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Abschied auf dem Zürichsee 16. Dezember 2024

Die langjährige Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder erzählt alle zwei Wochen aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: von einem legendären Hit und einer besonderen Bestattung.

Über eine Million Mal wurde die Platte verkauft, drei Monate lang war sie die Nummer Eins in der Schweizer Hitparade. Der Erfolg von «Grüezi wohl Frau Stirnimaa» kam für die Minstrels überraschend; 1969 katapultierte der Gassenhauer die drei Minnesänger quasi über Nacht ins Rampenlicht der Öffentlichkeit. «Dabei wollte ich einfach Musik machen, eine Karriere war doch gar nie mein Ziel», sagte Mario Feurer, der Komponist des legendären Hits, dreissig Jahre später in einem Gespräch mit der Zeitlupe.

«Ich wollte doch immer nur spielen» steht auch auf der Todesanzeige von Mario Feurer. Sie zeigt ein Foto des Zürcher Musikers, der Mitte Oktober verstorben ist: Er sitzt auf einer Bastmatte am Boden, ein farbiges Tuch um seine Hüfte geschlungen, eine Hibiskusblüte hinter dem Ohr und unter dem Kinn die Geige – seine lebenslange, ständige Begleiterin. Das Foto wurde in Goa aufgenommen, wo Mario Feurer und seine Frau Hanna während vieler Jahre die Winterwochen verbrachten, um dem kalten und grauen Schweizer Wetter zu entkommen. 2021 starb Hanna, ihre Asche hatte Mario bis zuletzt bei sich zu Hause aufbewahrt.

Trüb und regnerisch ist es am vierten Dezember, als Marios und Hannas Asche in einer gemeinsamen Urne dem Zürichsee übergeben werden soll. Diese steht im Eingang der MS Etzel, geschmückt mit Blüten des tropischen Frangipani. Darüber hängt ein Foto des Paares, wie es am Fenster seiner Stadtwohnung steht – immer parat, Gäste willkommen zu heissen. Meine Schwester ist Marios Schwägerin; sie begrüsst in einer kurzen Rede die Gäste an Bord: Wer weiss, sagt sie, vielleicht werde ja «Mariohannas» Asche – so hätten die beiden jeweils ihre Kartengrüsse aus Südindien unterschrieben, immer mit einem kleinen Herzchen auf dem i – vom Zürichseewasser bis nach Goa zurückgetragen… Das bunt gemischte Publikum hebt sein Glas. Traurig und fröhlich, man kann beides sein.

Nach einer halben Stunde drosselt der Kapitän den Motor, die MS Etzel schaukelt nur noch sanft auf den Wellen des Sees. Ein Mitarbeiter der Schiffs-Crew öffnet die Reling, der Schwager und ein Neffe von Mario lassen die Urne sanft ins Wasser gleiten. Der Künstler Anton Bruhin zückt seine Maultrommel und spielt eine wehmütige Melodie. La Lupa, wie immer farbig gekleidet, singt eine Hymne an das Leben aufs Wasser hinaus und dem Himmel entgegen. Dann rezitiert sie in ihrer Muttersprache den Sonnengesang des Franz von Assisi. Wie ein Gruss aus einer anderen Welt bricht sich in diesem Moment ein Sonnenstrahl durch die dunklen Wolken. Spontan stimmt Vera Kaa mit ihrer tiefen, warmen Stimme «Ich nime no en Campari Soda, wiit under mir liit s Wolkemeer» an. Die Augen werden feucht. Alles fügt sich zusammen.

Danach verwöhnt die Schiffs-Crew die Gäste mit einem reichhaltigen Apero. Die Stimmung ist gelöst. Es wird viel gelacht, Erinnerungen werden ausgetauscht, neue Bekanntschaften geschlossen. Immer wieder wird auf Mario und Hanna angestossen. Der Abschied passt zu den beiden und ist tröstend für die Dableibenden. Als die MS Etzel am Schiffsquai anlegt, regnet es in Strömen.

Auf der Todesanzeige hatte Marios Familie gebeten: «Wer Gutes tun möchte, werfe dem nächsten Strassenmusiker einen Fünfliber in den Hut.» Was für eine ungewöhnliche und doch so stimmige Idee! Wenn jede und jeder auf der MS Etzel auch nur einem halben Dutzend Strassenmusiker fünf Franken gibt, macht Marios Abschiedsgesellschaft ein paar hundert Musizierende glücklich – ganz so, wie es zum Sänger und Komponisten der legendären «Frau Stirnimaa» gepasst hätte.


  • Erinnern Sie sich noch an die Minstrels und «Grüezi wohl Frau Stirnimaa» ? Wir würden uns freuen, wenn Sie uns davon berichten oder die Kolumne teilen würden. Herzlichen Dank im Voraus.
  • Hier lesen Sie weitere «Uschs Notizen»

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Beitrag vom 16.12.2024
Usch Vollenwyder

Zeitlupe-Redaktorin
© Jessica Prinz

  • Ursula Voegeli sagt:

    Erinnerung an Mario Feurer:
    An einer früheren Jubiläumsfeier unseres ehemaligen Zahnärzte-Semesters im Hotel Sonnenberg war Mario Feurer als Unterhaltungsgast eingeladen. Er kam zusammen mit seiner Geige und einem Musikkollegen. Gegen Ende ihrer Darbietung begannen wir alle begeistert mitzusingen. Als das vereinbarte Engagement beendet war, schickte er seinen Musiker-Kollegen nach Hause. Er aber blieb bis zum Schluss und sang fröhlich mit uns weiter, auch alle die Studentenlieder, die wir bei unseren Festen immer begeistert sangen und liebten, und spielte dazu ganz selbstverständlich auf seiner geliebten Geige. Seinetwegen bleibt mir dieses Fest immer in besonders lieber Erinnerung.

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