
Strategien gegen die Einsamkeit
Wie lernt man, sich selbst eine gute Gefährtin zu sein? Verena Steiner musste nach dem Tod ihres Mannes plötzlich allein klarkommen. Sie fand Mittel und Wege, um zu einer glücklichen «Solistin» zu werden.
Text: Claudia Senn
So hatte sich Verena Steiner ihr Alter nicht vorgestellt. Jahrzehntelang war die Biochemikerin und Buchautorin Teil eines innig verbundenen Paares gewesen. Dann verunglückte ihr Mann in den Bergen, und die damals 65-Jährige fand sich plötzlich als Witwe wieder. Wie weitermachen, wenn das gewohnte Wir zu einem Ich geschrumpft ist? Auch nachdem die Trauer abgeklungen war, fühlte Steiner sich innerlich leer, nicht mehr wirklich lebendig, abgeschnitten vom Rest der Welt.
In ihrem neuen Buch «Solo» beschreibt die heute 76-Jährige, wie sie Schritt für Schritt aus diesem Zustand herausfand und sich ein neues Leben als glückliche «Solistin» erarbeitete. Nicht das Alleinsein sei das Problem gewesen, so Steiner, sondern die Einsamkeit, der Mangel an Verbundenheit mit der Welt und anderen Menschen, die zu eng gewordene Komfortzone, die ihr nicht erlaubte, Dinge alleine zu tun, die sie zusammen mit ihrem Partner stets gern getan hatte. Um ihre Möglichkeiten zu erweitern, begann sie deshalb, sich kleine «Mutprojekte» vorzunehmen: allein durch den Wald zu joggen, allein im Restaurant zu essen oder in die Oper zu gehen, ein paar Solo-Ferientage in Lyon oder eine Velotour ohne Begleitung. Verena Steiner fand heraus: Auch wenn es anfangs Überwindung kostet – man kann diese Dinge üben.
«Es geht nicht darum, die innere Leere zu füllen.»

Den zufälligen Kontakt mit Wildfremden trainierte sie ebenfalls wie eine neue Sprache. Ein nettes Lächeln im Tram, ein Kompliment für den schönen Schal einer Unbekannten, ein kurzer Schwatz mit der Kassiererin an der Migros-Kasse: Solche Mini-Kontakte sind für sie mehr als nur oberflächlicher Smalltalk. «Sie nähren unser Bedürfnis nach Zugehörigkeit», sagt Verena Steiner. Manchmal nahm sie sich vor, beim Einkaufen mit mindestens drei Leuten zu sprechen oder selbst dem bärbeissigsten Kondukteur im Zug noch ein paar Sätze zu entlocken. Diese kurzen Begegnungen halfen ihr, sich wieder verbunden zu fühlen mit der Welt und am Ende auch mit sich selbst.
Ihr Buch ist nicht nur für frisch Verwitwete inspirierend, sondern für alle, die ihr Alleine-Leben besser meistern möchten. «Es geht nicht darum, die innere Leere zu füllen», sagt Steiner. Sondern darum, sich selbst eine gute Gefährtin zu sein, Glücksmomente im Alltag bewusster wahrzunehmen, das Leben zu geniessen – auch allein.

Verena Steiner: Solo – Alleinsein als Chance. Arisverlag 2025, 250 Seiten, ca. Fr. 28.90.
Verena Steiner gibt zu den Themen ihres Buches auch Kurse an der Volkshochschule Zürich.