© Prisma

Hunde für alle Fälle

Hunde sind Freunde und Familienmitglieder, aber längst auch ausgebildete Helfer, die Dinge aufspüren, den Menschen den Alltag erleichtern, ihnen ein selbstständiges Leben ermöglichen oder als Sozialhunde mit ihren Besuchen wohltun.

Text: Fabian Rottmeier. Dieser Artikel ist erstmals in der Zeitlupe-Ausgabe 6/2017 erschienen.

Wenn Adrian Kummer frühmorgens das Alterszentrum Alban-Breite betritt, sitzt Frau Boller meist schon im Foyer. Die 88-jährige Bewohnerin des Stadtbasler Alterszentrums wartet geduldig auf Kummers Begleiter Nico und Champ. Sie begrüsst und streichelt die Golden Retriever herzlich. «Mini Buebä», wie sie die beiden nennt, wedeln freudig. «Mit dieser Begegnung beginnt für Frau Boller jeder Tag positiv», sagt Gerontologe und Zentrumsleiter Adrian Kummer, der seit über 30 Jahren im Gesundheitswesen tätig ist. «Das Treffen ist für sie jedes Mal ein kleines Fest.»

Nico und Champ sind sogenannte Sozialhunde, mit denen «durch gezielte Einsätze eine positive Auswirkung auf das Erleben und das Verhalten von Menschen erzielt werden soll», wie es in einer Broschüre der Blindenhundeschule Allschwil heisst. Adrian Kummer hat sich dort aus- und später weiterbilden lassen. Heute ist er Sozialhundetrainer und führt nebenbei eine eigene Hundeschule. Die Liste von Vierbeinern, die den Menschen assistieren, sie begleiten oder ihnen durch ihre Spürnasen helfen, ist mittlerweile lang: Neben Blindenführhunden, Hirtenhunden, Polizeidiensthunden oder Lawinenhunden gibt es nun auch Signalhunde für taube Menschen, Assistenzhunde, die Menschen mit eingeschränkter Mobilität mehr Selbstständigkeit im Alltag ermöglichen, Autismus-Begleithunde für Kinder oder auch Warnhunde für Diabetiker, die deren Unterzuckerung an der Ausdünstung und dem Verhalten bemerken. Erstaunlich, dass in der Medizin nicht vermehrt auf Hunde gesetzt wird, obwohl man schon seit mehreren Jahren weiss, dass sie über die Nase auch Tumore im Anfangsstadium anzeigen können, etwa bei Lungen- oder Prostatakrebs.

© zVg

Der Sterbebegleithund

Peggy Hug, Mönchaltorf ZH, mit Nera: «Ich habe viele ältere Menschen mit meinen Therapiehunden besucht. Manche bis kurz vor ihrem Tod, einige – wenn sie es wünschten – auch in ihren letzten Minuten. Nera merkt oft, dass eine Person gestorben ist, noch bevor es die medizinischen Überwachungsgeräte anzeigen, und wendet sich vom Bett ab. Sie entfernt sich, so wie sie es auch zu Hause gemacht hat, als wir unsere Hündin Aischa einschläfern mussten.»

Die Nase eines Hundes ist bis zu einer Million Mal empfindlicher als unsere, wie der norwegische Professor für Verhaltensforschung Frank Rosell in seinem Buch «Die Welt der Gerüche» schreibt (norwegischer Titel: «En Nese für alt»). Eine Forscherin an der Uni Prag fand 2014 zudem heraus, dass Hunde Menschen auch dann durch Riechen an einem Lappen erkennen können, wenn ihn diese gar nie berührt haben. Für die Identifikation reicht es den Vierbeinern bereits, wenn der Mensch seine Hand während lediglich drei Minuten fünf Zentimeter über den Lappen gehalten hat. Kein Wunder, gibt es da weltweit auch exotische Spürhunde, die verlorene Golfbälle finden oder verfaulte Weinkorken anzeigen. Laut Frank Rosell strömt die Luft beim Schnuppern in einen Seitenweg, eine olfaktorische Vertiefung, die im hintersten Teil der Nasenöffnung des Hundes liegt. Dort wird die Luft langsam filtriert, bevor sie in die Lunge strömt. 

Hunde wirken rundum positiv 

Schon lange gilt der Hund als treuer Gefährte, oft nimmt er sogar den Stellenwert eines Familienmitgliedes ein. Laut der Datenbank Amicus lebten Ende 2021 insgesamt 546 000 Hunde in der Schweiz – 27 000 mehr als zu Beginn der Corona-Pandemie im März 2020. Wie der österreichische Verhaltensforscher Kurt Kotrschal in seinem Buch «Hund & Mensch» schreibt, konnten Wissenschaftler in den letzten Jahren beweisen, dass Hunde auf den Menschen einen positiven gesundheitlichen Einfluss haben – sogar dann, wenn man das Tier kaum kennt oder es nur kurz trifft. Hunde animieren ihre Halterinnen und Halter nicht nur zu mehr Bewegung, sie steigern auch deren psychisches Wohlbefinden. So lassen sie die Menschen alleine durch ihre Anwesenheit oder Zuneigung gelassener und ausgeglichener werden, sie senken dank ihrer Präsenz deren Blutdruck oder fördern die Produktion von Glückshormonen. Kurz gesagt: Wer gesund alt werden möchte, hat bessere Chancen, wenn er sich eine «Luna» oder einen «Max» zulegt. Denn Menschen mit Hund sind auch besser sozial vernetzt und weniger gefährdet, an einer Altersdepression zu erkranken. Eine Studie aus den USA konnte 1980 belegen, dass die Chance, nach einem Herzinfarkt das erste Jahr zu überleben, mit einem Hund achtmal grösser ist als ohne.

Vieles, was Kurt Kotrschal in jahrelanger wissenschaftlicher Arbeit zusammengetragen hat, erlebt Adrian Kummer täglich im Alterszentrum. Er nimmt seine Hunde seit 20 Jahren zur Arbeit mit, wo sie als Eisbrecher und Stimmungsmacher wirken, wortkarge Leute zum Plaudern bringen oder Menschen, die morgens keine Lust haben, ihr Bett zu verlassen, alleine durch ihre Präsenz animieren aufzustehen. «Heikle» Gespräche würden zudem oft viel entspannter ablaufen, wenn die Hunde unter dem Tisch lägen, sagt Adrian Kummer.

Dann erzählt er von einer 95-jährigen Frau, die ständig verängstigt gewesen sei – ausser wenn Nico bei ihr war. Wenn der Golden Retriever seinen Kopf und seine Vorderbeine auf ihr Bett legte, begann sie ihn zu streicheln, sich zu entspannen und konnte ruhig einschlafen. «Solche Erlebnisse sind grossartig», schwärmt der Leiter des Alterszentrums, «die Menschen erhalten vom Tier Zuneigung und Wärme.» Weil Adrian Kummer früh bewusst war, welch wohltuende Wirkung Tiere insbesondere auf ältere Menschen haben können, sind diese im «Alban-Breite» stets willkommen. Je nach Situation können sie beim Eintritt ins Alterszentrum sogar mitgebracht werden. 

© Fabian Rottmeier (2017)

Der Lawinensporthund

Susanne Ommerli, Wald ZH, mit Haredale Vivid Roe: «Die Freude von Roe, wenn sie aus dem Auto hüpft und realisiert, dass ein Training ansteht, ist riesig. Ich bin froh, dass wir nur zum Spass Kollegen aus dem Schnee befreien. Wer die dritte Stufe der Lawinenhundeprüfung besteht, kann sich für die Schweizer Meisterschaft qualifizieren. Roe hat die beiden Verschütteten innert neun Minuten ausgemacht – auf einer Fläche von 9000 Quadratmetern: 3. Platz bei 25 Teams.»

Die Halter und Halterinnen von Sozialhunden besuchen mit ihren Vierbeinern aber nicht nur Alterszentren, behinderte, betagte oder kranke Menschen daheim, sie sind auch in Kindergärten, Schulen, Spitälern oder Gefängnissen gefragt. Schulkinder können so Ängste vor Hunden abbauen oder das Trauma einer Hundeattacke verarbeiten. Die Einsätze der Mensch-Hunde-Duos werden alle ehrenamtlich und unentgeltlich erbracht. Wer sich den Besuch eines Sozialhundes wünscht, muss nur in Allschwil anrufen (siehe Box). Die Ausbildung mit dem eigenen Hund an der Blindenhundeschule Allschwil dauert acht Monate – mit etwas Geduld ist sie auch mit einem Hund aus der Zucht der Stiftung möglich. Blindenführhunde hingegen werden in Allschwil gezüchtet und von Profis ausgebildet. Sie bleiben lebenslang im Besitz der Stiftung.

Die Tierschutzorganisation «Vier Pfoten» begrüsst die Tendenz «grundsätzlich», dass Hunde heute vermehrt ausgebildet werden und viele Aufgaben erfüllen. «Sie haben Spass an Herausforderungen, wenn sie ihr gewachsen sind», so Kampagnenleiterin Lucia Oeschger. Heikel könne es sein, wenn sie an Situationen herangeführt würden, die sie sonst vermeiden würden. Dem Tier soll neben Pausen auch die tägliche Bewegung und genügend Zeit mit Menschen und anderen Hunden ermöglicht werden.

Die Sozialbesuche sind anspruchsvoll

«Ein wichtiger Teil der Ausbildung widmet sich dem Schutz des Hundes. Er kommt immer zuerst», betont Adrian Kummer. Man lerne genauestens, seinen Hund zu «lesen». «Damit man schnell merkt, wenn er müde oder nervös wird.» Denn so locker die Besuche auch aussehen mögen, für den Sozialhund seien sie anspruchsvolle Arbeit, die er jedoch gerne mache. Kummer lässt Nico und Champ deshalb nie alleine – selbst dann nicht, wenn sie nur den Kopf auf die Füsse einer Seniorin legen und von dieser gekrault werden.

Der Assistenzhund

Edel Gerer, Luzern, mit Gracy: «Gracy ist ein grosses Geschenk. Dank ihr kann ich freier und selbstständiger leben. Seit einem Autounfall leide ich unter anderem an starken Schmerzen, Aussetzern und Gleichgewichtsstörungen. Im Notfall bringt Gracy mir Medikamente, Wasser oder das Telefon. Neulich reichte nachts ein Husten, und sie stand mit den Medikamenten am Bett. Dass sie mich auch führen kann, erleichtert vieles, etwa den Einkauf.»

Ob Sozialhund, Blindenführ- oder Assistenzhund: Besonders schwierig wird es, wenn ein Tier gesucht wird, das zwei Rollen beherrschen soll, wie im Fall von Edel Gerer (siehe Box). Nach einem unverschuldeten Autounfall hat die Blindenhundeschule Allschwil für sie einen Assistenzhund ausgebildet, der wegen ihrer Sehstörungen auch Führarbeit übernehmen kann. Die Vorbereitungen, die Auswahl und Ausbildung des Hundes nahmen fast zwei Jahre in Anspruch.

Hunde sind nicht nur extrem gute Beobachter, die kleinste Abweichungen im Verhalten registrieren, sie verstehen die Menschen wohl auch viel besser, als lange angenommen wurde. Die Wissenschaft geht davon aus, dass sie nicht nur unseren Gesichtsausdruck deuten können, sondern auch unsere Beziehung zu anderen Menschen. In einer japanischen Studie nahmen Hunde das Futter häufiger von derjenigen Person, die zuvor einer anderen behilflich gewesen war. Und so verstehen Nico und Champ vielleicht sehr wohl, weshalb Frau Boller Tag für Tag im Foyer sitzt und auf sie wartet. Adrian Kummer ist sich sicher: «Die Hunde sind ein wichtiger Grund, dass sie sich schnell eingelebt hat bei uns.» ❋

© Fabian Rottmeier (2017)

Der Blindenführhund

Maria-Theresia Müller, Bremgarten AG, mit Gino: «Gino ist mein dritter Hund, seit es mir auch als hörsehbehinderter Person erlaubt ist, einen Führhund zu haben. Er ist mein Freund und gibt mir viel Sicherheit und Selbstständigkeit. Ich habe ihn darauf ausbilden lassen, dass er mich auf Wunsch auch zu Robidog-Kästen führt. Mittlerweile muss ich oft nicht einmal etwas sagen. Das volle Säckli in der Hand reicht – und er bleibt davor stehen.»

© Fabian Rottmeier (2017)

Der Sozialhund

Adrian Kummer, Oberwil BL, mit Nico und Champ: «Der Hundesport war nie meine Welt. Die Sozialhundearbeit dagegen hat mich sofort begeistert. Ich werde mit unvergesslichen Besuchen belohnt. Man kennt mich mittlerweile fast nur noch mit meinen Hunden, was mich freut. Als ich mir vor zwei Jahren beim Skifahren den Arm brach, haben mich Nico und Champ jedoch zuerst gemieden, was mich enorm kränkte – bis ich verarztet war. Dann wichen sie kaum von mir.»

Wie erhalte ich Besuch von einem Sozialhund?
Wer zu Hause oder im Alterszentrum unentgeltlich von einem Sozialhund und dessen Begleitung besucht werden will, kann sich an folgende Stellen wenden:

❋ Stiftung Schweizerische Schule für Blindenführhunde Allschwil, Telefon 061 487 95 95, Mail sozialhunde@blindenhundeschule.ch, blindenhundeschule.ch
❋ Verein Therapiehunde Schweiz, Telefon 041 755 19 22, Mail info@therapiehunde.ch, therapiehunde.ch

© Fabian Rottmeier (2017)

Der Polizeihund

Jean Vollenweider, Leiter des Diensthundewesens der Kantonspolizei Zürich, mit Nyra: «Die Nasenarbeit mit den Hunden ist meine Passion. Nyra ist ein Betäubungsmittel- und Notengeldspürhund. Die Hunde in unserem Corps haben schon Geld in Gewürzdosen oder Benzintanks gefunden. Sie leisten auch Hilfe bei Erbgeldern, die im Haus versteckt sind. Damit die Hunde eine Note oder eine Droge aufspüren können, müssen wir sie auf jeden Inhaltsstoff konditionieren.»


Beitrag vom 08.02.2022

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Das könnte sie auch interessieren

Tiere

Haben Tiere ein Recht auf Leben?

Anders als etwa in Deutschland oder Österreich, wo für die Tötung von Tieren ein vernünftiger Grund vorliegen muss, gewährt das Schweizer Recht Tieren tatsächlich keinen ausdrücklichen und generellen Anspruch auf Leben.

Tiere

Gefiederte Ameisenjäger

Viele Spechte leben im Wald, doch der Grünspecht zeigt sich recht häufig in Obstgärten und Siedlungsgebieten. Er bevorzugt halboffene Wiesenlandschaften mit Baumbestand und sucht vor allem am Boden nach Nahrung.

Tiere

Gewaltfreie Hundeerziehung

Das Gesetz verpflichtet Hundehaltende, Ihre Vierbeiner so zu erziehen, dass sie diese jederzeit unter Kontrolle haben  und andere Menschen oder Tiere nicht belästigen können. Dabei sind  die Hunde unter Beachtung der tierschutzrechtlichen Grundsätze zu erziehen.

Tiere

Ein Lebenskünstler vor der Haustür

Füchse leben nicht allein in Wald und Flur, sondern längst auch in Siedlungsgebieten. Sie sind geschickte Mäusejäger, können aber als anpassungsfähige Kleinraubtiere ganz unterschiedliche Nahrungsquellen nutzen