© Dreamworks

Drachenzähmen leicht gemacht 30. Juni 2025

Die langjährige Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder erzählt alle zwei Wochen aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: von einem Film mit Happy End zur Realität. 

Ganz langsam nähert sich Hicks, Häuptlingssohn des Wikingerstamms von Berk, dem verwundet abgestürzten Nachtschatten. Erschrocken zieht er seine Hand zurück, als ihn der Drache anfaucht. Dann versucht er es noch einmal, immer wieder, sanft redet er dabei auf das flugunfähige riesige Geschöpf ein. Tag für Tag besucht er es und bringt ihm Fische zum Fressen. Mit unendlicher Geduld kommt er ihm jedes Mal ein kleines Stücklein näher, bis er es berühren kann. Der Drache weicht nicht mehr zurück, neugierig beschnuppert er den Zweibeiner, der ihm offensichtlich gut gesinnt ist. 

Wir sitzen im Kino um die Ecke – so nennt sich unser nächstgelegenes Kino – und schauen uns den Film «Drachenzähmen leicht gemacht» an. Zwischen uns die grosse Kleine, eine Tüte Popcorn auf den Knien und mit einer 3D-Brille auf der Nase, die uns an der Kasse abgegeben wurde. Gebannt schauen wir zu, wie Hicks und der Drache – der Häuptlingssohn nennt ihn inzwischen Ohnezahn – langsam miteinander vertraut werden. Ohnezahn lässt sich von Hicks das kaputte Schwanzruder reparieren. Schliesslich schwingt er sich mit dem Jungen hoch in die Luft. Dank der 3D-Brille fliegt uns das ungleiche Gespann entgegen und wir sind mitten drin im Geschehen. 

Während Hicks im Verborgenen seine neue Freundschaft pflegt, führt Häuptling Haudrauf mit seinen Kämpfern einen erbitterten Krieg gegen die Drachen, die sein Dorf angreifen und ihre Schafe stehlen wollen. Doch Hicks weigert sich, mit in die Schlacht zu ziehen. «Ich töte keinen Drachen» beharrt er stur. Dafür erträgt er die Verachtung seines Vaters und das Misstrauen seines heimlichen Schwarms Astrid. 

Natürlich gibt es ein Film-Happy-End: Mit unermüdlicher Geduld und dank eines schlauen Plans schaffen Hicks und seine wenigen zweibeinigen und geflügelten Freunde, dass es zwischen den Drachen und dem Wikingerstamm von Berg Frieden gibt. Zwar verliert Hicks im finalen Kampf ein Bein – doch was ist das schon im Vergleich zur neu gewonnenen Harmonie zwischen den ehemaligen Feinden?

Mein Mann stupst mich an: «Ein Film für dich, du Fundamental-Pazifistin.» Tatsächlich hatte ich gerade über die Parallelen zum «richtigen» Leben nachgedacht. Im Film heissen die Anführer der verfeindeten Parteien Haudrauf und Roter Tod. In der Realität geht ein russisch-amerikanisch-israelisches Trio alter weisser Männer buchstäblich über Leichen. Im Film finden Mord und Totschlag dank gutem Willen, genügend Phantasie und unkonventionellen Methoden ein Ende. Im realen Leben streckt keine Partei die Hand zur Versöhnung aus. 

Auf dem Heimweg erklärt die grosse Kleine «Drachenzähmen leicht gemacht» zu ihrem neuen Lieblingsfilm. Sie hofft auf die Fortsetzung, denn der Streifen ist eine Neuverfilmung des 2010 erschienen gleichnamigen Animationsfilms. Da habe es auch drei Teile gegeben, sagt sie. Der dritte sei aber ein bisschen traurig: Ein mächtiger Drachentöter treibe sein Unwesen, die Drachen in Berk sind nicht mehr sicher. Deshalb schickt Hicks und mit ihm das ganze Wikingerdorf die geflügelten Freunde zurück in die geheime Drachenwelt bei den Wasserfällen weit unten auf dem Meeresgrund. Nachdenklich fügt sie an: «Sie tun es aus Liebe. Dabei möchten sie doch für immer zusammenbleiben.»


  • Wann waren Sie das letzte Mal mit Ihrer Enkelin oder Ihrem Enkel im Kino? Was haben Sie sich angesehen und wie war der Film? Wir würden uns freuen, wenn Sie uns davon berichten oder die Kolumne teilen würden. Herzlichen Dank im Voraus.
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Beitrag vom 30.06.2025
Usch Vollenwyder

Zeitlupe-Redaktorin
© Jessica Prinz

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