© Hans-Peter Siffert, AT Verlag / www.at-verlag.ch

«Kräuter und Gewürze sind mein Werkzeug»

Die Tessiner Köchin und Wildpflanzenspezialistin Meret Bissegger hat sich mit der Zeitlupe über saisonales Kochen und die Bedeutung von Gewürzen und Schnittarten beim Zubereiten unterhalten. Sie rät zum Mut am Herd.

Interview: Fabian Rottmeier

Meret Bissegger, Sie sind eine Verfechterin der saisonalen Küche. Ist dies auch eine Form von Demut?
Man könnte es so ausdrücken, ich würde aber eher von der Wertschätzung des Saisonalen sprechen. Mir geht es darum, ein Bewusstsein für den Reichtum von frischen Lebensmitteln zu entwickeln. Sobald man sich mit dem Thema beschäftigt, weiss man, was es bedeutet, ein Gemüse aussersaisonal anzupflanzen. Es ist immer wieder eine Freude, wenn ich im Frühling meine ersten eigenen Spargeln ernten darf. Aber auch ich bin beim Warten nicht immer konsequent: Ich gönne mir vorab auch süditalienische Spargeln von einem Produzenten, den ich kenne und schätze.

Was sollte man beim Zubereiten von Spargeln beachten?
Viele unterlassen es, Spargeln zu schälen, und schneiden einfach den groben Teil ab. Vor allem beim Grünspargel hat der weisse, untere Teil meistens eine holzige Konsistenz, wenn man dies nicht tut. Die Konsistenz ist eine wichtige Komponente beim Kochen – und oft entscheidend, ob jemand etwas mag oder nicht. Wenn man Spargeln kurz schneidet und bei grosser Hitze anbrät, tritt ein köstlicher Röstgeschmack zu Tage. Ein anderer Tipp: Herbstrüben-Schnitze nur zehn Minuten bei mittlerer Hitze braten, statt zwei Stunden im Wasser sieden – das sind Welten! Es muss jedoch nicht immer al dente sein. Manches Gemüse schmeckt auch verkocht sehr gut – Rosenkohl etwa gehört aber definitiv nicht dazu.

«Dank fremdländischer Rezepte habe ich gelernt, mit Gewürzen nicht zu sparen. Es darf gerne ein ganzer Teelöffel sein.»

Broccoli auch nicht.
Es ist so schade, wenn man Broccoli verkocht. Auch hier braucht es wenig, um Muffel zu begeistern. Broccoli, aber auch Blumenkohl, kombiniere ich gerne mit der thailändischen Küche. Ich lasse sie fünf Minuten im Siedewasser kochen, in das ich Zitronengras, etwas Galgantwurzel und Kaffirlimettenblätter gebe. Vor dem Servieren noch ein wenig mit Zitronensaft beträufeln – und alle lieben Broccoli.

Ihre Bücher fallen auch sonst durch Gerichte und Einflüsse aus Nah und Fern auf.
Dank ausgiebigen Reisen wurde ich rasch zum Gewürzfan. Ich habe alles Neue wie ein Schwamm aufgesaugt. In Grossstädten betrat ich jeden thailändischen und indischen Laden, an dem ich vorbeikam. Die Gewürze waren häufig nicht einmal beschriftet. Ich kaufte ebenso blind wie enthusiastisch ein. Heute ist meine Küche so eingerichtet, dass ich zu meiner Rechten alle aromatischen Kräuter zur Auswahl habe und zu meiner Linken alle Gewürze. Sie sind die wichtigsten Werkzeuge meines «Mischpults». Dank fremdländischer Rezepte habe ich gelernt, mit Gewürzen nicht zu sparen. Es darf gerne ein ganzer Teelöffel sein. Das ist sehr inspirierend. Ich finde es spannend, regionales Gemüse mit Gewürzen aus fernen Landen zu kombinieren. Verbindet man dies mit verschiedenen Koch- und Schnittarten, ergeben sich enorm viele Möglichkeiten und Geschmacksrichtungen. Mein Gebot: Du sollst nie langweilen mit deinen Gerichten!

Was Sie beispielsweise mit einem Risotto mit Spargeln und Rhabarber beweisen. Wie kommt man darauf, diese beiden Zutaten zu kombinieren?
Ich nutze Rhabarber schon lange für salzige Gerichte. Viele kennen Rhabarber wegen seiner Säure bloss gezuckert. Doch wer seinem Gericht bewusst eine saure Note geben will, liegt mit Sauerampfer oder Rhabarber richtig. Im Sommer gelingt dies auch mit rohen Tomatenwürfeln, die ich kurz vor dem Servieren hinzugebe.

Meret Bissegger erntet frische Kräuter
© Hans-Peter Siffert, AT Verlag / www.at-verlag.ch

Geht es beim Kochen auch immer darum, Kontraste zu schaffen?
Auch, ja. Entweder koche ich etwas Harmonisches und kombiniere Gleiches mit Gleichem – oder schaffe Gegensätze. Die vier Geschmacksrichtungen salzig, süss, sauer und bitter bilden die Grundlage dafür. Damit kann man spielen. Wenn ich beispielsweise zwei saure Gerichte habe, dann darf gerne ein bitteres und ein süssliches dazu gereicht werden. Eines meiner Rezepte, das drei Geschmacksrichtungen gleichzeitig einschlägt, ist Kastanien-Spätzli mit Bärlauch und geräuchertem Ricotta. Tolle Ideen finden sich auch in den Kochbüchern von Stefan Wiesner, der unglaublich tolle und originelle Arbeit auf diesem Gebiet geleistet hat. 

«Man stirbt nicht von Gerichten, die nicht wunschgemäss geraten sind.»

Versuchen Sie also in Ihren Kochkursen auch, den Teilnehmenden ein neues Selbstwertgefühl in der Küche zu vermitteln?
Ja, durchaus. Es ist schön, dass ich am Ende häufig die Rückmeldung erhalte, dass jemand neuen Mut fürs Kochen gefasst hat. Im Kurs ermutige ich und sage: «Probiert einfach aus!» Man stirbt nicht von Gerichten, die nicht wunschgemäss geraten sind. Schwierig wird es erst, wenn etwas versalzen ist oder viel zu sauer geraten ist. Am schlimmsten ist und bleibt jedoch … Junkfood. 

Und was denken Sie, wenn Sie im Supermarkt bereits bei Frühlingsbeginn Himbeeren und Erdbeeren sehen?
Es irritiert mich immer wieder aufs Neue. Diesen April war besonders auffällig, dass gleich alle Beeren aufs Mal zu kaufen waren. Das ist schade. Die Vorfreude ist dahin – sie hängt für mich stark mit Genuss zusammen. Derzeit freue ich mich enorm auf die ersten Auberginen. Es wird noch eine Weile dauern, doch dann schlage ich zu, und zwar ausgiebig, weil die Produzenten ja nicht auf ihrer Ernte sitzen bleiben sollen. In meiner Jugend wurde ich in der Bohnen- und Krautstielsaison zum Zmittag immer nach Hause beordert, weil wir so viel aufs Mal ernten mussten.

«Ich will die Leute dazu animieren, ihren geschmacklichen Horizont zu erweitern.»

Der Titel Ihres neusten Buches lautet «Meine Küche im Frühling und Sommer». Aus der Sicht einer Köchin: Womit verbinden Sie den Frühling?
Ich bin dann jeweils hauptsächlich mit meinen Wildpflanzenkursen beschäftigt – und wurde diesen Frühling regelrecht von Anmeldungen überrannt. Ich trage offenbar einen deutlich sichtbaren Wildpflanzen-Stempel auf meiner Stirn. Dabei mag ich Gemüse mindestens so sehr. Wildpflanzen schmecken hervorragend, sind aber mit viel mühevoller Arbeit verbunden. Ich sage stets: Der Boden ist weit unten, wenn man alles selber pflücken muss.

Wie gehen Sie das Kreieren von neuen Rezepten an?
Häufig improvisiere ich. Auf detailliertes Herumfeilen verzichte ich in der Regel. Ich schaue mich um, welche Zutaten ich in der Küche habe, und kombiniere, was zusammenpassen könnte. Ich habe mir über all die Jahre ein gutes geschmackliches Vorstellungsvermögen angeeignet. Manchmal kann ich auch aus der Geschichte oder der Herkunft einer Gemüsesorte ableiten, wozu sie passen könnte. Grundsätzlich halte ich meine Rezepte einfach, damit man sie nachkochen kann. Ich habe mich ja der Hausfrauenküche verschrieben. Und doch füge ich bewusst immer wieder wenig bekannte Gemüse, Kräuter, Essig- oder Ölsorten hinzu, um aufzuzeigen, wie reich die Vielfalt ist. Ich will die Leute dazu animieren, ihren geschmacklichen Horizont zu erweitern.

Im Februar 2022 erhielten Sie als eine von vier Köchinnen und Köchen den «Preis Kulinarische Meriten der Schweiz», überreicht von Bundesrat Guy Parmelin. Eine Überraschung? 
Und wie! Und eine grosse Freude. Ich fühlte mich geschmeichelt, denn ich sehe mich nicht als Spitzenköchin. Schliesslich betreibe ich schon lange kein Restaurant mehr und bin auch keine gelernte Köchin. Zuerst dachte ich, es handle sich um einen Scherz, als ich die Mitteilung erhielt. Ein befreundeter Tessiner Koch, Dario Ranza, hatte mich ungefragt nominiert. Zuerst spielte ich mit dem Gedanken, den Preis abzulehnen, doch dann sah ich die Auszeichnung auch als Chance, bei der Verleihung für meine Anliegen zu missionieren. So wie ich auch Interviews als eine Möglichkeit betrachte, den Leuten ein Bewusstsein für die saisonale Küche und für die unterschätzte, harte Arbeit der Gemüseproduzentinnen und -produzenten zu vermitteln. Ihnen verdanken wir viel.

Meret Bissegger

Erfolgsautorin Meret Bissegger ist leidenschaftliche Köchin und Pflanzenfachfrau. Sie war 14 Jahre als Wirtin (unter anderem im Ristorante «Ponte dei Cavalli») tätig. Heute gibt sie Kochkurse, verwöhnt in ihrer Casa Merogusto in Malvaglia (Tessin) Feinschmecker bei ihren Tavolata-Anlässen und engagiert sich in der Slow-Food-Bewegung. Sie hatte zahlreiche Auftritte in Radio, Fernsehen und Printmedien.

«Meine Küche im Frühling und Sommer»

Cover des Kochbuchs "Meine Küche im Frühling und Sommer"Im Buch «Meine Küche im Frühling und Sommer» (hier zu bestellen) porträtiert Erfolgsautorin Meret Bissegger über 50 Frühlings- und Sommergemüsesorten und gibt Tipps zu deren Verarbeitung und Lagerung. 163 Rezepte, meist vegetarische, oft auch vegane, inspirieren Anfänger und Fortgeschrittene gleichermassen. Von den ersten südlichen Frühlingsboten wie Favebohnen und Stängelkohl über einheimische Mairüben bis zu den Sommerklassikern Auberginen und Tomaten sowie weniger bekanntem Gemüse wie Mönchsbart, Okra oder Papacelle ist alles dabei. Aromatische Kräuter, knackige Salate, essbaren Blüten oder Wildpflanzen und exotischere Zutaten ergänzen die Grundrezepte. Reportagen über Anbau, Ernte und Verarbeitung des Gemüses geben Einblick in die Welt der biologischen Landwirtschaft in der Schweiz und Italien. Texte zu ökologischen und wirtschaftlichen Themen bieten Anregungen zum Umgang mit unseren kostbaren Lebensmitteln.

Rezepte von Meret Bissegger

Beitrag vom 14.05.2022

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