Ziemlich viel Zimt
So duftet Weihnachten: Warum sich Zimt besonders in der Weihnachtszeit solcher Beliebtheit erfreut, entzieht sich der Kenntnis des Zeitlupe Redaktors Marc Bodmer. Er reagiert mit heftiger Abneigung auf dieses Gewürz. Ein Erklärungsversuch.
Erinnern Sie sich an die «Zimt»-Kaugummis der Marke Trident? Meine ältere Schwester liebte sie, mich schüttelt es nur schon beim Gedanken daran. Allein der Geruch, den sie verströmen, erregt in mir einen Brechreiz, der ätzend scharfe Geschmack ebenso. Das hinderte mich als Kind aus unerfindlichen Gründen jedoch nicht daran, gelegentlich welche zu stibitzen – nur um im nächsten Augenblick das kaum gekaute Kaugummi-Täfelchen auszuspucken und schleunigst meinen Mund auszuspülen.
Einen Tick dezenter war die Zimt-Zucker-Mischung, die bei uns Zuhause nebst Apfelmus zu den Fotzelschnitten serviert wurde. Aber eben nur einen Tick. Auch da war mir die Präsenz der Zimt-Partikel schon immer zu penetrant. Dem Gesetz der Entropie folgend suchen sie – wehe, wenn die Büchse geöffnet ist – , auch den letzten Winkel eines jeden Raums mit ihrer Pestilenz heim. Es gibt kein Entrinnen.
Eine These besagt folgendes: Widerstrebe es jemandem, etwas zu essen oder zu trinken, dann tue es der Person nicht gut. Bei Zimt ist die Schädlichkeit, trotz vieler Fans, sogar nachgewiesen. Grundsätzlich muss zwischen zwei Sorten von Zimt unterschieden werden: dem echten Ceylon-Zimt und dem Cassia-Zimt. Ersterer stammt aus Sri Lanka und sieht in seiner Zimt-Stangenform aus wie eine aus Rindenblättern gerollte Zigarre. Letzterer kommt oft aus Vietnam oder China ähnelt einer aufgerollten Rinde.
Auch ihre Wirkung ist unterschiedlich. Während dem echten Zimt, in kleinen Dosen genossen, allerlei Gutes nachgesagt wird – er soll etwa blutdrucksenkend und verdauungsfördernd sein –, enthält der in Billigmärkten verbreitete Cassia-Zimt bis zu tausend Mal mehr Cumarin als Ceylon-Zimt: Der Wirkstoff kann Kopfschmerzen, Schwindel und Erbrechen hervorrufen (daher kam das also…). Das Problem: In Pulverform sind die Zimt-Arten optisch nicht zu unterscheiden, ein Blick auf die Etikette, um die Herkunft und damit die Sorte zu bestimmen, hilft also.
Zum dominanten saisonalen Geruch wird Zimt in unseren Breitengraden in den Wintermonaten. In den Weihnachtsdörfern, die wie Pilze aus dem Boden schiessen und allerlei Nippes, Ramsch und Geschenklein feilbieten, schwängern Stände mit Glühwein die Luft. Durch den Dampf werden die Duftmoleküle noch weiter getragen, sie wirken noch intensiver und schlagen mich in die Flucht. Laden mich Freunde zu Apéros mit Glühwein und der nordischen Variante Glögg ein, sehe ich mich gezwungen, zu passen – egal wie sehr ich Leute mag, die derlei organisieren. Zu gerne sehe ich Weihnachten als Fest der Freude und Geselligkeit, des Vergebens und der Verbundenheit – aber eben ohne würzige Breitseite.
Sogar auf mein Reiseverhalten hat sich der Zimt-Wahn ausgewirkt. Einst pflegte ich Verwandte und Bekannte im Dezember in New York oder an der Westküste der Vereinigten Staaten zu besuchen. Seit ein paar Jahren stehen in den festlich dekorierten Restaurants und Ladenlokalen in den USA jedoch überall Schalen mit künstlich parfümiertem Potpourri, Raumparfüms erschlagen die Kunden über allenthalben platzierte Zerstäuber. Die Desserts warten mit Zimt-Zwetschgen auf, der Kürbiskuchen hat einen braunen Teint und selbst der Cappuccino wird nicht mit statt mit Kakao – Sie wissen’s bestimmt schon – mit Zimmet serviert.
Es ist und bleibt Geschmacksache, ganz klar. Und im Endeffekt laut Aussagen der Hilfsorganisation Lunge Zürich zu Raumdüften auch lediglich für Asthmatikerinnen und Allergiker wirklich ein No-go. Sie können zu Schleimhautreizungen, Kopfschmerzen, Übelkeit oder Atembeschwerden führen. Wer auf die olfaktorische Berieselung dennoch ungern verzichten mag, sollte die ätherischen Öle und Duftlampen selten, gezielt und vor allem nur kurz anwenden. Und: Nach dem Gebrauch die Räume immer gut lüften. Frohe Weihnachten euch allen – mit oder ohne Zimtduft.
So duftet Weihnachten…
- Roland Grüter riecht Himmlisches Parfum.
- Fabian Rottmeier entlockte ChatGPT eine Geschichte über Weihnachtsduft.
- Jessica Prinz schreibt über den Duft der Veränderung.
Da kann ich ihrem Autor über den Zimt nur beipflichten. Mir geht es auch so. Gekauftes Pulver geht gar nicht. Wenn schon, kaufe ich echte Ceylon Zimt Stangen. Und male sie selber. Gekauftes Pulver aus dem Grossverteiler riecht für mich wie Kleider aus der Mottenkiste! Igit 🤪