Traumberuf Bäuerin

Bäuerin war für Hanni Bieri-Jost aus Leissigen BE schon als Mädchen ihr Traumberuf. Ihren Traummann mit Haus und Hof suchte sie per Inserat.

Johanna Margareta heisse ich eigentlich, aber alle nennen mich einfach Hanni. Aufgewachsen bin ich in Galmiz am Murtensee, wo mein Vater als Gemeindearbeiter tätig war. Meine Eltern kauften dort nach der Heirat ein bescheidenes Häuschen. Beide hatten keinen Beruf erlernen können und ihr Geld als Magd und Knecht verdient.

In unserer Küche standen ein Holzherd und ein Abwaschtrog. Fliessendes Wasser im Haus oder gar ein Badezimmer hatte damals fast niemand. Draussen beim Stall gab es ein Plumpsklo. Der Kachelofen heizte nur die beiden Zimmer im Parterre notdürftig. Im Schlafzimmer im oberen Stock, das ich mit meinen drei Geschwistern teilte, war es im Winter so kalt, dass sich an den Fenstern Eisblumen bildeten und wir samt den Kleidern zu Bett gingen. Trotzdem hatte ich nicht das Gefühl, dass mir etwas fehlte. Aber mit der heutigen Zeit lässt sich meine Kindheit natürlich nicht vergleichen.

Fast alle waren Selbstversorger

Im Dorf waren die meisten Leute Bauern oder besassen zumindest einen grossen Garten und ein paar Schweine und Chüngel so wie wir. Als Selbstversorger kaufte man nur Öl, Essig, Zucker und Salz im Kolonialwarenladen. Wir Kinder halfen überall mit, denn es gab immer viel zu tun mit den Tieren, mit Obst, Gemüse, Kartoffeln und dem Einmachen im Herbst. Mir gefielen diese landwirtschaftlichen Arbeiten und ich wollte schon als kleines Mädchen Bäuerin werden. Da ich jedoch immer zu den Kleinsten gehörte, hiess es: «Aus dir wird sicher nie eine Bäuerin.»

Hanni Bieri zuammen mit Klassenkameraden auf einem Brunnenrand am Schulhaus.
Auf dem Brunnenrand: Hanni Bieri ist die Zweite von rechts. 

Das Klassenfoto von etwa 1957 zeigt mich – Zweite von rechts – mit meinen Kameradinnen und Kameraden der fünften Klasse auf dem Brunnenrand beim Schulhaus. Wahrscheinlich ging es gegen den Frühling zu, denn die Buben tragen bereits kurze Hosen und ich Sandalen. Wie war ich jeweils froh, war die Zeit der warmen Wollstrümpfe vorbei – nur schon beim Gedanken daran spüre ich das Kratzen an den Beinen wieder. Im Sommer gingen wir barfuss zur Schule, im Winter in Holzböden, auf die der Vater Sohlen aus alten Veloreifen nagelte.

Ein gefürchteter Lehrer

An die Schule erinnere ich mich nicht gern. Unser Lehrer schlug uns mit dem Stock oder Lineal und riss uns Mädchen an den Zöpfen. Ab und zu einen «Chlapf» kannte ich wie die meisten von daheim, das galt früher als normal. Aber unser Lehrer war so grob, dass ich mir bis heute überlege, was wohl in ihm vorging. Am heftigsten verprügelte er die Verdingkinder, die wegen ihrer Arbeit oft zu spät und mit dreckigen Händen zur Schule kamen. Mit meinem heutigen Selbstvertrauen würde ich mich wehren, aber damals liessen wir uns einschüchtern und schwiegen.

Der Lehrer galt früher als Instanz, die man nicht kritisierte. Erst ein aus Bern zugezogener Mitschüler erzählte daheim von den Misshandlungen und zerbrach den Stecken des Lehrers. Zum Glück haben sich diesbezüglich die Zeiten geändert. Heute, dünkt mich, erleben wir eher das andere Extrem: Ein Lehrer kann gar nicht mehr streng sein, sonst bekommt er es gleich mit den Eltern zu tun.

Die Sekundarschule kam für unsereins nicht in Frage, da gingen höchstens die Kinder von Gemeinderäten, vom Bäcker oder vom Käser hin. Auch was man werden wollte, wurde man kaum gefragt. Mein Vater meinte: «Du brauchst keine Lehre, du heiratest ja bald.» So ging ich für ein Jahr ins Welschland zu einer Bauernfamilie. Mit 19 arbeitete ich ein Jahr in London als Nanny, wo ich viel lernte – nicht nur sprachlich. Zurück in der Schweiz war ich in verschiedenen Restaurationsbetrieben und 12 Jahre beim Schweizerischen Volksdienst in einer Grosskantine für Bundesangestellte in Bern tätig.

Ein Inserat mit Folgen

Bereits mit 22 hatte ich geheiratet und es in meiner Ehe nicht gut getroffen. Trotzdem harrte ich lange aus, wie damals üblich. Trennte sich ein Paar, so galt: Schuld war immer die Frau. Geschiedene Frauen wie mich liess man ihr Scheitern überall spüren. Trotzdem sage ich im Rückblick: Damals fing mein Leben erst an.

Ich nahm mein Schicksal selbst in die Hand und suchte per Inserat in der Glückspost einen Bauern. 36 Briefe erhielt ich, antwortete aber nur einem Schreiber. Als Einziger versprach er mir nicht das Blaue vom Himmel, sondern erzählte bescheiden von seinem Hof und den zwei kleinen Kindern. Gleich beim ersten Treffen war mir klar: Das ist er!

So kam ich ins Emmental, wo in Haus und Hof an allen Ecken und Enden eine Frau fehlte. Obwohl wir von frühmorgens bis spätabends hart arbeiteten, blühte ich richtig auf. Kälber tränken, misten, heuen, emden, zu den Tieren, zum Garten und zu den Kindern schauen – es gab ständig etwas zu tun. Für Hobbys blieb keine Zeit, aber wir waren glücklich. In der Landwirtschaft, so meine Erfahrung, lernt man alles, was man im Leben braucht.

Das Paradies am Thunersee

1999 machte sich mein Mann nach dem Sturm Lothar, der uns vier Tage lang von der Umwelt abschnitt, beim Holzen den Rücken kaputt. Wir entschieden, unseren Hof an Sohn und Schwiegertochter zu übergeben und uns ein Häuschen zu suchen – schliesslich wollten wir den Jungen nicht dreinreden. Fündig wurden wir in Leissigen am Thunersee und wohnen nun seit zwanzig Jahren hier. Ich holte nach, was ich vorher verpasst hatte, sang in einem Chor und gründete eine Zithergruppe. Unterdessen sind wir stolze Grosseltern von vier Enkeln. Die Liebe zum Bauernberuf haben wir an unsere Kinder weitergegeben.

Hanni Bieri malt seit zwanzig Jahren.


Das Leben in unserem Dorf fühlt sich für mich an wie im Paradies. Manche sagen, in Leissigen sei nichts los, aber uns gefällt die Ruhe. Oft bin ich mit dem Velo oder mit meinen Wanderstöcken unterwegs und schwimme von Mai bis Oktober täglich im See: Im Wasser tanke ich Energie. Ich schreibe, male und fotografiere viel und habe früher auch Ausstellungen veranstaltet. Meine Motive finde ich direkt vor der Haustür: Sonne und Schnee, Wind und Wetter verzaubern die Berge und den See je nach Jahreszeit immer wieder neu.

Aufgezeichnet von Annegret Honegger

Beitrag vom 06.12.2023

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