Kürbisse und Karossen
Zu Besuch bei den Grosseltern im Rheintal: 1942 posierten Beatrice Müggler-Steiner aus Gossau SG und ihr Bruder im Kinderwagen und im Rennauto vor der Kürbis-Ernte.
Wie viele Leute damals musste auch meine Familie schauen, dass sie über die Runden kam. Man war mit wenig zufrieden und teilte mit denen, die noch weniger hatten. Wir Kinder spielten mit ganz einfachen Dingen – falls uns überhaupt Zeit dafür blieb, denn meist gab es viel zu helfen.
Das Rennauto, das der Götti meinem Bruder schenkte, war eine grosse Ausnahme und sein ganzer Stolz. So posierten wir 1942 in unseren Karossen bei den Grosseltern in Balgach im Rheintal fürs Foto. Der Nachbarsbub schaut ziemlich neidisch zu …
An jenem Wochenende fand der Umzug zum Wümmet-Abschluss statt, für uns Kinder immer ein grosses Ereignis. Deshalb trugen wir auch unsere Sonntagskleidung. Das weisse Röcklein hatte mir meine Tante aus Zürich geschenkt, die mir oft elegante Kleider nach der neusten Mode schickte. Das gefiel mir, denn im Alltag trug man ja immer dasselbe und ich musste zudem oft die Kleider meines älteren Bruders nachtragen. Mit dem «Haar-Lätsch», der am Sonntag dazugehörte, stand ich hingegen auf Kriegsfuss: Erst als Schulmädchen setzte ich durch, dass ich die seidene Schleife nicht mehr tragen musste. Vielleicht war meine Mutter froh, dass sie die Schleifen nicht mehr waschen und bügeln musste. Wie viel der Haushalt früher zu tun gab, kann man sich heute mit all den Maschinen kaum mehr vorstellen.
Ribelmais aus dem Rheintal
Bei meinen Grosseltern kam einfache Kost auf den Tisch. Oft gab es Ribelmais, die helle Maissorte, für die das Rheintal bekannt ist. Ribel war im Rheintal damals ein Hauptnahrungsmittel. Fast jede Familie besass ein Stückchen Land und oft auch einen kleinen Rebberg. Kürbis war noch nicht so beliebt wie heute, es gab höchstens Suppe oder Mus. Die Kürbiskerne wurden gewaschen, getrocknet und für allerlei verwendet. Den Rest verfütterte man den Tieren.
Obwohl Krieg herrschte, litten wir keine Not und erlebten eine glückliche Kindheit. Vielleicht auch deshalb, weil Schwieriges und Trauriges wie Armut, Krankheit oder der Tod damals ganz selbstverständlich zum Leben gehörten. Die Kinderlähmung war gefürchtet und konnte alle treffen. Ein Nachbarsmädchen, dem ich oft half, sass deswegen im Rollstuhl. Wenn jemand starb, nahm das ganze Dorf Anteil. Die Nachbarinnen kamen abends in der Stube der Trauerfamilie zusammen, um zu kondolieren und zu beten. Ich erinnere mich auch an die Bomben, die im Grenzgebiet fielen, oder an die Internierten, die nach Kriegsende auf die Dörfer verteilt wurden.
Glückliche Kindheit trotz des Krieges
Trotz des Krieges fühlte ich mich sicher. Mein Vater war zwar oft an der Grenze, kam aber manchmal für ein paar Stunden nach Hause, wenn er irgendwo warten musste. Er war Lastwagenfahrer in der Armee wie auch im zivilen Leben. Manchmal durfte eines von uns Kindern ihn in den Schulferien auf einer Fahrt begleiten, so sahen wir einiges von der Schweiz. Das Fahren war schon früh die Leidenschaft meines Vaters: Gerne erzählte er, wie er bereits als 17-Jähriger ganz allein mit dem offenen Lastwagen für die Ziegelei bis nach Genf fuhr. Man stelle sich das heute vor!
Die Grosseltern in Balgach besuchte ich gerne, nur auf dem Plumpsklo auf der Etage fürchtete ich mich oft hineinzufallen. Von daheim in Bürglen TG kannten wir bereits ein richtiges WC mit fliessendem Wasser. Bei den Grosseltern holte man das Wasser noch mit dem Eimer. Wer ihn ganz leerte, musste ihn wieder nachfüllen; darum liess man möglichst einen kleinen Rest übrig… Erst als ich älter war, verstand ich, dass meine Grosseltern im ärmsten Viertel des Dorfes wohnten. Den Platz hinter dem Haus nannte man manchmal «Bettelplatz»: Kinder, die hungerten, kamen hierher zum Betteln!
Geplatzte Berufsträume
Meinen Traum, OP-Schwester zu werden, konnte sich meine Familie nicht leisten. Das Geld brauchten wir, damit meine beiden Brüder eine Lehre machen konnten. Wenigstens eine einjährige Haushaltungsschule durfte ich besuchen. Danach kam ich zu Bekannten nach Zürich und arbeitete dort in der Bäckerei und mit den Kindern. Eine gute Zeit! Ich war 16 und sorgte finanziell bereits für mich selbst.
Handarbeitslehrerin wäre ich auch gerne geworden, aber meine Brüder spotteten nur über solche «Schnurpfi-Tanten». Heute wundert es mich, dass ich damals auf meinen älteren Bruder hörte. Schliesslich lernte ich Kostümnäherin bei ISA in Amriswil und fand später eine Stelle im Änderungsatelier bei Modissa am Zürcher Limmatquai. Frauen aus neun Nationen arbeiten dort, das gefiel mir sehr.
Daneben war ich im Thurgauer Blauring aktiv. Dass die Familien ihre Töchter am Samstagnachmittag mitmachen liessen, brauchte es oft Überzeugungsarbeit. Viele mussten daheim mithelfen. Wir lernten jedes Mal etwas Neues: Telefonieren, Telegramme aufsetzen, Verbände anlegen oder verschiedene Spiele.
Bis 25, sagte ich immer, müsse mich keiner fragen fürs Heiraten. Ich wollte ungebunden meine Freiheit geniessen. Meinen Mann lernte ich im Thurgau kennen. Nach der Hochzeit zogen wir nach St. Gallen und hatten zwei Söhne. Heute sind wir Grosseltern von sechs Enkelkindern, die uns viel Freude bereiten. Seit 26 Jahren wohnen wir in Gossau.
Seit ich Kind war, hat sich viel verändert. Schon damals lauschte ich gespannt, wenn alte Leute von früher erzählten. Bis heute habe ich selbst viel erlebt und hoffe, dass ich bald Zeit finde, um einiges aufzuschreiben. Es gibt so viel zu erzählen!
Passend zum Bild: Mein Lieblingsrezept für Kürbissuppe aus meinem Kochbuch von anno dazumal!
Rezept Kürbissuppe
aus «Küche, Kirche, Kochgenüsse»
von Josef Imbach:
- 1 Liter Fleisch- oder Gemüsebrühe
- 250 bis 300 g Kürbis
- 200 g Kartoffeln
- 100 g Karotten
- 1 Zwiebel
- ½ Stange Lauch
- 40 g Butter
- 100 ml Sahne
- 1 Semmel
Kartoffeln, Karotten und Zwiebel sowie den Kürbis schälen, letzteren entkernen und alles in Würfel, den Lauch in Streifen schneiden. Das Gemüse in einem Topf in 30 g Butter dünsten. Die Fleischbrühe dazugeben und alles etwa 40 Minuten köcheln. Mit dem Stabmixer pürieren und die Sahne dazugeben. Die Semmel in Würfelchen schneiden, in der restlichen Butter rösten und über die Suppe streuen.
Aufgezeichnet von Annegret Honegger
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