Der Duft der Veränderung

So duftet Weihnachten: Bei Multimediaredaktorin Jessica Prinz kommt mit jeder neuen Lebensphase ein neuer Duft hinzu.

Jessica Prinz, Multimedia-Journalistin

Früher roch Weihnachten für mich – wie vermutlich für viele – ganz klar nach Guetzli. Nach handwarmer Butter und Puder – gemischt mit Vanillezucker. Nach klebrig-süsser Himbeermarmelade eingeklemmt zwischen zwei Teigplätzchen, die man mindestens zwei Tage geduldig in der Dose stehen lassen musste, damit sie schön weich wurden und förmlich auf der Zunge zergingen. Meine Mutter und ich verbrachten Stunden in der Küche, formten Teig und stachen Guetzli aus. Ich fieberte damit Weihnachten entgegen, sie hielt die schier endlose Arbeit nur wegen meiner Freude daran aus. Sie hasste es, die Reste des Teigs immer wieder zusammenzukneten, kühl zu stellen und erneut ausrollen zu müssen. «Es hört nit uf!», sagte sie immer wieder. Noch heute mache ich Witze darüber, dass ich mir wünsche, endlich einmal ein Lebkuchenhaus mit ihr zu bauen und zu verzieren – ein Unterfangen, das noch viel mehr Geduld und Fingerspitzengefühl erfordert.

Später wurde ein neuer Weihnachtsgeruch besonders präsent. Als Teenager und in meinen frühen Zwanzigern, nahm ich mit Freundinnen immer an der Nikolaus-Weltmeisterschaft in meinem Dorf teil – ein Wettbewerb, der anlässlich der Saisoneröffnung von der Tourismusorganisation ins Leben gerufen wurde und genau so absurd war, wie er klingt. Draussen im Schnee erkämpften wir uns Punkte beim Kaminklettern, verzierten Lebkuchenherzen (ich war also schon nah dran am Traum eines eigenen Lebkuchenhauses) und stiegen auf das Rentier-Rodeo. Der Lohn für dieses eiskalte Abenteuer? Meine Mutter empfing uns mit selbstgemachtem weissem Glühwein, der weder überzuckert noch eine Alkoholbombe war. Der Duft, der uns beim Betreten des Hauses entgegenschlug, bleibt mir wohl für immer in Erinnerung: Er versprach, die Kälte zu vertreiben und unsere Laune zu heben.

Heute sind beide dieser Gerüche eher nebensächlich. Mittlerweile backe ich selber die Guetzli und bringe sie meiner Mama mit, um ihr eine Freude zu bereiten und ihr den Stress zu nehmen, sich selbst an die Arbeit machen zu müssen. Das Rezept ihres besonders feinen Glühweins hat sie mir selbstverständlich gerne vererbt, so dass ich Freundinnen, Bekannten und mich selbst immer wieder damit beglücken kann. An Weihnachten erinnern sie mich nicht mehr wirklich. Denn Weihnachten bedeutet für mich, nach Hause in die Berge zu fahren und intensive, gesprächige, sportliche, lustige, verspielte, gefrässige, manchmal auch sehr nervige und ärgerliche Tage mit meiner Familie zu verbringen – egal, ob dabei Geschenke verteilt, Lieder gesungen oder Kekse vernascht werden. So nah über eine so lange Zeit sind wir uns sonst das ganze Jahr nicht. Diese Tatsache ist es, die für mich Weihnachten repräsentiert.

Wenn ich heute Gerüche meiner Weihnachtstage definieren müsste, dann wären das die ständig wechselnden Düfte, die mich zu dieser Zeit umgeben. Lange waren es die Düfte, die sich von der Küche aus im ganzen Haus verteilten, wenn meine Schwester und ich wieder mal beschlossen, irgendein neues und besonders exotisches Rezept auszuprobieren. Oder die verschiedenen Parfüms und Aftershaves der spontanen Besuchenden, die immer dann an die Türe klopften, wenn man es sich gerade auf dem Sofa gemütlich machen wollte. Dann wieder wurden die lieblich-würzigen Gerüche überdeckt vom leicht säuerlichen Aroma der Windeln von Nichten und Neffen – aber auch dafür gab es Platz und schon nach kurzer Zeit wurde überwog der Schokoladenduft wieder. Dieses Jahr fiebere ich besonders dem Duft des Saunaaufgusses entgegen, gepaart mit dem Wohlgeruch der Arvenholzliege, die davor steht.

Es ist schon interessant, wie sich Weihnachtstraditionen und deren -düfte im Laufe der Zeit verändern. Welche olfaktorischen Komponenten dazukommen, während andere unwichtiger werden oder ganz wegfallen. Wie das Geruchsbild sich immer wieder wandelt – und neue Lebenskapitel aufschlagen.

So duftet Weihnachten…

Beitrag vom 21.12.2023

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