© Lila Ribi

Grosi Greti ignoriert den Tod

Die Lausanner Dokumentarfilmerin Lila Ribi ist fasziniert vom Thema Tod – ihre 93-jährige Oma weniger. «(Im)Mortels» ist ein intimes Generationenporträt, in der die Enkelin zehn Jahre lang bei ihrer Grossmutter und Fachleuten Ansichten zum Jenseits einfängt.

Text: Fabian Rottmeier

Freundlich lächelt Oma Greti aus dem Fenster der Eingangstür ihres Bauernhauses und stützt dabei die Unterarme auf. An der Wand neben ihr prangt ein Aufkleber: «Chat bizarre». Diese Zweideutigkeit sorgt für den ersten heiteren Moment in «(Im)Mortels», einem Dokumentarfilm, in dem sich vieles um das Sterben und den Tod dreht. Oder geht es am Ende eben doch eher ums Leben? Ihre Katze nennt Margaretha Aebi übrigens ganz einfach … «die Graue».

Reichen 480’000 Franken aus, um die Frage zu entschlüsseln, was nach dem Tod passiert? Eben diese Summe gewann die Regisseurin Lila Ribi 2019, als ihr Filmprojekt beim Förderprogramm Migros-Kulturprozent siegte. Ein aussergewöhnlicher Betrag für eine aussergewöhnliche Entstehungsgeschichte: Die heute 43-jährige Lausannerin filmte zehn Jahre lang für ihr Projekt. Sie begann 2009 mit den Dreharbeiten – bei ihrer damals 93-jährigen Grossmutter (hier finden Sie weitere Artikel über Grossmütter). Und weil diese auch im hohen Alter «nicht totzukriegen» war (Zitat von Greti Aebi), filmte sie immer weiter.

Antworten zum Thema Tod? Lieber nicht

Zu Beginn musste die Lausannerin feststellen: Ihre Oma beschäftigt das Thema Tod weit weniger als sie. Greti Aebi, wohnhaft in einem Waadtländer Dorf oberhalb des Neuenburgersees und aufgewachsen im Kanton Bern, antwortet auf die Fragen ihrer Enkelin nur knapp. «Ich lasse es auf mich zukommen», sagt sie zu Beginn des Films über ihre Vorstellungen vom Tod. Viel mehr ist nicht aus ihr herauszubekommen.

Da können auch die Referenzen ihrer Enkelin nichts ausrichten – weder Elisabeth Kübler-Ross («Sie ist überzeugt von einem Leben nach dem Tod.») noch die tibetische Vorstellung, dass das gesamte Leben eine Vorbereitung auf den Tod ist. Greti Aebi orientiert sich lieber an Handfestem: Beispielsweise, dass sie immer Ordnung hat in ihrem grossen Bauernhaus am Fusse des Chasseron. Eine Angewohnheit, die sie sich als alleinerziehende Mutter von drei Kindern gezwungenermassen aneignen musste, wie sie sagt. Und überhaupt: Weil das Leben nervig ist, schweigt Lila Ribis Grossmutter manchmal auch einfach, gibt aber schliesslich zu: «Innerlich sage ich ‹Scheisse›.»

Szene aus dem Jahr 2009, zur Anfangszeit der Dreharbeiten: Regisseurin Lila Ribi und ihre Grossmutter gönnen sich in deren Garten ein Erdbeerfrappé.

Lila Ribi lässt sich nicht so schnell abwimmeln. Während sie den Alltag ihrer Grossmutter und die Gespräche mit ihr weiter dokumentiert und dabei das Thema Tod immer wieder anspricht, sucht sie auch bei Menschen nach Antworten, die sich täglich mit dem Thema beschäftigen. Sie befragt den renommierten belgischen Neurologen Steven Laureys, der auf Komapatienten spezialisiert ist. Seine Antwort: Er sei von Berufes wegen Skeptiker und glaube nicht, dass nach dem Tod «etwas überlebt». Der französische Psychologe Erich Dudoit, ein Spezialist auf dem Gebiet der Palliativpflege, weist auf die Verdrängung des Todes hin. Er sagt: «Wir verharren in der Angst vor dem Tod und im albernen Glauben, dass wir nicht sterben – obwohl wir wissen, dass wir sterben werden. Daran sollten wir arbeiten.» (Eine Meinung, die auch die Zürcher Journalistin Elena Ibello in ihrem Podcast «Das letzte Stündchen» teilt.)

Diese Gespräche wechseln sich im Film ab mit dem Beziehungsporträt von Lila Ribi und ihrer Grossmutter. Den Zuschauenden bietet sich ein intimer Blick auf zwei Menschen, die einen ehrlich-harmonischen Umgang miteinander gefunden haben. Greti Aebi ist eine starke Persönlichkeit, die auch mit 93 Jahren (und mehr) fest im Leben steht und findet, dass man sich nicht unbedingt zwischen Marmelade und Schokolade entscheiden müsse. Das eine schliesse das andere nicht aus. Doch von einem Leben nach dem Tod will sie nichts wissen: «Am Grabstein endet das Leben.» Ihre letzte Ruhe möchte sie in ihrem Garten finden, dort, wo sie gemeinsam mit ihrer Enkelin die Asche von Lila Ribis Vater beerdigt hat. «Ich mag mir meinen Garten gar nicht ohne mich vorstellen», sagt sie – und ist über ihre Aussage selbst peinlich berührt.

Nicht etwa die Grossmutter altert

Das Verblüffendste an «(Im)Mortels» ist etwas Paradoxes: Man staunt, dass fast während des gesamten Films nicht Greti Aebi äusserlich älter wird, sondern deren Enkelin. Im Alter zwischen 30 und 40 ändert Lila Ribi mal den Kleidungsstil, mal den Haarschnitt, dann wird sie schwanger und bringt schliesslich ihren Sohn zu den Treffen mit. Bei ihrer Grossmutter hingegen bleibt alles gleich. Deren grösste Veränderung: Sie gibt freiwillig ihren Führerschein ab. Der lange Begleitprozess des Films und die Beziehung der beiden sind Momente, die in Erinnerung bleiben. Mal salbt die Enkelin ihrer Oma fürsorglich die müden Beine ein, mal führt Greti vor, wie sie auch grosse Spinnen (lebendig) aus dem Haus wirft. Herrlich auch die Szene, in der die Seniorin über ihr «Notfallsystem» spricht: Wenn der Fliegenvorhang an der Eingangstür um 11 Uhr noch geschlossen sei, dann müsse jemand vorbeikommen. Dann stimme wohl etwas nicht.

Die Lausannerin Lila Ribi recherchierte über mehrere Jahre in alle Richtungen zum Thema Tod.

Hie und da driftet der Film ins Esoterische ab. Dann, wenn Menschen zu Wort kommen, die von Nahtoderfahrungen erzählen oder behaupten, dass sie mit Verstorbenen sprechen können. Eine Leichenbestatterin ist überdies der Meinung, dass die Seele nach dem Tod noch ein paar Tage im Körper bleibe, um ihr irdisches Leben abzuschliessen. Immerhin: Lila Ribi kommentiert nichts davon und überlässt es stets den Zuschauenden, sich dazu eine eigene Meinung zu machen. Sie nutzt ihren Film vielmehr dazu, möglichst viele Ansichten über den Tod und das Jenseits einzufangen.

Greti Aebi ist das alles egal. Mit über 100 Jahren hat sie ihren Glauben an Gott schon längst aufgegeben, wie sie gesteht, und wäre einfach froh, wenn ihr Tod schnell vorbeigehen würde. Nach einem Sturz lebt sie nun in einem Pflegezentrum und sagt: «Wir werden hier alle behandelt wie Riesenbabys.» Ihr Herz habe sie in ihrem Bauernhaus gelassen, sagt sie wehmütig. Wie dieses dann nach 103 Jahren aufhört zu schlagen, geht einem nahe. Auch, weil Lila Ribi diesen Abschied ganz ohne Pathos zeigt. Still geht Greti Aebis Vorhang zu – oder auf?

Die Filmvorschau zu «(Im)Mortels»

«(Im)Mortels», ab 14. April im Kino. Infos und Spielorte: immortels-film.ch


Beitrag vom 09.04.2022

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