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Grossvaters Bauernhof 25. September 2023

Die langjährige Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder erzählt alle zwei Wochen aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: vom Kleinbetrieb zum EU-Massenbetrieb.

Usch Vollenwyder
© Jessica Prinz

Mein Oberaargauer Grossvater hatte drei Kühe. Sie hiessen Vrene, Fürstin und Berna. Vrene war die Älteste, Fürstin mit ihren geschwungenen Hörnern die Schönste und Berna die Gemütlichste. Von Zeit zu Zeit stand auch ein Kälbchen im Stall. Ich wusste, es musste «zum Metzger», wie auch die beiden Schweine, die abwechslungsweise Sami und Trini oder Joggi und Mädi hiessen. Das machte mir nichts aus, ich kannte ja nichts anderes. Einmal kalbte Vrene während meiner Ferien, und mein Grossvater schenkte mir das Kälbchen. Ich nannte es nach langem Überlegen «Chroni» – Krone. Weil es mir gehörte, musste es nicht «zum Metzger». Es kam zu meinem Grossonkel Fritz in die Wynigenberge.

Sehnsüchtig erwartete ich jeweils meinen Grossvater, wenn er von der Arbeit als Mechaniker nach Hause kam. Denn dann ging er – wie jeweils auch in aller Herrgottsfrühe – in den Stall. Ich liebte den Stallgeruch. Ich mochte das Geräusch, wenn der erste Milchstrahl in den ovalen Kessel spritzte. Ich weiss noch, wie sich das feuchte Gras und das trockene Heu anfühlten, das ich armvollweise in die Futterkrippe geben durfte, weil ich mit der langen Gabel noch nicht hantieren konnte. Mit dem Leiterwagen durfte ich die volle Milchkanne in die Käserei bringen. Ich war so stolz! Dass mein Grossvater der kleinste Bauer im ganzen Dorf war, spielte keine Rolle. Er hatte die grossartigsten Kühe! Nach dem Melken wurden sie gestriegelt und bekamen für die Nacht frisches Stroh.

Ich war längst erwachsen, als ich realisierte, dass mein Paradies wohl kein tiergerechter Garten Eden war. Die einzigen Male, dass mein Grossvater «Vrene», Fürstin und Berna von der Kette an der Futterkrippe löste und am Halfter aus dem Stall führte, war für den Gang zum Muni. Als mein Grossvater starb, wurde der Betrieb aufgelöst. Aber da war ich schon ein Teenager und interessierte mich kaum noch für die Landwirtschaft. Sie kam mir erst wieder ein bisschen näher, als mein Mann in unserem kleinen Bauerndorf Gemeindeschreiber wurde. In seiner Funktion hatte er als «Bschüttivogt» zu amten und notfallmässiges Jaucheausbringen zu registrieren. Er musste eine Liste der nicht mehr dienstpflichtigen Landwirte führen, die bei einer Kriegsmobilmachung für die wehrpflichtigen Bauern einspringen würden. Er bezahlte den Gemeindebeitrag an die Hagelabwehr oder ärgerte sich über das ungerechte Steuersystem, das Landwirtschaftsbetriebe bis in die Neunzigerjahre hinein bevorzugte.  

Unser diesjähriges Ferienhaus in der Bretagne war an einen Milchwirtschaftsbetrieb angeschlossen. Natürlich war mein Mann sofort einverstanden, als er vom Bauern zu einer Betriebsbesichtigung eingeladen wurde: ein mittlerer EU-Betrieb mit achtzig Milchkühen, über hundert Rindern und einigen Dutzend Kälbern. Diese sind in einer Scheune untergebracht – einzeln in Gitterständen, die ihnen kaum Bewegungsfreiheit gewähren. Die Bauersfrau überwacht den Melkbetrieb: Jeweils vierzehn Kühe werden gleichzeitig an den Melkroboter angeschlossen. Sie sind schmutzig, schmutzig wie der Hofhund, der in Jauche gebadet ist. Am übelsten aber haben es die Rinder: Sie waten in ihrem eigenen Mist durch den Stall, in dem sie Tag und Nacht eingesperrt sind. Nirgends ist auch nur eine Handvoll Einstreu zu sehen. Ich wage nicht, in ihre dichtbewimperten Augen zu schauen. Sie tun mir so leid. Die Bauersleute ahnen nichts von meinem Unbehagen. Sie arbeiten gern in ihrem Beruf.

«Vrene», Fürstin und Berna waren bestimmt keine glücklichen Kühe. Aber sie waren kostbare Lebewesen. Die Tiere im EU-Stall hingegen sind nur noch eine milch- und fleischspendende Masse. Ob ich es jetzt endlich schaffe, definitiv zur Vegetarierin zu werden?


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Beitrag vom 25.09.2023

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