe» schildert den Selbstmord des Billie Joe MacAllister, aber auch die empathielosen Reaktionen darauf:
And papa said to mama, as he passed around the blackeyed peas
Well, Billy Joe never had a lick of sense;
Und Papa sagte zu Mama, während er die Bohnen herumreichte
«Nun, Billie Joe hatte nie auch nur einen Funken Verstand»
Trotz der fiktiven Geschichte rankt sich bis heute ein Geheimnis um Billie Joe McAllister. Kurz vor seinem Todessprung in den Mississippi River sei er mit einer jungen Frau auf der Brücke gesehen worden, und sie hätten einen Gegenstand in den Fluss geworfen:
That nice young preacher, Brother Taylor, dropped by today
Said he’d be pleased to have dinner on Sunday, oh, by the way
He said he saw a girl that looked a lot like you up on Choctaw Ridge
And she and Billie Joe was throwing somethin› off the Tallahatchie Bridge
Dieser nette junge Prediger, Bruder Taylor, ist heute vorbeigekommen
Er hat gesagt, er würde sich geehrt fühlen, am Sonntag zum Abendessen zu kommen,
oh, übrigens er hat gesagt, er hätte ein Mädchen oben am Choctaw Grat gesehen, das sehr nach dir ausgesehen hätte
und sie und Billie Joe hätten etwas von der Tallahatchie Brücke geworfen
Die Hörerinnen und Hörer wollten wissen: Was für einen Gegenstand? Waren es Blumen? Ein Verlobungsring? Ein Einberufungsbefehl? LSD-Trips? Oder ein abgetriebener Fötus? Keine Frage wurde Bobbie Gentry häufiger gestellt. Sie wurde nie beantwortet. Und warum sprang Billie Joe? Aus Trauer um das tote Baby? Oder, so eine andere, verbreitete Version, weil er mit seiner Homosexualität nicht klarkam? Der Song bleibt rätselhaft. 1976 wurde die Geschichte verfilmt.
Der Sprung animierte zur Nachahmung. Die Holzbrücke war jedoch nur 6 Meter hoch, so dass ein tödlicher Ausgang eher unwahrscheinlich war, ausser bei Hochwasser.
Um weitere Versuche zu verhindern, verhängten die Behörden eine Geldstrafe von 100 Dollar. Nach einem Brandanschlag durch Vandalen stürzte die Original-Tallahatchie Brücke 1972 ein. Sie wurde später durch eine neue ersetzt.
Song für die Frauenbewegung
Bobbie Gentry nahm von 1967 bis 1971 sieben Studio-Alben auf, eines davon mit dem Country-Star Glen Campbell. 1970 erschien ihr letzter, kleinerer Hit «Fancy», die Geschichte eines 17-jährigen Mädchens, das von seiner verzweifelten, vom Vater verlassenen Mutter, mit dem Rat «be nice to gentlemen» und einem fancy dress (verrückten Kleid) ausgestattet in die Stadt geschickt wird, um Geld zu verdienen. Auch kein gängiges Pop-Thema in jener Zeit. «Das Lied ist meine stärkste Aussage zur Frauenbewegung, wenn man genau hinhört», erklärte Gentry in einem Interview. «Ich bin voll und ganz einverstanden mit der Bewegung und all den wichtigen Themen, für die sie steht – Gleichheit, gleicher Lohn, Kinderkrippen und Recht auf Abtreibung.»
Bobbie Gentry war kein One-Hit-Wonder, wie sie manchmal aus heutiger Sichtweise herablassend beschrieben wird. Sie nahm den Erfolg von «Ode to Billie Joe» an, versuchte sich aber vom Hillbilly-Image, das ihr anhaftete, zu befreien. Die Singer/Songwriterin fühlte sich in Country, Soul und Pop gleichermassen zu Hause.
Rückzug aus der Öffentlichkeit
Sie war die erste weibliche Gastgeberin einer Varietéshow bei der englischen BBC (später erhielt sie in ihrer Heimat eine eigene TV-Sendung bei CBS).
Bobbie Gentrys letzter Auftritt vor Publikum datiert aus dem Jahr 1982. Danach verschwand sie aus dem Rampenlicht und wurde nie wieder öffentlich gesichtet, nie wieder fotografiert. Berichten zufolge lebt die heute 78-Jährige zurückgezogen in der Nähe von Memphis. Trotz ihrer Abwesenheit hält Gentrys Einfluss weiter an. Junge Musikerinnen, Songschreiber und Produzentinnen nennen sie als wichtige Inspirationsquelle.
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Urs Musfeld alias Musi
Urs Musfeld alias MUSI, Jahrgang 1952, war während 39 Jahren Musikredaktor bei Schweizer Radio SRF (DRS 2, DRS 3, DRS Virus und SRF 3) und dabei hauptsächlich für die Sendung «Sounds!» verantwortlich. Seine Neugier für Musik ausserhalb des Mainstreams ist auch nach Beendigung der Radio-Laufbahn nicht nur Beruf, sondern Berufung. Auf seiner Website «MUSI-C» gibt’s wöchentlich Musik entdecken ohne Scheuklappen zu entdecken: https://www.musi-c.ch/