Der Gipfel der Rübe
Stängelkohl klingt nicht halb so attraktiv wie Cima di rapa. Aber hier gehts bekanntlich ums Essen, nicht um die Linguistik. Das sattgrüne Ding sieht aus wie eine Mischung aus Broccoli und Stangensellerie. Und ist grandios gesund.
Text: Gaby Labhart
Nun hat es auch diese bitter-aromatische Italienerin geschafft, in unseren Breitengraden zum Trendgemüse und Superfood zu avancieren. Die Globalisierung macht vor keinem Kohl halt. Cima di rapa, wortwörtlich «Gipfel der Rübe», klingt in italiano nicht nur sinnlicher, sondern ist auch botanisch sehr viel präziser als Stängelkohl. Tatsächlich handelt es sich hier um eine Varietät der Rübe – und nicht des Kohls. Und weil im Deutschen schliesslich immer der hintere Teil des zusammengesetzten Wortes sagt, worum es sich handelt, geht es hier also um Kohl. Was falsch ist. Es geht um Rübe. Man darf allerdings kulinarisch Milde walten lassen, weil das herb-bittere Aroma verwirrenderweise sehr viel mehr an Kohl als an Rübe erinnert.
Die Italienerinnen sind enorm Kohl-affin, was wir immer gerne vergessen, weil wir Sauerkraut und Federkohl mit deutscher Küche assoziieren. Aber Cavolo nero, äusserst beliebt in der Toscana, Romanesco, Blumenkohl und Broccoli sind in Italiens Küchen kein Beigemüse, sondern oft Hauptdarsteller.
Aus Apulien stammt wohl das beliebteste Pasta-Rezept mit Cima di rapa, das es mittlerweile auch nördlich des Alpenhauptkamms auf die Speisekarten in gängigen Trendlokalen geschafft hat: Orecchiette mit Cima di rapa. Sie gelten geradezu als kulinarisches Symbol von Bari, der Hauptstadt Apuliens. Das Gemüse waschen, zerkleinern und blanchieren. Ein paar Sardellenfilets im Olivenöl schmelzen, etwas Knoblauch und Peperoncino dazu anschwitzen, anschliessend das blanchierte Gemüse hineingeben und leicht anschmoren lassen (verdura stufata, sagen die Italienerinnen, also wortwörtlich «angeödetes Gemüse»). Die Orecchiette (Öhrchen), die man von Hand selber machen kann oder einfach beim Italiener um die Ecke gekauft hat, sind bereits al dente gekocht. Und kommen nun zum Gemüse. Im Prinzip fertig. Man kann jetzt noch geröstete Pinienkerne darüberstreuen (Puristen schütteln zu Recht den Kopf) oder Parmesan oder Pecorino darüberraffeln, nun ja…
Das Rüsten der Cime di rapa ist einfach: die dicken Enden der Stiele wegschneiden. Eventuell die Stiele mit dem Sparschneider etwas anschälen. Zerkleinern. Essbar ist alles vom Stiel über das Grün bis zu den Knospen. Und Saison hat das Trendgemüse fast das ganze Jahr über, nur im Hochsommer wird es nicht geerntet.
Achten Sie beim Einkaufen darauf, dass die Blüten im Herzen der Blätter, die an Broccoliröschen erinnern, noch intakt und frisch sind. Wenn sie leicht geöffnet sind, wird der Geschmack kohliger und schärfer. Diese zartbittere Schärfe ist den Senfölen zu verdanken, die Cima di rapa zu einem wahren Superfood machen.
Seit einigen Jahren spielen Gemüse aus der Gruppe der Kreuzblütler, wie z.B. Broccoli, Kresse, Rucola, Senf oder Rettich, aufgrund ihres hohen Gehalts an Senfölen eine immer wichtigere Rolle in der Krebsforschung. Der Gestängelte ist reich an Mineralstoffen, Karotin und Vitamin C. Er enthält Polyphenole, die das Risiko von Herz- und Kreislaufbeschwerden senken sollen. Das im Stängelkohl enthaltene Sulforaphan kurbelt die Fettverbrennung an. Mit nur 32 kcal pro 100 Gramm ist er ein Leichtgewicht. Kommt nur darauf an, was man mit ihm so anstellt …