Rückkehrer im Rhein

Wie in Nordamerika wanderten auch im Rhein einst Abertausende von Lachsen zu ihren Laichgründen. Nun besteht Hoffnung, dass der grosse Wanderfisch in einiger Zeit wieder vom Meer bis in die Schweiz ziehen könnte.

Atlantische Lachse stromaufwärts unterwegs zu ihrem Geburtsort um dort zu laichen.
© Prisma/ Kitchin & Hurst

Text: Esther Wullschleger Schättin

Alljährlich zieht es Pazi­fiklachse aus dem Meer zur Mündung ihrer Flüsse an den Küsten Alaskas oder Westka­nadas. Sie sammeln sich und wechseln allmählich in die Flussläufe über, um ihre anstrengende Reise, gegen die Strömung empor wandernd, zu begin­nen. Dramatische Szenen spielen sich ab, wo sie gegen reissende Wildwasser kämpfen müssen und ihre enorme Sprungkraft einsetzen, um Strom­schnellen oder Wasserfälle zu überwin­den. Oft versammeln sich Bären genau an solch kritischen Stellen am Fluss, um nach den Lachsen zu jagen.

Das Ziel der laichreifen Fische ist der kleine Bachlauf, in welchem sie einst geschlüpft waren und wo sie nun selbst ablaichen. Offenbar hilft ihr aus­gesprochen gutes «Geruchsgedächt­nis», sich dahin zu orientieren. Die Anstrengung zehrt an den kräftigen Fi­schen, weil sie auf ihrer langen Reise im Süsswasser keine Nahrung mehr auf­nehmen und allein von ihren reichen Fettreserven leben.

Das grosse Sterben 

Nach dem Ablaichen bleiben Männchen wie Weibchen völlig er­schöpft zurück und sterben schliesslich. Ihre Kadaver fallen so massenhaft an, dass Pflanzen im Gebiet von den da­durch eingebrachten Nährstoffen merk­lich profitieren. Der Kreislauf beginnt von Neuem, wenn die kleinen Jung­lachse kräftig genug sind und der Wan­dertrieb sie synchron erfasst. Gruppen­weise brechen sie in die umgekehrte Richtung auf – auf eine Reise zurück zum Meer, die auch sie ein einziges Mal im Leben antreten.

Die beeindruckende Lachswande­rung ist heutzutage noch am ehesten im entlegenen Norden Amerikas zu beob­achten. Doch auch Europa hatte früher «seine» Lachswanderung und von der Mündung bis zum Ursprung frei flies­sender Flüsse. Es ist der in zwei verschie­denen Populationen vorkommende Atlantische Lachs, der zum einen in den europäischen Fliessgewässern und zum anderen im östlichen Nordamerikaseine Laichgründe findet.

Er wächst im Nordatlantik zu sei­ner vollen Grösse heran und wechselt zum Laichen in kleine Bergbäche mit kiesigem Grund, wo die winzigen Jung­fischchen sicherer vor Beutegreifern sind. Dabei schaffen es ein paar der Atlantiklachse, die Laichzeit zu über­leben und danach zurück ins nordat­lantische Meer zu wandern, wo sie sich dank des reichhaltigen Nahrungsange­bots erholen können. Andererseits ver­bleiben einzelne dieser Lachse, die nahe mit den deutlich kleineren Forel­len verwandt sind und sich mit diesen sogar kreuzen können, manchmal ganz im Süsswasser.

Hindernisse sollen angepasst werden

Bevor die europäischen Flüsse zu­nehmend verbaut und die wandernden Fische immer seltener wurden, war der Rhein das grösste Lachsgewässer des Kontinents. Abertausende der Fische erreichten über ihn die kleineren Zu­flüsse zum Laichen. Auch in der Schweiz, und vor allem in Basel, hatte die Fischerei nach dem riesigen «Salm» eine enorme Bedeutung.

In den 1950er-­Jahren war der Lachs aus dem Rhein verschwunden, und heute leben Tiere aus Besatzprogram­men im Fluss – so ein stattliches Exem­plar, welches 2008 überraschend in Ba­sel aus dem Rhein gefischt (und wieder ausgesetzt) wurde. Nun gibt es neue Hoffnung: Seit in den Niederlanden eine grosse Schleuse teilweise geöffnet wurde, die den Rhein vor der Nordsee abschirmte, haben die Wanderfische wieder Chancen, vom Meer in den Fluss und umgekehrt zu gelangen. Natur­schützer fordern weiter, dass gemäss in­ternationaler Vereinbarung bis spätes­tens 2022 die letzten Kraftwerke am Rhein fischgängig gemacht werden, so­dass der Lachs ungehindert von der Schweiz bis zum Meer und umgekehrt wandern könnte. 

Die in Europa laichende Population des Atlantiklachses ist gefährdet (um auf die prekäre Situation aufmerksam zu machen, wurde der Lachs in Deutsch­land 2019 zum Fisch des Jahres ge­wählt). Den nordamerikanischen Wild­lachsen geht es zum Teil besser. Doch die Nachfrage nach Lachsfleisch ist hoch, und um diese trotz schrumpfen­der Wildbestände zu decken, werden zunehmend Lachsfarmen betrieben. 

Zuchtlachse werden meist in Netz­gehegen im Meer gehalten, in Europa überwiegend in Norwegen. So leben die Zuchtfische in ständiger Frischwasser­zufuhr, doch gelangen Abfallprodukte und auch Krankheitserreger aus den Gehegen in das umgebende offene Meer. Es ist klar, dass die seit Jahrtausenden wandernden Lachse nach Generationen der Zucht einige genetische Anpassun­gen verlieren können. Ihre Fähigkeiten und Eigenschaften, die ihnen die faszi­nierende Lebensweise als Wanderfisch ermöglichen, sind im Fischzuchtgehege gewissermassen nutzlos geworden. Frei­kommende Zuchtlachse können Gene in die Wildbestände einkreuzen, die nicht optimal für die wandernden Wild­lachse sind, und sie dadurch erheblich schwächen. ❋

Lachs Comeback-Kampagne: https://laggs2020.ch/

Kaum mehr ursprüngliche Wildwasser

Ursprüngliche Wildflüsse, die ihren Lauf frei mäandrieren können und nicht durch Staustufen, Dämme oder Wehre unterbrochen werden, werden weltweit immer seltener. Die letzten dieser Wildwasser liegen meist in abgelegenen Regionen. Von den längsten Flüssen der Welt erreicht mittlerweile weniger als ein Viertel ganz ohne Dämme oder Stauwehre das Meer. Solche Barrieren haben Konsequenzen nicht nur auf wandernde Fische wie die Lachse, Aale und Störe, die dadurch besonders gefährdet sind. Auch andere Wasserlebewesen und Stoffkreisläufe wie Nährstoff- oder Sedimentbewegungen werden dadurch beeinträchtigt.

Beitrag vom 13.06.2019