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«Langsames Reisen eröffnet neue Perspektiven»

Der britische Schauspieler Timothy Spall, vielen bekannt aus den Harry-Potter-Verfilmungen, spricht im Interview über seine Rolle als 90-Jähriger im Film «The Last Bus» – und übers Reisen.

Text: Fabian Rottmeier

In einer Zeit, in der für viele Effizienz und Schnelligkeit das Ziel sind, fallen alte Menschen wie Tom Harper aus dem Rahmen. Erst recht, wenn sie so ausgefallene Pläne haben wie der Hauptprotagonist im neuen britischen Film «The Last Bus». Tom will ganz Grossbritannien durchqueren, um die Asche seiner Frau zu verstreuen. Er reist nicht etwa per Auto oder Flugzeug, sondern nimmt ausschliesslich in öffentlichen Bussen Platz. Und zwar die ganzen 1348 Kilometer von John O’Groats im Nordosten Schottlands bis nach Land’s End bei Cornwall im Südwesten Englands. Auf seiner Reise erwarten ihn viele Überraschungen (nicht nur angenehme). Es ist aber auch eine Reise durch seine Vergangenheit.

Der britische Schauspieler Timothy Spall spielt die Hauptrolle. Der 64-Jährige ist seit 43 Jahren am Fernsehen, im Kino, aber auch auf britischen Theaterbühnen zu sehen. Die bekanntesten Filmauftritte verdankt er den Harry-Potter-Verfilmungen, in denen er als Wurmschwanz zu sehen ist. Zu den weiteren bekannten Filmen mit Timothy Spall gehören «The King’s Speech», «Mr. Turner», «Alice In Wonderland» und «Last Samurai». 1999 verlieh im die britische Königin den Ritterorden «Officer of the Order of the British Empire».

Die Zeitlupe konnte sich anlässlich der Filmaufführung am Zurich Film Festival 2021 mit dem Londoner im Hotel Baur au Lac unterhalten.


Wie würden Sie den Inhalt von «The Last Bus» ganz kurz zusammenfassen?
Timothy Spall: Die Geschichte handelt von Liebe, Tragödie, Verlust, poetischer Weisheit und einer unerledigten Sache.

Sie haben jahrzehntelange Erfahrung als Schauspieler, doch die Rolle des Tom war auch für Sie etwas Neues. Wie gingen Sie die Aufgabe an, einen 90 Jahre alten Mann zu verkörpern? 
Die beste Schauspielerei ist, wenn man als Zuschauer nicht realisiert, dass jemand spielt. Das Publikum sollte nicht vom Schauspieler überzeugt werden, sondern vom Charakter der Figur. Um dies zu erreichen, muss man seine Vorstellungskraft benutzen. Man versucht zu verstehen, wie das Innenleben des Protagonisten aussieht, was seine Beweggründe sind, seine Ängste und Sorgen. Und, wie all dies sein Leben geprägt hat, nicht nur psychisch, sondern auch physisch. 

Das Leben hinterlässt auch am Körper seine Spuren …
Ich würde sogar noch weitergehen: Auch die Schwerkraft prägt den Menschen im Laufe der Zeit … Der Geist altert bekanntlich nicht, der Körper jedoch schon. Ich habe den Eindruck, dass der Geist bei vielen sogar stärker wird im Alter. Manchmal sogar durch eine Krankheit. Wie im Fall des Mannes, den ich im Film spiele. Er ist schwerkrank und gleichzeitig fest entschlossen und innerlich stark. Er trägt einen ausgeprägten moralischen Kompass in sich und muss diese letzte Reise angehen, um seinen Seelenfrieden zu finden. Gleichzeitig ist er sich seiner körperlichen Limiten und seiner Sterblichkeit sehr bewusst. Ihn umgibt eine heroische Mischung aus Mut und Entschlossenheit, obwohl er ein ganz gewöhnlicher alter Mann ist. 

Schauspieler Timothy Spall wartet auf seinen nächsten Bus in «The Last Bus».
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War es schwierig, sich beim Schauspiel nicht über Tom lustig zu machen?
In erster Linie hoffe ich, dass mir dies gelungen ist. Ich wollte diese oben erwähnte Ausstrahlung zur Geltung bringen. Man muss aber ehrlicherweise auch sagen, dass der Gang von älteren Menschen manchmal witzige Züge annimmt. Vor allem, wenn sie gezwungen sind, sich zu beeilen. Dann wirds definitiv komödiantisch. Das merke ich auch an mir selbst bereits. Meine Absicht, auf den Bus zu rennen, fühlt sich beim Versuch manchmal langsamer an, als wenn ich im gewohnten Tempo weitergegangen wäre. Der britische Regisseur Mike Leigh ist ein Meister der unbeabsichtigten Komik im Leben. Der britische Humor ist seit Jahrhunderten traditionell geprägt von dieser Mischung aus Anteilnahme und Skurrilität. Man findet dies auch in Shakespeares Werken. Situationen sind manchmal weder lustig noch traurig, sondern beides gleichzeitig. Es gibt da auch diesen schönen Ausdruck Bathos, der umschreibt, wie etwas Trauriges durch einen Vergleich unabsichtlich lustig wird. (Anm. d. Red.: Wikipedia führt dazu folgendes Beispiel auf: «Die Explosion zerstörte alle Häuser auf der anderen Strassenseite und meinen Briefkasten.»). Das Leben ist voller Situationen, in denen dies geschieht. Etwa, wenn sie zu Tragischem etwas Unangebrachtes sagen. Auch Monty Python haben diese Kunst hervorragend beherrscht.

Haben Sie auch Themen wie etwa die Bewahrung der Würde ihres Protagonisten vorab mit Regisseur Gillies MacKinnon besprochen?
Nicht gezielt, nein, denn dieses Thema ist Teil des Drehbuches. Man bespricht vieles miteinander beim Dreh, aber schlussendlich ist Filmemachen immer noch etwas Praktisches. Man muss es umsetzen. Uns war die Tiefe des Drehbuchs sehr wohl bewusst. Die Hauptfigur sagt nicht viel, aber ihre Vergangenheit entfaltet sich im Verlaufe der langen Busreise. Ganz abgesehen davon halte ich Tom für sehr würdevoll. Er hilft sogar einem arroganten Typen, dessen Auto er am Strassenrand wieder zum Laufen zu bringen. Er geht dazwischen, als eine Frau im Bus rassistisch beleidigt wird. Und mit Würde hat auch sein letztes Ziel zu tun: die Überreste seiner Frau zu verstreuen am Ort der grössten Tragödie ihres Lebens, dem Verlust eines Kindes. Er muss es für sie tun, aber auch für sich selbst. Ein tiefer Akt der Liebe und eine wichtige Odyssee.

«Es gibt nichts Besseres als Wasser, um seiner Alltagsroutine zu entfliehen.»

Weshalb berühren uns solche Geschichten, sobald wir nur schon im Filmbeschrieb davon lesen?
Dazu kann ich eine Anekdote erzählen: Gillies MacKinnon hat mir kürzlich per Mail geschrieben: «Meine Güte, wir haben einen Tränendrücker gemacht! Ich hatte ja keine Ahnung …» Unsere Absicht war ja lediglich, die Geschichte dieses Mannes aus der Retrospektive zu erzählen. Nie hätte ich das Drehbuch beim Lesen als sentimental empfunden. Dieses Gefühl wollten wir auch nie erzeugen. 

Der Film handelt von einer persönlichen, emotionalen Busreise. Welche Rolle spielt dabei das langsame Tempo der Reise?
Ich denke, dass langsames Reisen in erster Linie immer neue Perspektiven eröffnet. Weil man langsam vorankommt, hat man mehr Zeit, hinzuschauen und Dinge zu erleben. Die Reise wird zum Ziel, wie es so schön heisst. Es ist fast nicht möglich, sich den Dingen am Wegrand zu entziehen. Zudem führt der verlangsamte Rhythmus und das Aus-dem-Fenster-schauen auch zu einer inneren Auseinandersetzung. Man erlaubt seinem Geist, aber auch seinem Körper ein ruhigeres Tempo als üblich. 

Sie haben ja selbst viel Erfahrung damit, besitzen Sie doch seit einigen Jahren einen holländischen Lastkahn namens Matilda. 
Ich war erst kürzlich wieder auf einer zweiwöchigen Bootsreise mit Matilda – auf dem Ärmelkanal und dann die Themse hoch bis nach Oxfordshire. Auf dieser Reise habe ich wohl mehr Gespräche mit verschiedensten Menschen geführt und mehr Bekannte getroffen als in den zwei Jahren zuvor. Es gibt nichts Besseres als Wasser, um seiner Alltagsroutine zu entfliehen. Ein Fluss reicht dabei vollkommen aus für neue Perspektiven. Alleine in unmittelbarer Nähe in Südlondon, wo unsere Reise zu Ende ging und wo ich aufwuchs und auch heute noch lebe, habe ich zu Wasser Orte entdeckt, von denen ich keine Ahnung hatte, dass es sie gibt. Langsames Reisen hat etwas Zen-Artiges. Man öffnet sich und ist bereit für das nächste Lebenskapitel. Gerade im Alter kann das sehr bereichernd sein.

«The Last Bus», seit 2. Dezember im Kino. Spielzeiten und Spielorte finden Sie hier.

Beitrag vom 26.11.2021

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