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Agile Akrobaten

Kohlmeisen und Blaumeisen sind sehr anpassungsfähige Singvögel, die schnell neue Nahrungsquellen zu nutzen wissen. Auch in städtischen Gebieten finden sich diese gewitzten Kulturfolger meist gut zurecht.

Text: Esther Wullschleger

Die lebhaften Meisen scheinen ständig aktiv. Geschickt suchen sie zwischen den Zweigen oder am Fensterrahmen nach kleinen Insekten. Das tun sie ohne Weiteres auch kopfunter, denn Meisen sind äusserst agile Akrobaten. Meist sind es Kohlmeisen, unsere grösste und häufigste Art, oder die kleinen Blaumeisen, die sich im Siedlungsraum einfinden. Auch am winterlichen Futterbrett zeigen sie sich geschickt beim Erarbeiten der Nahrung. Grössere, harte Samen tragen sie schon mal auf einen Ast, um sie dort mit beiden Füssen festzuhalten und mit dem Schnabel zu bearbeiten. Ein Kunststück, das nur wenige weitere Singvögel beherrschen, etwa die Krähen und Raben.

Eine Blaumeise und eine Kohlmeise fressen Sonnenblumenkerne auf einem Holzstumpf.
Blaumeisen (links) sind etwas kleiner als unsere grösse und häufigste Art, die Kohlmeisen (rechts) © shutterstock

Besonders die Kohlmeisen zählen zu den frühen Brütern im Jahr. Wenn im späteren März die wichtigsten Bäume in ihrem Territorium ihr Laub austreiben, schreiten sie bereits zur Brut. So synchronisieren sie den Schlupftermin der Jungen mit dem Nahrungsangebot, denn erst dann
wachsen blattverzehrende Raupen heran. Diese sind als proteinreiche Hauptnahrung wichtig für den Nachwuchs.

Fliegende Raupenpolizei

Die Kohlmeisen sind damit stark abhängig von den Klimabedingungen im Frühling. Beginnt dieser nass und kalt, so treiben die Blätter der Bäume später aus, und die Kohlmeisen brüten später. Im Zuge der Klimaerwärmung treiben die Pflanzen heute aber tendenziell früher aus, und so brüten auch die Kohlmeisen früher als noch vor 40 Jahren. In solch «günstigen» Jahren können sie zudem mehr Junge aufziehen, wodurch der Bestand allgemein zunimmt.

Auf der Suche nach Nahrung für den Nachwuchs gehen die Meisen sehr effizient vor. Bäume in ihrem Territorium, die von vielen Raupen befallen sind, fliegen sie häufiger an. Dabei verrät nicht nur der kümmerliche Blattwuchs, wo es viel zu holen gibt. Befallene Bäume geben chemische Alarmstoffe an die Umgebung ab, welche die Fressfeinde der Raupen anlocken. Meist sind es räuberisch lebende Insekten, welche die feinen Duftstoffe wahrnehmen und den befallenen Baum auf der Suche nach Beute anfliegen. Doch auch Kohlmeisen können diese Alarmstoffe riechen und sich daran orientieren, wie Forscher vor einiger Zeit nachgewiesen haben. So sorgen die emsigen Vögel mit dafür, dass sich der Raupenbefall von Bäumen im Frühling in Grenzen hält.

Der Nachwuchs wächst in einem warmen, weich gepolsterten Nest aus Moos, feinen Federchen, Tierhaaren und dergleichen heran, welches die Kohl- und Blaumeisen in ihrer Nisthöhle bauen. Von Blaumeisen ist bekannt, dass sie auch Heilpflanzen wie Schafgarbe, Lavendel oder Minze ins Nest einbauen, deren Inhaltsstoffe desinfizierend und gegen Parasiten wirken. Beutegreifer wissen die Meisen ebenfalls abzuschrecken. Werden brütende Weibchen in der Höhle gestört, äussern sie ein bedrohliches Zischen, das an Schlangen erinnert. Manche Nesträuber, etwa hungrige Mäuse, wagen es dann nicht, in die Höhle einzudringen.

Nicht selten haben Meisen das Pech, dass ihnen ein konkurrierendes Paar die Bruthöhle abspenstig macht. Sofern der Höhleneingang nicht zu klein für sie ist, können Kohlmeisen einem Blaumeisenpaar die Bruthöhle wegnehmen. Dabei überleben gelegentlich Eier, die das Weibchen des Vorgängers ins Nest gelegt hat. So kam es verschiedentlich zu Mischbruten, in denen Blaumeisen- und Kohlmeisennestlinge zusammen aufwuchsen. Aus den Niederlanden wurde gar berichtet, dass im Nest einer Kohlmeise sowohl ein Blaumeisen- als auch zwei Trauerschnäpperküken neben den sechs Kohlmeisennestlingen sassen. Die Trauerschnäpper, als Erste der Küken, müssten gleich zwei «feindliche Übernahmen» überlebt haben.

Den Verkehrslärm übertönen

In der Stadt wird das Leben für die Meisen zur besonderen Herausforderung. Sie müssen mit Lärm, nächtlicher Dauerbeleuchtung und Mangel an natürlicher Nahrung zurechtkommen. Doch die Kohl- und Blaumeisen sind anpassungsfähig. Städtische Kohlmeisen singen in höheren Tonlagen als jene auf dem Land, um so den Verkehrslärm zu übertönen, wenn sie ihren Territorialanspruch verkünden oder ein Weibchen anlocken. Ihre Gesänge sind auch kürzer und schneller als die der ländlichen Artgenossen. Wenn der Lärm allzu laut wird, kann es für die Kohlmeisen indes gefährlich werden. Sie hören dann die Warnrufe ihrer Artgenossen nicht mehr, wenn diese eine Gefahr bemerken.

Kohl- und Blaumeisen sind ausgesprochen innovative Tiere, die gelegentlich Neues entdecken. Englische Blaumeisen wurden berühmt dafür, dass sie den Deckel von Milchflaschen, welche vor der Haustür der Bewohner abgestellt waren, zu öffnen lernten.

Die Meisen

Nicht alle als Meisen bezeichneten Vögel gehören verwandtschaftlich zu den Meisen. Echte Meisen der Schweiz sind die Kohl- und Blaumeise, Haubenmeise, Tannenmeise, Sumpf- und Weidenmeise, während Schwanzmeisen, Beutelmeisen und Bartmeisen zu anderen Vogelverwandtschaftsgruppen gehören. Vor allem die Kohlmeisen sind weit verbreitet in der Alten Welt, wobei sich bei verschiedenen Vorkommen Unterschiede im Erscheinungsbild zeigen. Asiatische Kohlmeisen beispielsweise erscheinen am Bauch weiss oder gräulich-weiss anstatt gelb. Südlich von Europa, in Nordafrika und auf den Kanaren, leben auffallend dunkel gefärbte Blaumeisen.

Beitrag vom 11.01.2024

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