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Alte Paare 22. April 2024

Die langjährige Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder erzählt alle zwei Wochen aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: von alten Paaren und ihren vielfältigen Herausforderungen.

Usch Vollenwyder
© Jessica Prinz

Ich mache im Fitnessraum meine Knie-Übungen, als ein altes Paar zur Türe hereinkommt. Der Mann begleitet seine Frau, die an Krücken geht, zum Stuhl vor dem Physiobehandlungsraum. «In einer halben Stunde», sagt er zu ihr. Dann geben sich die beiden einen Kuss, eigentlich tauschen sie nur einen schnellen Doppelkuss – wahrscheinlich das Ritual eines langen Ehelebens: schmatz schmatz auf den Mund, fertig. Ihr Anblick rührt mich. Wie auch die alten Paare, die sich Hand in Hand einen Weg durch das Gedränge im Bahnhof bahnen. Vielleicht müssen sie sich gegenseitig stützen, vielleicht wollen sie einander einfach nicht verlieren, aber vielleicht ist es auch Ausdruck ihrer Verbundenheit. 

Inzwischen bin ich ebenfalls die eine Hälfte eines alten Paares. Mein Mann und ich gehen nicht händchenhaltend durch den Bahnhof, und ob wir jemals in der Öffentlichkeit geknutscht haben, weiss ich nicht mehr. Vielleicht zu einer Zeit, als uns die Liebe noch blind für die Umgebung machte. Wir gehören auch nicht zu denen, die jedes «Prost» mit einem Kuss besiegeln. Aber es ist immer noch so, dass die Augen meines Mannes aufleuchten, wenn er mich überraschend sieht – auch wenn ich nur im Coop hinter einem Gestell auftauche. Und ich freue mich nach wie vor auf jedes Heimkommen. Dann sitzen wir uns bei einem Glas Wein gegenüber und erzählen einander vom vergangenen Tag.

Natürlich hing unser Ehehimmel nicht immer voller Geigen. Aber da wir beide weder besonders streitlustig noch nachtragend sind, umschifften wir auch schwierigere Klippen. Selbst die Pensionierung haben wir gut geschafft. Nach dem Motto «nume nüt Nöis» blieben wir unseren ehelichen Gewohnheiten treu und vermeiden die 24-Stunden-Zweisamkeit. 

So war ich sehr gespannt auf meine nächste Lerneinheit an der Uni Bern. In der Vorlesung «Sinnhorizont bei kritischen Lebenssituationen» ist auch Partnerschaften ein Kapitel gewidmet. Die Herausforderungen für alte Paare seien gross: der Verlust geliebter Menschen, chronische oder akute Krankheiten, das nahe Lebensende und vermehrt auch Trennungen und Scheidungen. Offene Gespräche sind vielfach schwierig – weil man Schuldgefühle hat, sich gegenseitig schonen oder einander nicht kränken möchte. Wir hören das Beispiel von einem fitten Siebzigjährigen und seiner an Krebs erkrankten Partnerin im Spital. Sie möchte Anteil nehmen an seinem Alltag, und sich gleichzeitig über ihr baldiges Ende austauschen können. Er wagt es nicht, von seinen Aktivitäten zu erzählen und über das Sterben seiner Frau zu reden – in der irrigen Annahme, es würde sie nur noch trauriger machen. Es braucht den Spitalseelsorger, der hilft, die Situation zu klären.

Es gelte, dem «Diffusen und Zwiespältigen» eine Stimme zu geben, steht in den Unterlagen. Für meine Studiengspänli, die in der Pflege oder Seelsorge tätig sind, ist das eine wichtige Aufgabe. Ich denke, dass man als Paar das offene Gespräch auch selber einüben kann, längst bevor man sich in einer kritischen Lebenssituation wiederfindet. 

Wir hören von «Ambivalenzerfahrungen» auch in alten Beziehungen. Es wird spannend. Doch davon ein nächstes Mal. 


  • Können Sie mit Ihrem Ehemann oder Ihrer langjährigen Lebenspartnerin offen über alles reden? Oder haben Sie – wie so viele andere auch – Mühe damit? Wir würden uns freuen, wenn Sie uns schreiben oder die Kolumne teilen würden. Herzlichen Dank im Voraus.
  • Hier lesen Sie weitere «Uschs Notizen»

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Beitrag vom 22.04.2024

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