© shutterstock

Von Kältespezialisten und frühen Sommervögeln

Im Winter scheint das Insektenleben zum Erliegen zu kommen. Nur wer genauer hinschaut, wird an milden Wintertagen ein paar kälteresistente Insekten bemerken. Gegen den Frühling hin erwachen mehr und mehr Arten aus ihren Ruhestadien.

Text: Esther Wullschleger Schättin

Wer an einem sonnigen, windstillen Wintertag durch den verschneiten Wald spaziert, sieht vielleicht auf dem Schnee zierliche, etwas über einen halben Zentimeter grosse Fliegen mit abgerundeten Flügeln, die mit ihren extrem langen Beinen wie verkleinerte Schnaken aussehen. Die grazilen, unscheinbar dunkelgrauen bis bräunlichen Insekten sind als Wintermücken bekannt (obschon sie nichts mit Stechmücken gemeinsam haben), und tatsächlich scheinen sie sich auf ein Leben in der kühleren Jahreszeit spezialisiert zu haben. Ihre durchsichtigen Flügel sind leicht getönt und die Flügeladern sehr dunkel, sodass sie sogar über diese etwas Sonnenwärme aufnehmen können.

Eine Wintermücke auf Schnee.

Wintermücken sind auf kühle Temperaturen spezialisiert.
© creative commons

Vor allem an kühlen Herbst- oder Frühlingstagen tanzen die Männchen der Wintermücken im Licht der Sonne oft in lebhaften Schwärmen. Sie versuchen dadurch Weibchen anzulocken, denn bei kühlem Wetter herrscht für sie Fortpflanzungszeit. Wenn grosse Kälte einsetzt, ziehen sich aber auch diese Kältespezialistinnen möglichst unter die isolierende Schneedecke zurück. Im mitteleuropäischen Sommer scheinen sie Ruhezeit zu haben, denn typischerweise verschwinden Wintermücken im Lauf des Frühlings und erscheinen im Herbst wieder. Ihre Larven entwickeln sich in feuchtem Bodenmaterial unter der Laubstreu und können sogar bei tiefen Temperaturen wachsen.

Ein aktives Leben im Winter ist für Insekten doch eher die Ausnahme. Kühlt die Umgebung ab, so kühlen auch diese winzigen Tiere sehr schnell aus. Deshalb gibt es nur wenige kältetolerante Insektenarten, die durch spezielle Anpassungen mit den Bedingungen des Winterhalbjahrs zurechtkommen. Die meisten überdauern die kalte Jahreszeit als Ei, Larve oder ausgewachsenes Insekt in einem Ruhestadium, gut versteckt in trockenen, möglichst frostfreien Nischen, etwa im Boden oder in Pflanzenmaterial. Und manche flugtüchtigen Insekten wie bestimmte Falter und Schwebfliegen wandern wie die Zugvögel in südliche Gefilde ab.

Eine Art Frostschutzmittel in der Körperflüssigkeit ist die wohl wichtigste Anpassungsentwicklung von kälteresistenten Insekten wie den Wintermücken, denn das Gefrieren ist für diese kleinen Tiere eine stetige Gefahr des Winters. Würden bei Minustemperaturen spitze Eiskristalle in ihren Körperzellen gebildet, so würde es für Insekten und andere kleine Krabbler rasch lebensgefährlich.

Ein besonders effektiver Frostschutz ist offenbar dem Zitronenfalter gelungen, sodass er kaum wettergeschützt, etwa an der Unterseite eines Efeu- oder Stechpalmenblattes, überwintern kann. Jede nicht überlebensnotwendige Flüssigkeit scheidet er zu Beginn seines Ruhestadiums aus, denn auch Trockenheit verringert die Gefahr, dass ein Gefriervorgang einsetzen könnte.

Aehnliches gelingt den bräunlich-beigen Winterlibellen, die als einzige einheimische Libellen im Erwachsenenstadium überwintern. Manchmal tun sie dies versteckt unter Laub, manchmal aber auch kaum geschützt an dürrer, abgestorbener Vegetation, wo sie durch ihre unscheinbare Färbung hervorragend getarnt sind. An milden Wintertagen können diese frostresistenten Libellen kurzzeitig aktiv werden, um nach Nahrung zu jagen.

Zitronenfalter an einem bluehenden Weidenkaetzchen

Mit den ersten warmen Sonnenstrahlen werden Zitronenfalter wieder aktiv.
© shutterstock

Kein Wunder also, dass der Zitronenfalter zu den ersten Schmetterlingen zählt, die sich im Frühling zeigen. Wenige wärmende Sonnenstrahlen genügen ihm, im März wieder aktiv zu werden und nach nektarspendenden Blüten zu suchen. Manche weiteren Falter wie Kleiner Fuchs, Tagpfauenauge und C-Falter, die als ausgewachsene Tiere in geschützten Nischen überwintern, erscheinen ebenfalls schon früh im März. Wenn die Frühlingstemperaturen weiter steigen und die Tageslängen zunehmen, werden weitere Insekten aktiv, wobei jede Art «ihren» Saisonkalender hat.

Die Klimaerwärmung bringt hinsichtlich des Frühlingsbeginns für die verschiedenen Tier- und Pflanzenarten einiges durcheinander. Aber auch die allzu warmen Winter mit weniger Frosttagen und einer verringerten Schneedecke belasten das lokal angepasste Insektenleben. Manche überwinternden Insekten oder deren Larven haben mehr Mühe, solche Bedingungen in ihren Winterquartieren zu überstehen.

Die Folgen der Klimaerwärmung beeinträchtigen offenbar vor allem in höheren Berglagen verbreitete, kälteangepasste Insekten wie einige Falter, darunter die wunderschönen Apollofalter. Was Hoffnung verspricht: Je naturnaher die Landschaften gepflegt werden, desto besser gelingt es verschiedenden Insekten, mit zusätzlichen Störungen und Veränderungen durch den Klimawandel zurecht zu kommen.

Leben im und auf dem Schnee

Es dauert nicht lange, bis eine frische Schneedecke im Wald durch winteraktive Kleinlebewesen belebt wird. Die wohl häufigsten sind winzige Springschwänze wie die in den Alpen vorkommenden, dunkel gefärbten Gletscherflöhe. Manche Springschwänze und Milben sind so klein, dass sie durch die engen Poren zwischen den Schneekristallen nach oben wandern können. Der ebenfalls recht kleine Winterhaft, ein flugunfähiges Insekt, wandert oft auf Nahrungssuche über dem Schnee umher. Wenn sich etwa bei Baumstämmchen Lücken im Schnee auftun, können auch grössere Insekten und Spinnen auf die Schneedecke gelangen.

Beitrag vom 30.01.2023
  • Kriemhild Ysker sagt:

    Ich in neugierig geworden auf Ihre Zeitschrift, als ich entdeckte, dass ich im Artikel eines Ihrer Hefte über Gustav IV. Adolf von Schweden (BlauesBlut) als Quelle angegeben war. Das Buch habe ich inzwischen gekauft.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Das könnte sie auch interessieren

Tiere

Haben Tiere ein Recht auf Leben?

Anders als etwa in Deutschland oder Österreich, wo für die Tötung von Tieren ein vernünftiger Grund vorliegen muss, gewährt das Schweizer Recht Tieren tatsächlich keinen ausdrücklichen und generellen Anspruch auf Leben.

Tiere

Gefiederte Ameisenjäger

Viele Spechte leben im Wald, doch der Grünspecht zeigt sich recht häufig in Obstgärten und Siedlungsgebieten. Er bevorzugt halboffene Wiesenlandschaften mit Baumbestand und sucht vor allem am Boden nach Nahrung.

Tiere

Gewaltfreie Hundeerziehung

Das Gesetz verpflichtet Hundehaltende, Ihre Vierbeiner so zu erziehen, dass sie diese jederzeit unter Kontrolle haben  und andere Menschen oder Tiere nicht belästigen können. Dabei sind  die Hunde unter Beachtung der tierschutzrechtlichen Grundsätze zu erziehen.

Tiere

Ein Lebenskünstler vor der Haustür

Füchse leben nicht allein in Wald und Flur, sondern längst auch in Siedlungsgebieten. Sie sind geschickte Mäusejäger, können aber als anpassungsfähige Kleinraubtiere ganz unterschiedliche Nahrungsquellen nutzen