© Nicola Pitaro

Heini Hemmi: «Ich bewundere die Ausdauer der Lachse»

47 Jahre ist es her, seit Heini Hemmi mit seinem Olympiasieg im Riesenslalom zum Skistar wurde. Überall erkannt, fand er beim Fischen seine Ruhe. Sein Hobby brachte ihn nach Alaska – und führte dazu, in Valbella Wildlachs zu vertreiben. 

Text: Fabian Rottmeier

Er hat nicht nur in der Schweizer Sportgeschichte seine Spuren hinterlassen, sondern auch in Kreuzworträtseln. «Skisportler Schweiz» mit fünf Buchstaben: Hemmi. Vorname: Heini. Markenzeichen: Bart. Seit drei Jahren trägt in Lenzerheide ein Pistenabschnitt den Namen des 74-Jährigen: die Hemmi-Kuppa.

1976 wurde der Churwaldner mit seinem überraschenden Olympiasieg im Riesenslalom über Nacht bekannt. Er ist bis heute stolz darauf, dass er 18 seiner 22 letzten Weltcup-Riesenslaloms unter den besten fünf beendete, bevor er 1979 wegen Rückenproblemen zurücktrat. Der gelernte Maurer machte sich selbstständig und vertrieb Pistenmaterial für Skirennen, bevor er sich als Verkäufer von Wildlachs aus Alaska einen Namen machte. Die Zeitlupe unterhielt sich mit Heini Hemmi in seinem Zuhause in Valbella, wo der zweifache Vater und fünffache Grossvater mit Ehefrau Susi lebt. Die beiden sind seit 50 Jahren verheiratet. 


Viele verbinden Ihren Namen mit Ihrem früheren Bart. Sie liessen ihn aus Ärger über die verpasste Olympiateilnahme für Sapporo 1972 wachsen. Aus Aberglaube oder steckte etwas anderes dahinter?
Nein, das war in erster Linie ein kleiner Gag. Bald schon gefiel mir der Bart, meiner Frau ebenso. Schliesslich wurde er zu meinem Markenzeichen.

Erst recht, als Sie 1976 Ihren ersten grossen Rennsieg ausgerechnet an den Olympischen Spielen feierten.
Ich ging in Innsbruck als krasser Aussenseiter an den Start – deshalb war mein Sieg im Riesenslalom umso spektakulärer. Es war ein anspruchsvolles Rennen, denn die beiden Läufe fanden unüblicherweise an zwei Tagen und an zwei gegenüberliegenden Talseiten statt. Der Führende, Gustavo Thöni, scheiterte wohl auch an dieser mentalen Belastung. Ich ging als Drittplatzierter in den zweiten Lauf. Ich griff an – und profitierte. Die guten Resultate im Vorfeld hatten mir Selbstvertrauen gegeben.

Danach waren Sie in der Schweiz ein Star.
Als erfolgreicher Sportler wurde ich über Nacht zum Allgemeingut. Ich war klein, trug lange Haare und einen Bart – es gab keine Stadt, in der ich nicht sofort erkannt wurde und Autogrammwünsche erfüllen musste. 1977 gab ich über 70 Autogrammstunden und hatte viele weitere Verpflichtungen.

Heiner Hemmi im Interview mit der Zeitlupe.
© Nicola Pitaro

Ihre Skikarriere war teils von vielen Ausfällen geprägt – bis Sie eine Psychiaterin besuchten. Wie kam es dazu?
Der Präsident unseres Skiclubs brachte mich auf diese Idee. Was dies schliesslich ausgelöst hat, ist schwierig zu sagen. Auch ein Skimarkenwechsel entpuppte sich als Glücksgriff, nachdem ich zuvor einige lukrative Angebote angenommen hatte, die zu enttäuschenden Resultaten führten. Meine Formkrise war also teilweise selbstverschuldet. Die vielen Ausfälle brachten mich in eine Abwärtsspirale. Mit jedem Negativerlebnis setzte ich mich zusätzlich unter Druck.

Aber dieser Schritt zur externen Hilfe war damals ungewöhnlich und mutig, nicht?
Ja, durchaus. Es war eine Zeit, als unsere Betreuer Autogenes Training und andere neue Elemente einfliessen liessen. An Fragen oder konkrete Tipps der Psychiaterin erinnere ich mich aber nicht mehr. Ich weiss nur noch, dass ich in einem Sandkasten diverse Situationen darstellen musste.

Welchen Stellenwert hat Ihr Weltcup-Sieg 1977 im toggenburgischen Ebnat-Kappel, als Sie vor 30000 Fans gewannen – und Ihr Bruder Christian Zweiter wurde?
Das war nach Olympia der zweitschönste Moment meiner Karriere. Es war traumhaft, mit Christian gemeinsam auf einem Weltcup-Podest zu stehen. Unglaublich, wie viele Leute zum zweiten Lauf herbeiströmten.

Ihr Stil war seiner Zeit voraus, versuchten Sie doch ähnlich zu fahren wie das heute mit Carvingski problemlos möglich ist. Lag das auch am Zusammenspiel Ihrer Körpergrösse von 1,63 Metern und der Skilänge von 2,13 Metern?
Nein. Ich weiss bis heute nicht, weshalb mir mein Servicemann im Sommertraining drei Zentimeter längere Ski mitbrachte. Aber ja, vielleicht kam diese Länge meiner Technik entgegen. Niemand sonst fuhr so lange Latten. Per Grätsche versuchte ich, mit dem Aussenski einen Strich durch den Schnee zu ziehen. Meine Ausfälle waren auch dieser riskanten Fahrweise geschuldet.

Mit seinem unverkennbaren Fahrstil holte sich Heini Hemmi an den Olympischen Winterspielen in Innsbruck 1976 die Goldmedaille vor dem Schweizer Ernst Good und dem drittplatzierten Schweden Ingemar Stenmark. © Keystone

Nach Ihrem Rücktritt vertrieben Sie mit Ihrer Firma – aus Hemmi und Valbella wurde «Heval» – 25 Jahre lang Material für Skirennen und für die Pistensicherheit. Auch für Weltcuprennen. Sie sahen am Fernsehen, wie Silvano Beltrametti 2001 stürzte, die Sicherheitsnetze durchbrach – und danach querschnittgelähmt war.
Dieser Unfall hat mich lange beschäftigt, zumal ich seine Familie persönlich kenne. Ich war nicht vor Ort involviert. Aber die Gleitplanen stammten vom selben Hersteller, der auch uns belieferte. Die Skikanten der Profis sind so scharf, dass sie je nach Aufprallwinkel selbst solch robuste Planen durchtrennen. Das ist an jenem Tag leider passiert.

Was wurde danach verbessert?
Sogenannte B-Netze vor den Planen schwächen seither einen allfälligen Aufprall ab. Somit sinkt das Risiko, dass der Ski die Blache durchtrennen kann. Zudem sind die Netze heute noch feinmaschiger. Jeder Knoten ist einzeln erstellt. Ein Restrisiko bleibt jedoch immer. Die Sicherheitskonstruktionen an der Lauberhorn-Abfahrt stammen noch von mir. Meine Erfahrung als ehemaliger Skirennfahrer half bestimmt zu verstehen, wie man eine solche Aufgabe angehen kann. Wenn in Lenzerheide ein Weltcup- Rennen ansteht, helfe ich noch heute gerne mit meinem Wissen aus und packe mit an.

Als bekannte Persönlichkeit suchten Sie eine Möglichkeit, dem Rummel zu entfliehen – und fanden zum Fischen. Wie würden Sie den Zustand beschreiben, den man dabei erlangt?
Wenn ich an einem Bergbach stehe und fische, höre ich, wie das Wasser über die Steine rauscht. Das beruhigt. Gleichzeitig studiere ich den Wasserverlauf, um zu erahnen, wo die Fische durchschwimmen oder pausieren könnten. Nur so finde ich heraus, wie ich sie überlisten kann. Diese Kopfarbeit lässt mich alles andere vergessen. Egal, ob ich alleine oder mit einem Freund unterwegs bin. Ich kenne viele Spitzensportler, die beim Angeln zur Ruhe kommen. Weil ich immer noch grössere Brocken erwischen wollte, bin ich schliesslich beim Lachsfischen gelandet.

«Faszinierend ist auch, dass sich die silbernen Schuppen und das Fleisch der Rotlachse tiefrot verfärben, je näher sie zu ihren Laichplätzen kommen.»

Fischen Sie heute nur noch im Sommerurlaub in Alaska?
Ja. Obwohl ich mich längst an unseren Bergseen im Fliegenfischen versuchen möchte. Leider steht es um den Besatz in den Bündner Bächen und Flüssen schlecht. Zudem sind die Fische oft so klein, dass man sie gemäss Fischereigesetz wieder freilassen muss.

Plagt Sie nie ein schlechtes Gewissen? Fische empfinden bekanntlich auch Schmerzen.
Nein, die Lachse sterben an der Rute rascher, als wenn sie sich den gesamten Fluss hochkämpfen müssen und nach dem Absamen und Ablaichen innert Tagen verenden. Klar, ihre eigentliche Aufgabe können sie nicht mehr erfüllen. Der Sterbevorgang der Pazifischen Lachse beginnt eigentlich, sobald sie vom Meer ins Süsswassergebiet gelangen. In Alaska ist alles streng reguliert. Es sind nur ein bis zwei Prozent, die Bären und Hobbyfischer ergattern – maximal 20 Prozent fängt die Berufsfischerei vor den Küsten Alaskas.

Was bewundern Sie an den Lachsen?
Ihre Ausdauer. Wie sie zu ihren Laichplätzen wandern, ist eindrücklich. Die längste Fischtreppe der Welt steht in Whitehorse, im Yukon-Gebiet, und liegt 3200 Kilometer vom Meer entfernt. Faszinierend ist auch, dass sich die silbernen Schuppen und das Fleisch der Rotlachse tiefrot verfärben, je näher sie zu ihren Laichplätzen kommen. Das Fleisch wird so weich, dass die Fische fast auseinanderfallen.

Sie fliegen fast alljährlich zum Fischen nach Alaska. Wie muss man sich diese Reise vorstellen?
Meistens bin ich ab Mitte Juli für etwa zwei Wochen da. Per Wasserflugzeug gelangen wir in eine Fischer-Lodge, in der nur etwa 20 Personen übernachten. Gewiss, es ginge auch einfacher, per Wohnmobil etwa. Doch damit gelangt man bloss an Angelplätze, wo alle dicht nebeneinander fischen. Das ist kein richtiges Alaska-Feeling. Die Lodge hingegen steht in der Wildnis. Ein paar Gehminuten reichen, um ganz alleine zu sein. Der Nachteil: Es gibt keine Garantie, dass die Lachse tatsächlich aufkreuzen. Bis jetzt hatten wir Glück respektive einen guten Guide. Wir haben dabei schon viele Bären und Elche gesehen. Es liegt immer eine gewisse Spannung in der Luft. Wenn sich ein Grizzlybär bis auf zehn Meter nähert, erst recht.

Und dann?
Wir stehen jeweils zusammen und reden ruhig auf das Tier ein: «Keine Angst, lieber Bär, wir tun dir nichts.» (lacht) Den Pfefferspray halten wir trotzdem griffbereit. Eine kritische Situation habe ich aber noch nie erlebt. Die Bären sind während der Lachssaison entspannt und gut genährt.

Heiner Hemmi im Interview mit der Zeitlupe
© Nicola Pitaro

2011 begannen Sie, geräucherten Lachs aus Alaska zu verkaufen. Was gab den Ausschlag?
Ein Zufall! Ich fand heraus, dass ich den Schweizer Importeur des besten Alaska-Lachses seit 30 Jahren aus dem Sportfachhandel kannte. Wir kamen ins Gespräch. Der Kontakt zu ihm war bloss deshalb zustande gekommen, weil ich wegen einer neuen EU-Bestimmung einen Teil meines gefangenen Lachses nur noch via Räucherei in die Schweiz schicken lassen konnte. Im Flugzeug waren nur noch 20 Kilo pro Kopf erlaubt. Schliesslich wollte er mich dazu überreden, die Wildlachs-Produkte der renommierten Räucherei Trappers Creek Smoking Company, die jeweils auch meinen Privatfang verarbeitet, bei uns zu vertreiben.

Offenbar mit Erfolg.
Meine Begeisterung hielt sich zu Beginn in Grenzen. Als ich von einer Online-Rabatt-Aktion der Räucherei vernahm, fragte ich in meinem Bekanntenkreis herum, ob jemand etwas Wildlachs mitbestellen möchte. Es kamen rund 100 Lachs-Seiten zusammen. Ich war überrascht – und wagte den Versuch.

«Mein Name war immer ein Türöffner.»

Wie lief das Geschäft an?
Der Importeur überrumpelte mich gleich beim Abholen meiner ersten Privatbestellung mit 50 Kilo zusätzlichem Lachs. Als Test, zum Verkaufen – mit Rücknahmegarantie. Ich schaffte mir eine Kühltruhe an und stellte diese mit einer Verkaufstafel vors Haus. Wir druckten Werbezettel und buchten am Lenzerheider Weihnachtsmarkt einen Stand. Die Ware war im Nu weg. Schon bald stand neben unserem Haus ein Holzhüttli, wo ich den Lachs persönlich verkaufte.

Wie wertvoll war dabei Ihr Name?
Ich habe bestimmt davon profitiert. Mein Name war immer ein Türöffner. Aber auch meine positive Haltung und mein Ehrgeiz halfen. Alles, was ich nach meiner Maurerlehre anpackte, war erfolgreich – bestimmt auch, weil ich es mit vollem Einsatz tat. Und der Alaska-Wildlachs ist nun mal ein tolles Produkt. Ein Luxusprodukt, das mit dem Zuchtlachs qualitativ wenig zu tun hat.

Der prominenteste Kunde ist oft in Ihrer Nachbarschaft: Roger Federer. Eine besondere Ehre.
Natürlich, das freut mich enorm. Der Architekt seines Hauses in Valbella hat ihm eines unserer Geschenksets überreicht. Er wurde wohl auch deshalb zum treuen Kunden, weil er bei der Anfahrt an unserem Haus vorbeifährt. Hie und da unterhalten wir uns kurz. Das ist schön. Gerne würde ich mit ihm zusammen mal auf die Skipiste gehen.

Ihr Sohn Gianin hat «Hemmi Wildlachs» 2020 übernommen – bei drei Tonnen Umsatz pro Jahr. Hat er den Wunsch, Sie abzulösen, von sich aus geäussert?
Ja. Er unterstützte mich an den Märkten stets tatkräftig und interessierte sich sehr für das Thema. Er tüftelte, baute sich einen Räucherofen und verkauft nun neben den Produkten der Trappers Creek Smoking Company seinen eigenen geräucherten Wildlachs aus Alaska. Er kann diese Tätigkeit gut mit seinem Beruf als Bauführer verbinden und führt den Betrieb erfolgreich weiter.

Und wie füllen Sie seither die frei gewordene Zeit am liebsten?
Wir besitzen schon lange ein Wohnmobil, mit dem wir gerne im Frühling dem Bündner Schnee entfliehen und nach Italien oder Südfrankreich fahren. In der Toskana sind wir sehr oft mit unseren E-Bikes zwischen den Äckern, Rebbergen und Hügeln unterwegs. Zudem sind unsere fünf Enkel eine Freude und eine schöne Aufgabe für uns. Langeweile kennen wir nicht.


zeitlupe.ch

Im Video «Fünf Fragen an» erfahren Sie von Heini Hemmi, was fester Bestandteil seines Alltags ist und wovon er nicht genug bekommen kann: zeitlupe.ch/5-fragen

Beitrag vom 06.02.2023