Himmlisches Parfum

So duftet Weihnachten: Für Zeitlupe Redaktor Roland Grüter riecht Weihnachten nach dem Holz und Harz des Weihnachtsbaumes ­– und auch ein wenig nach dem Parfüm des Christkindes.

Roland Grüter, Gartenkolumnist der Zeitlupe
© Jessica Prinz

Lange Jahre fingen für mich Weihnachten am Morgen nach Heiligabend an. Der Freudenrausch war ausgeschlafen, das Sehnen und Hoffen vorbei, die Aufregung verpufft. Alles schien so still wie die Heilige Nacht selbst. Glücklich und zufrieden lag ich jeweils im Bett und freute mich über die besonderen Tage, an denen endlich Wünsche gestattet waren. Das restliche Jahr bot dazu wenige Gelegenheiten, meinen Eltern fehlte schlichtweg das Geld. Also lernte ich früh, keine grossen Ansprüche ans Leben zu stellen und mich stattdessen zu bescheiden – so wie viele Kinder der 1960er-Jahre.

An Weihnachten aber schien alles möglich, auch wenn mir das Christkind in der Regel eine Jacke oder einen Pulli statt das herbeigesehnte Velo unter den Weihnachtsbaum legte. Der erste Atemzug, den ich nach dem Aufwachen machte, liess mich jedoch die Ernüchterung vergessen. Der Duft nach Harz und Holz füllte meine Lunge. Kaum stieg er in meine Nase, wurde es mir warm ums Herz und die Gewissheit war da: unten in der Stube steht der festlich geschmückte Weihnachtsbaum, unter dessen Ästen die Krippe. Vor mir lagen schöne Tage, geprägt von Geschenken und selbstgebackenen Guetzlis meiner Tanten. Die Glöckchen begannen klingeling zu läuten, der Schnee leise zu rieseln, fröhliche Weihnachten waren überall und der harzig-herbe Duft wärmte mein Herz. Noch heute verbinde ich mit diesem Wohlgeruch Weihnachten. Er beflügelt meine Sinne weit mehr als jegliches Glanz und Gloria.

Beim reichlich geschmückten Bäumchen, das alljährlich im Wohnzimmer unserer Familie stand, handelte es sich traditionell um eine gemeine Fichte. Meine Mutter ärgerte sich zwar darüber, dass die spitzen Nadeln der Tanne sie beim Schmücken in die Finger piksten und schon nach wenigen Tagen auf den Boden rieselten. Aber Fichten waren weit günstiger als die noblen Nordmanntannen. Deshalb waren sie bis tief in die 1980er-Jahren der Christbaum der Working-Class – und damit auch Favorit meiner Familie. 

Was für ein Glück! Denn nur ebendiese Tännlein verströmen jenen Esprit, den ich dermassen liebe und duften wunderbar nach Harz und Holz, so als stehe man im tiefsten Wald. Andere Lametta-Trägerinnen können hierbei nicht mithalten, auch wenn sie hübscher und haltbarer sind. Nordmanntannen beispielsweise sind regelrechte olfaktorische Nieten. Sie riechen nach Nichts, nach Reinnullgarnichts. Deshalb lasse ich sie noch heute links liegen und pflanze stattdessen noch immer Rot- oder Blaufichten in meinen Baumständer, sollte es mir wieder einmal besonders nach Weihnachten sein. Ich habe schon versucht, die Duftbäumchen mit teuren -kerzen zu ersetzen, doch vergebens. Die Glöckchen bleiben stumm, kein Schneerieseln rieselt leise. Stattdessen erinnern mich die aromatisierten Flämmchenwerfer ans Saunieren oder Schaumbäder. Halleluja!

Erst dachte ich, der himmlische Weihnachtsduft meiner Kindheit gehe aufs Christkind zurück. Ich stellte mir vor, dass die Himmelsbotin ihre Federschwingen mit einem raffinierten Parfüm besprüht, bevor sie die vielen Päckli austrägt. Erst später wurde mir gewiss, dass der Zauber auf das viele Harz zurückgeht, das Fichten absondern – am Stamm und an den Zweigen. Zudem verdunsten die vielen Nadeln ätherische Öle und durchfluten ihr Umfeld mit dem Odeur. Wie mir unlängst eine Aromatherapeutin erklärte, soll dieses Duftgemisch Nerven beruhigen und entspannen. Beides können wir gut gebrauchen – nicht nur an den Weihnachtstagen. Vielleicht schmücke ich die Fichte bei Gelegenheit auch zu Ostern.

So duftet Weihnachten…

Beitrag vom 19.12.2023

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