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«Alte Hunde können gemobbt werden»

Die deutsche Naturforscherin Elli H. Radinger fasst in ihrem Bestseller zusammen, was man von alten Hunden lernen kann. 

Interview: Roland Grüter

«Die Weisheit alter Hunde»: So lautet der Titel Ihres jüngsten Buches. Darin haben Sie die Erfahrungen mit Ihrer alten Hündin Shira verarbeitet. Was genau haben Sie von ihr gelernt?
Oh, jede Menge. Die Art und Weise, wie Hunde mit ihren Gebrechen oder Veränderungen umgehen, ist besonders vorbildlich. Shira ist jetzt 14. Sie akzeptiert das Unvermeidliche, beispielsweise ihre gelegentlichen Gelenkschmerzen, die wir ihr zu nehmen versuchen, oder Einschränkungen der Lebensqualität, was ihr vermutlich aber gar nicht so vorkommt. Sie kämpft nicht dagegen an, sondern geniesst einfach nur ihr Leben in jedem Moment.

Welche Verhaltensweise Ihrer Hündin haben Sie selber übernommen?
Ich bin ja leider ein Workaholic, nehme mir aber jetzt – dank Shiras Beispiel – immer wieder Auszeiten, um den Wolken nachzusehen oder an einer Blume zu schnuppern. Carpe diem.

Zoologen wenden ein, dass Tiere stur einem biologischen Konzept folgen, frei jeglicher Sentimentalitäten und Emotionen sind. Sehen Sie das anders?
Diese Thesen sind wissenschaftlich längst widerlegt. Wir wissen heute, dass Tiere intelligent sind, planen, dass sie Empathie empfinden und ein Seelenleben haben. Wir Menschen verdanken unsere Gefühle und unsere Moral den Tieren. Wir gehören zusammen, auch der Mensch ist ein Tier.

Trotzdem: Ziehen Sie aus dem Verhalten Ihrer Hündin Schlüsse, die da gar nicht sind?
Schon möglich. Ich lebe ja mit meiner Hündin in einem engen Familienverband zusammen, nicht in einem Versuchslabor. Unsere Kommunikation funktioniert wie in allen anderen Familienverbünden: Andere schliessen aus dem Verhalten ihrer Frau oder ihres Mannes auch Schlüsse. Ähnlich ist es mit Shira. Ich kann sie schlecht fragen, was sie meint oder will – auch wenn ich das im Buch manchmal scherzhaft tue.

Sie haben lange Jahre Wölfe erforscht. Altern Wölfe anders als Hunde?
Wölfe in Gefangenschaft altern ähnlich. Sie werden so alt wie Hunde, also bis 16 Jahre. Wild lebende Wölfe aber sterben in der Regel früher, die meisten im ersten Lebensjahr. Wilde Wölfe müssen über die Jahre zahlreiche Verletzungen und Krankheiten ertragen. Die ältesten Tiere, die ich im Yellowstone Park beobachtet habe, waren 11 und 13. Auch deren Gang war etwas steifer, sie schliefen länger, bewegten sich weniger. Da sie an der Jagd nicht mehr teilnehmen konnten, wurden sie vom Rest des Rudels versorgt.

Welche Rolle spielen alte Tiere im Rudel?
Alte Wölfe geniessen in ihren Familien grossen Respekt. Sie werden liebevoll unterstützt und sind hochgeachtet. Bei Revierkämpfen mit Konkurrenten haben Rudel mit alten Wölfen eine deutlich höhere Chance zu siegen. Das liegt an ihrer Erfahrung. Sie wissen, was funktioniert und was nicht, vermeiden Konflikte, die sie nicht gewinnen können, und erhöhen so die Überlebenschancen.

Gilt das auch für Hunde?
Normalerweise schon. Allerdings haben mir Leserinnen und Leser auch schon von Seniorenhunden erzählt, die in Gruppen leben und gemobbt werden – ob zu Hause oder auf Spaziergängen. Hier sind die Halterinnen und Halter gefordert: Sie müssen den alten Hund schützen und dafür sorgen, dass er nicht genervt wird.

Elli H. Radinger

ist Autorin und unabhängige Naturforscherin mit Schwerpunkt Wolf und Hund. Seit über 30 Jahren beobachtet sie wild lebende Wölfe in den USA und arbeitete viele Jahre im Yellowstone-Wolfsprojekt mit. Ihre Bücher «Die Weisheit der Wölfe» (2017) und «Die Weisheit alter Hunde» (2018) sind internationale Bestseller. Beide Bücher sind im Ludwig-Verlag erschienen. Mehr Infos: www.elli-radinger.de

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  • Beitrag vom 10.09.2019