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«Route 71»: Auf den Spuren des Frauenstimmrechts

50 Jahre Frauenstimmrecht: 25 Töfffahrerinnen und -fahrer besuchen auf einer Tour de Suisse prägende Wegbereiterinnen. Teil 2 des Tagebuches von Eva Weber.

Ein Tagebuch von Eva Weber (Text und Fotos) sowie Judy Seeberger (Videos und diverse Fotos). Hier gehts zu Teil 1, falls Sie ganz von vorne beginnen möchten beim Tagebuchlesen.


Tag 5: Bellinzona – Airolo – Gotthardpass – Luzern, 186 km

Eva Weber aus Wetzikon: «Ein schöner Tag mit wenig Regen. Wir waren etwas länger unterwegs als auch schon. Heute hatten wir aber erneut eine tolle Begegnung: mit Judith Stamm, der ehemaligen Luzerner Grossrätin und Nationalrätin. Sie ist auch mit 87 Jahren noch bestens im Schuss – und unglaublich fit im Kopf. Ihre Erzählungen haben uns regelrecht mitgerissen. Zudem besuchten wir die Ausstellung «50 Jahre Frauenstimmrecht Luzern» im Historischen Museum Luzern (einen Zeitlupe-Bericht darüber lesen Sie hier). Aus heutiger Sicht unfassbar, was für Plakate man damals gegen das Frauenstimmrecht gestalten liess … Heute schlafen wir in der Jugendherberge Luzern. Meistens stehen uns Doppel- oder Dreierzimmer zur Verfügung. Nach einem langen Tag fühlt sich das Einchecken manchmal etwas bisschen lange an, wenn 20 Leute aufs Mal eintreffen.

Tag 6: Luzern – Grimselpass – Unterbäch – Crans Montana, 214 km

Wir erlebten heute eine echte Horrorfahrt von Luzern über den Brünig und den Grimsel – mit starkem Regen, Wind und Nebel. Man sah kaum bis zur nächsten Pilotin. Und das auch noch bei 4 Grad auf der Grimselpasshöhe. Ab Fiesch im Oberwallis drückte sich die Sonne durch die Wolken, was mir einen Jauchzer aus tiefem Herzen entlockte. In Unterbäch trafen wir eine weitere bemerkenswerte Frau: Germaine Zenhäusern (Bild unten links), Tochter der ersten Schweizer Stimmbürgerin (Katharina Zenhäusern, Jahrgang 1919). Ihre Mutter hatte stark für ihr Stimmrecht gekämpft. Eine bewegende Geschichte.

Tag 7: Crans Montana – St-Maurice – Lausanne, 128 km

Die heutige Fahrt war wunderschön. Zum Abschluss fuhren wir durch die bekannten Lavaux-Rebberge am Genfersee (den Zeitlupe-Bericht über den Winzerkönig Louis-Philippe Bovard aus dem Lavaux-Gebet lesen Sie hier). In der Unterwalliser Gemeinde St-Maurice hörten wir Hanny Weissmüller (Bild oben rechts) zu. Die 48-jährige Lokführerin ist die erste Frau, die 2020 zur Präsidentin des Lokomotivpersonals der Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV gewählt worden ist. Wir begegneten einer aufgestellten Frau und berufstätigen Mutter, die auch heute noch für die Gleichstellung von Mann und Frau kämpft – wobei in ihrem Berufsstand mittlerweile immerhin die Lohnungleichheit ausgeräumt ist. Derzeit setzt sie sich dafür ein, dass auch halbtägige Einsätze als Lokführerin möglich sein sollen. Man sei auf gutem Weg, sagte sie. Am Abend besuchten uns Mary Maienfish und Martine Gagnebin, zwei Vertreterinnen des Vereins CH2021, der auf seiner Website als zentrale Informationsdrehscheibe zum Jubiläumsjahr des Schweizer Frauenstimmrechts dient.

Tag 8: Lausanne – Genf – Lausanne, 158 km

Heute habe ich eine Auszeit genommen und mich nicht der Gruppe angeschlossen. Es liegen schöne, vollgepackte Tage hinter uns, die bei mir den Wunsch nach einer Pause weckten. Deshalb habe ich mir in der prächtigen Jugendherberge von Lausanne ein Einzelzimmer gegönnt.

Tag 9: Lausanne – La Brévine – Saignelégier – Delémont, 167 km

Trotz viel Regen: Erneut eine sehr schöne Tour – durch den Jura von Lausanne nach Delsberg. Wir haben uns mittlerweile schon fast ans nasse Wetter gewöhnt. Am Abend besuchte uns die Korpskontrollführerin und Chefin Stab Stv, Colonel Pascale Beucler. Es gibt derzeit zehn Frauen im Rang eines Obersts – und nur eine Frau in einem höheren Rang. Ihr Werdegang im Militär war anfangs sehr steinig, denn viele Männer wollten keine ranghöhere Frau. Sie kämpfte aber immer weiter – mit Erfolg. Eine erstaunliche Frau.

Tag 10: Delémont – Solothurn – Wetzikon, 156 km

Ich habe heute die Reise abgebrochen, da ich nach neun Tagen einfach genug hatte von Jugendherbergen, vom dichten Programm und dem Regen. Ich bin an meine Grenzen gestossen. Vermutlich bin ich doch etwas zu alt, um alle 13 Tage durchzustehen. Ich bin halt nicht mehr 20, sondern 71 Jahre alt. Der eng getaktete Fahrplan mit Töff fahren und Leute treffen hat mich etwas müde gemacht. Dass wir nach den ersten vier wunderbaren Tagen nur noch regenreiche Tage erwischt haben, hat die Sache auch nicht einfacher gemacht. Es war sicher nicht meine letzte Töfftour, aber es waren bestimmt meine letzten Nächte in Jugendherbergen – das überlasse ich von nun an sehr gerne den jüngeren Menschen.

Die Reise war ein besonderes Erlebnis, das mir noch lange in Erinnerung bleiben wird. Projektleiterin Judith Schmid und ihrem Team vom Frauentöffclub «Kultur & Kilometer» gebührt besonderes Lob für das tolle, aufwendig geplante Programm und die ermöglichten Begegnungen. Zu erfahren, was diese Frauen alles erleben mussten, bis sie endlich frei über ihr Leben entscheiden konnten, hat mich manchmal sehr nachdenklich gestimmt. Zum Glück gehört das grösstenteils der Vergangenheit an – wenn auch leider noch bei weitem nicht in allen Ländern.

Aufgezeichnet von Eva Weber und Fabian Rottmeier

Videos zu den Tagen 10 bis 12

Einen Eindruck von drei der vier letzten Reisetage vermitteln die folgenden Videos von Judy Seeberger vom Frauentöffclub «Kultur & Kilometer».

Weitere Infos zur Töfftour: ch2021unterwegs.ch
Weitere Infos zum Frauen-Töffclub «Kultur & Kilometer»: kulturkilometer.ch

Beitrag vom 12.07.2021

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