© ABC-Paramount Records, Inc.

«Eve of destruction» von Barry McGuire Songs und ihre Geschichten

Der Name Barry McGuire bleibt für immer mit «Eve of destruction», seinem einzigen Hit als Solo-Künstler, verbunden. Der apokalyptische Protestsong aus dem Jahr 1965 hat nichts von seiner Aktualität eingebüsst.

Von Urs Musfeld

Entstanden ist der Song unter dem Eindruck einer polarisierten Welt mit militärischen Bündnissen, die sich feindlich gegenüberstanden, immer in Gefahr, dass der pessimistische Text Realität werden könnte. Zu Zeiten des Vietnam-Kriegs gehört musikalischer Protest zur Popkultur. Musiker wie Bob Dylan, Pete Seeger, Country Joe McDonald oder auch Jimi Hendrix steuern den Soundtrack der Anti-Kriegsbewegung bei.

Der Krieg wird nicht nur mit Maschinengewehren und Napalm geführt. Über die Lautsprecher der Musikanlagen liefern sich Kriegsgegner und -befürworter in der US-Gesellschaft einen Schlagabtausch.

Die musikalische Allzweckwaffe der Kriegsgegner ist der Evergreen «Where have all the flowers gone?», in dem Folksänger Pete Seeger die Frage stellt: «Wo sind all die jungen Männer hin?». Die Antwort folgt prompt: Sie wurden Soldaten – und liegen nun in ihren Gräbern. Kriegsbegeisterte berauschen sich dagegen an der Schnulze «The ballad of the Green Berets» des Elitesoldaten Barry Sadler. Aber natürlich endet das Lied traurig. Ein Green Beret stirbt den Heldentod – selbstverständlich bei der Verteidigung der Schwachen.

Ein Lied, wie ein Gebet zu Gott

Inmitten des Kalten Kriegs, dem allgegenwärtigen Hass, der Gefechte in Vietnam und der Frage, warum Menschen überhaupt sinnlos töten, schreibt der 19-jährige Musiker P.F. Sloan «Eve of destruction». Sloan, wohnhaft in Los Angeles, gilt als Riesentalent und gefragter Songwriter, beeinflusst von Woody Guthrie und Bob Dylan. «Für mich war dieses Lied wie ein Gebet zu Gott, verbunden mit der Hoffnung, Antworten zu bekommen», notiert der Sohn jüdischer Eltern später auf seiner Facebook-Seite.

Sloan zeigt den Song seinem Produzenten Lou Adler, der zur selben Zeit mit Barry McGuire, von 1962 bis 1965 Lead-Sänger und Gitarrist bei der Folk-Band New Christy Minstrels, an dessen Solo-Debüt-Album arbeitet. Adler kann sich das Lied als B-Seite der ersten Single vorstellen.

Unterstützt von Sessionmusikern nimmt McGuire «Eve of destruction» in den frühen Morgenstunden in kurzer Zeit als vierten Titel auf – mit heiserer und müder Stimme, den Text ab Blatt lesend und nicht hundertprozentig sauber gesungen. Der Song besteht aus vier Akkorden und wenigen Mundharmonika-Einsätzen. Weil die Studiozeit abgelaufen ist, liegt er lediglich als Rohfassung vor.

Ohne informiert zu werden, gelangt eine Demo-Kopie zu einer Radiostation in L.A. und wird in der unfertigen Version ausgestrahlt. «Eve of destruction» («Am Vorabend der Zerstörung») trifft den Nerv der Zeit:

The Eastern world, it is explodin›
Violence flarin›, bullets loadin›
You’re old enough to kill but not for votin›
You don’t believe in war, but what’s that gun you’re totin›?
And even the Jordan river has bodies floatin›

Die östliche Welt, ist am Explodieren
Gewalt flammt auf, Kugeln werden geladen
Du bist alt genug um zu töten, aber nicht fürs Wählen
Du glaubst nicht an den Krieg, aber wofür ist die Waffe, die du trägst?

Und selbst auf dem Jordan treiben schon Leichen

Angesprochen wird der beginnende Vietnamkrieg, speziell die Tatsache, dass Mitte der 1960er-Jahre in den Vereinigten Staaten 18-Jährige zwar zum Militär einberufen werden und alt genug sind zum Töten, das Wahlrecht ihnen aber verwehrt bleibt. Das Mindestalter beträgt damals 21 und wird erst 1971 auf 18 gesenkt. 

Der Grenzfluss Jordan verweist auf den Nahostkonflikt, respektiv den War Over Water (1964-1967), den Krieg um Wasser zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn.

Don’t you understand what I’m trying to say
Can’t you feel the fears I’m feeling today?
If the button is pushed, there’s no runnin› away
There’ll be no one to save with the world in a grave
Take a look around you boy, it’s bound to scare you, boy

Verstehst du nicht, was ich zu sagen versuche?
Kannst du nicht die Ängste fühlen, die ich heute fühle?
Wenn der Knopf gedrückt ist, gibt es kein Entkommen
Du wirst niemanden retten können, wenn die Welt im Grab liegt
Sieh dich um Junge, es muss dich doch erschrecken, Junge

Auch wenn es sich um einen Protestsong aus den 1960er-Jahren handelt, bleiben die Zeilen über die nukleare Bedrohung aktuell.

And think of all the hate there is in Red China
Then take a look around to Selma, Alabama
Ah, you may leave here for four days in space
But when you return, it’s the same old place
The poundin› of the drums, the pride and disgrace
You can bury your dead, but don’t leave a trace
Hate your next door neighbor but don’t forget to say grace

Denk an all den Hass der in Rot-China herrscht
Dann schau dich um nach Selma, Alabama,
Ah, du könntest hier weg, für vier Tage ins Weltall
Aber wenn du zurückkommst, ist es derselbe alte Platz
Das schlagen der Trommeln, der Stolz und die Schande
Du kannst deine Toten begraben, aber hinterlass keine Spuren
Hasse deinen Nachbarn, aber vergiss nicht ein Dankesgebet zu sprechen

Der Themenbogen ist weit gespannt: P.F. Sloan betrachtet die Zustände in Rotchina als eine grosse Gefahr, erwähnt die Rolle der US-Stadt Selam in Alabama im Kampf gegen die Rassentrennung und für die Rechte von Afroamerikaner*innen und sieht auch nach dem viertägigen All-Aufenthalt der amerikanischen Gemini-4-Astronauten die Erde weiterhin den gleichen Problemen ausgesetzt. 

Und dazwischen die wiederkehrende Strophe, die auf die verzweifelte, resigniert-zornige Endzeitstimmung, die den gesamten Song durchzieht, hinweist:

And you tell me
Over and over and over and over again, my friend
You don’t believe we’re on the eve of destruction
No no, you don’t believe we’re on the eve of destruction

Und sag mir immer und immer und immer und immer wieder mein Freund
Ah, du glaubst nicht, dass wir kurz vor der Zerstörung stehen
, nein, nein, nein, du glaubst nicht, dass wir kurz vor der Zerstörung stehen

Wichtige Protest-Hymne

Die von Barry McGuire mit markanter und rauher Stimme vorgetragene Single «Eve of destruction» erreicht im September 1965 Platz eins in den USA, verkauft sich weltweit sechs Millionen mal und wird in der Folge zu einer der wichtigsten Protest-Hymnen der Love & Peace-Generation. Und dies, obwohl viele der patriotischen US-Radiosender den Song boykottieren.

Als Konsequenz des grossen Erfolgs legt das FBI sogar eine Akte über den Sänger an. Der Songschreiber P.F. Sloan realisiert erst jetzt, dass das Lied als Angriff auf das System aufgefasst wird. Er wird als Opfer des Kommunismus dargestellt und von den Medien aus allen TV-Shows verbannt.

Der heute 86-jährige Barry McGuire wendet sich ab den 1970er-Jahren der christlichen Popmusik zu und macht sich unter Fans dieses Genres einen klangvollen Namen. P.F. Sloan stirbt 2015 im Alter von 70 Jahren.


Urs Musfeld alias Musi

Portrait von Urs Musfeld

© Claudia Herzog

Urs Musfeld alias MUSI, Jahrgang 1952, war während 39 Jahren Musikredaktor bei Schweizer Radio SRF (DRS 2, DRS 3, DRS Virus und SRF 3) und dabei hauptsächlich für die Sendung «Sounds!» verantwortlich. Seine Neugier für Musik ausserhalb des Mainstreams ist auch nach Beendigung der Radio-Laufbahn nicht nur Beruf, sondern Berufung.

Auf seiner Website «MUSI-C» gibt’s wöchentlich Musik entdecken ohne Scheuklappen zu entdecken: https://www.musi-c.ch/

Beitrag vom 30.04.2022
  • Elisabeth Goetzmann sagt:

    Danke für diesen lesenswerten Artikel! Ich habe gerade nach Jahr(Zehnt)en meine Barry-McGuire-LP’s wieder gehört und Musik und Texte fand ich sofort wieder toll! Dass dieser Song solch eine Geschichte hat, war mir nicht bewusst. Ich freue mich, Ihren Artikel gefunden zu haben; “hab’s gern gelesen” 😊.

  • Brigitte Zanatta sagt:

    Interessant, ich kannte nur seit 1965 den Song, der uns damals sehr beeindruckt hatte. Hab ihn schon mehrmals auf fb gepostet, ohne gross auf ein grosses Echo gestossen zu sein. Die New Christy Minstrels waren auch ein Begriff in den 60ern. Danke, habs gern gelesen.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Das könnte sie auch interessieren

Musik

«Il est cinq heures, Paris s’éveille» von Jacques Dutronc

Jacques Dutronc wird mit «Il est cinq heures, Paris s’éveille» über Frankreich hinaus bekannt. Mit einer Mischung aus Charme, Coolness und Schüchternheit wird er vom Teenie-Idol zum Grandseigneur des Pop.

Musik

«Sign o’ the times» von Prince

Prince, war einer der erfolgreichsten Popmusiker der Welt. Bereits mit 17 begann er seine Karriere – und wurde mit seinem androgynen Auftreten, seiner Sexyness und seiner Mischung aus schwarzen und weissen Musiktraditionen zum Idol. Mit dem Doppelalbum «1999» gelang ihm 1982 der Durchbruch.

Musik

«Winter» von Tori Amos

Tori Amos debütierte in den 1990ern mit Songs aus weiblicher Perspektive, wurde zur feministischen Ikone und erfand sich immer wieder neu. Zu ihren bekanntesten und beliebtesten Liedern zählen «Cornflake girl», «Winter» oder «Professional widow».

Musik

Alt, aber kein bisschen leise

Was beutet Älterwerden im Schweizer Rock- und Pop-Zirkus? Zwei junge Musiker erkundigten sich bei jenen, die es wissen müssen: den Pionieren der Branche. Entstanden ist daraus eine berührende Fernsehdokumentation.