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Frauenfussball in der Schweiz: Wie alles begann

Fünf Vorkämpferinnen erzählen: Wie sie 1968 in Zürich den ersten Schweizer Fussballverein für Frauen gründeten, welche Hürden sie zu überwinden hatten – und wie das erste Länderspiel ablief. 

Fabian Rottmeier, Zeitlupe Redaktor
© Jessica Prinz

Text: Fabian Rottmeier, Bilder: Sara Keller
Dieser Beitrag erschien erstmals in der Zeitlupe Juli–August/2018 und wurde inhaltlich punktuell angepasst.

Es ist nicht das erste Mal, dass die beiden Schwestern an diesem Morgen über eine Jahreszahl rätseln. «Wann war das schon wieder, als wir gegeneinander Fussball spielten, als ich schwanger war?», fragt Ursula Moser ihre Schwester Trudy Streit-Moser. Statt einer Antwort «schiesst» die 65-Jährige zurück: «Ich war die einzige Spielerin auf dem Platz, die davon wusste, und durfte dich deswegen nicht einmal ummähen!» Der Wintergarten in Glattbrugg ist voller Energie, wenn sich die beiden Fotos und Zeitungen aus ihren alten Tschuttizeiten anschauen. Ursula Moser ist dafür extra aus Lyon angereist, wo sie seit vielen Jahren lebt.

Die Fussballgeschichte der Zürcher Schwestern beginnt am 21. Februar 1968. Es ist der Tag, an dem der landesweit erste Frauenfussballverein gegründet wird, der Damenfussballclub Zürich. Die erste Präsidentin: Ursula Moser, 18-jährig. Monatlicher Mitgliederbeitrag: 5 Franken. Schwester Trudy ist von Beginn an dabei, selbst ihr Vater engagiert sich früh und löst seine Tochter später als Präsident ab. Der DFCZ sucht per Zeitungsinserat «Frauen unter 80», die sich anschliessen möchten.

Ursula Moder und Trudy Streit-Moser sehen sich im Wintergarten gemeinsam Fotoalben an.
Die Fussballgeschichte von Ursula Moser (links) und Trudy Streit-Moser (rechts) beginnt 1968. © Sara Keller

Die Hauptmotivation, den Verein zu gründen? «Wir wollten einfach Fussball spielen», sagt Ursula Moser. Sie seien sich bewusst gewesen, dass es ohne einen Verein schwierig geworden wäre, Trainingsplätze zu finden. Beide waren damals Mitglieder des Leichtathletikclubs Zürich und hatten dabei immer wieder die Trainings des FCZ um Stars wie Köbi Kuhn beobachtet. Statt Leichtathletik trainierten sie fortan immer mehr mit einem Fussball. Als politisches Zeichen will Moser die Gründung aber nicht verstanden wissen, es sei eher so gewesen, dass sie ihre Fussballvorbilder nachahmen wollten.

«Auch den Gaffern wollten wir es zeigen.»

Ursula Moser

Bereits vier Monate später berichtet das Schweizer Fernsehen über den DFC, mit dem Titel «Die Torjägerinnen, vor denen gewarnt wird». In der Sendung «Antenne» trotzt Ursula Moser den herablassenden Fragen des Reporters – kaugummikauend: «Wieso sollte der Frauenfussball keine Zukunft haben?», entgegnet sie ihm selbstbewusst. Dieser «Antenne»-Beitrag ist übrigens auf der Webseite seit1968.ch zu sehen, einem vom FCZ-Museum realisierten Blog, der die Anfänge des Zürcher Frauenfussballs mit tollem Archivmaterial aufrollt. Mehr geärgert als über den TV-Journalisten haben sich die Schwestern jedoch über Männer, die bloss zu den Spielen kamen, «um die Brüste hüpfen zu sehen», und dies auch noch filmten. «Diesen Gaffern wollten wir es zeigen», sagt Ursula Moser.

«Zarte Füsschen», hartes Leder

Die Vereinsstatuten entwirft Ursula Moser mit ihren Vorstandskolleginnen in einem Zürcher Café. Als sie an einem anderen Tisch den national bekannten Spieler Robert Kaiserauer entdeckt, bittet sie ihn um ein paar Ratschläge. Es sollte nicht dabei bleiben. Ein paar Monate später heiraten die beiden und bekommen ein Mädchen. Die Ehe hält fünf Jahre, die Freundschaft bis zu Kaiserauers Tod. Kurz vor der Trennung landet Ursula Moser, inzwischen auch Nationalspielerin und landesweit eine der ersten Frauen mit Trainerlizenz, auf der Titelseite der «Allgemeinen». Die damals 24-Jährige wird auf dem Bild jonglierend als «erste Fussballtrainerin der Schweiz» gefeiert. Die Artikelüberschrift «Zarte Füsschen am harten Leder» wird später zum Titel des Buches der Historikerin Marianne Meier, die 2004 ein umfassendes Werk über den hiesigen Frauenfussball verfasst.

Auch Schwester Trudy findet ihren Ehemann im Fussballverein, als Spielerin des SV Seebach: «Er war Trainer und Präsident, ich nicht die Schlechteste, also haben wir sozusagen einen Transfer eingefädelt», sagt die 65-Jährige und lacht laut los. Bruno Streit wurde später für acht Jahre Nationaltrainer. Im ersten Vereinsjahr 1968 gab es nur wenige Gegnerinnen, und die stärksten spielten ausgerechnet in Sion. Mit zwei Autos à je sieben Plätzen fuhr das Team in zehn Stunden ins Wallis. Erst zwei Jahre später entstand die Schweizerische Damenfussball-Liga mit zehn Teams. Der erste Schweizer Meister hiess Aarau. Im darauffolgenden Jahr, 1971, anerkannte der Fussball-Weltverband FIFA den Frauenfussball. Der Schweizerische Fussballverband benötigte dazu weitere 22 Jahre.

Erster Platz oder nichts

Wer von den Anfängen des Frauenfussballs in der Schweiz erzählt, kommt um die beiden Schwestern Monika Stahel (Bild links) und Silvia Lerch (Bild rechts) nicht herum. Zwar gab es bereits 1923 in Genf eine schlecht dokumentierte weibliche Fussballgruppe namens «Les Sportives». Trotzdem dürfen die gebürtigen Schaffhauserinnen für sich beanspruchen, 1963 im aargauischen Murgenthal das wohl schweizweit erste Frauenteam gegründet zu haben, jedoch ohne Vereinsstatus. Ihren FC Goitschel benannten die Stahel-Schwestern nach einem erfolgreichen französischen Schwestern-Paar im Skirennsport, das im Sommer gerne Fussball spielte. Silvia stand im Tor (ohne Handschuhe), Monika im Sturm (mit viel Ehrgeiz).

Grümpelturniere waren zu Beginn der 1960er-Jahre für Frauen die einzige Möglichkeit, sich im Fussball wettkampfmässig mit anderen zu messen. Der FC Goitschel räumte fast überall ab. «Bis sich einige Teams weigerten, sich anzumelden, wenn wir mitmachten», sagt Silvia Lerch amüsiert und erzählt, wie ihre Schwester einst aus Ärger die Silberschale für den 2. Rang verbog. Monika Stahel ergänzt: «Ich war eine schlechte Verliererin. Meine Devise lautete: erster Platz oder nichts.»

Ihre damalige Ernsthaftigkeit weicht einer ansteckenden Fröhlichkeit, wenn die beiden von früher erzählen: Wie sie sich selbst Spielerpässe gebastelt hätten. Wie sie darauf achteten, dass nicht geflirtet wurde, weil man schliesslich wegen des Fussballs gekommen war. Wie sie hintereinander in einer Reihe auf den Platz geschritten waren, um ernst genommen zu werden.

1965 gewann der FC Goitschel gegen den Gemeinderat von Murgenthal mit 7:2 – ein Plauschmatch zugunsten eines geplanten Altersheims. Das Team verkaufte auch selbst angefertigte Lederfussbälle. Im selben Jahr stellten die Fussballerinnen beim Schweizerischen Fussballverband (SFV) per Brief einen Antrag, um offiziell anerkannte Spiele auszutragen. Monika Stahel störte sich immer daran, wenn Buben etwas durften und die Mädchen nicht. «Insofern war unser Engagement auch ein gesellschaftspolitisches Zeichen», sagt die 70-Jährige.

Der Verband lehnte den Antrag ab, bot den Schwestern jedoch wegen Schiedrichtermangels an, sich zu Schiedsrichterinnen ausbilden zu lassen. Was sich heute wie ein Affront anhört, ehrte die Stahels. «Zu einem offenen Türspalt konnten wir nicht Nein sagen», begründet Monika Stahel den Entscheid, das Angebot anzunehmen. Silvia Lerch: «Hauptsache, es hatte etwas mit Fussball zu tun. Rückblickend wirkt dies etwas seltsam.» Immerhin fand der Antrag in einer Zeit statt, als die meisten Männer dachten, Fussball sei nichts für Frauen und ein Vereinsleben würde nicht ihrem «Tagesrhythmus» entsprechen. Ärzte wiederum behaupteten, die Sportart sei für Frauen gesundheitsgefährdend.

14 Frauen wurden fortan zu Schiedsrichterinnen ausgebildet, und der Kursleiter konstatierte im «Brückenbauer», dass «die Damen zu 80 Prozent begriffen haben, um was es geht». 1966 pfiffen die Stahels ihre ersten Spiele bei den Junioren, später kamen Firmenspiele hinzu. Die Zeitschrift «Sie & Er» titelte: «Mädchen mit Pfiff». Sie seien erstaunlich gut akzeptiert gewesen als Schiedsrichterinnen, sagen beide. Als mühsam empfanden sie, dass sie sich oft bei Privatpersonen umziehen und im Schiri-Dress durchs halbe Dorf spazieren mussten. Drei Saisons lang pfiffen die beiden.

Mit dem FC Goitschel folgte 1967 ein Meilenstein: das schweizweit erste dokumentierte Spiel mit je 11 statt wie bisher 6 Spielerinnen. 11 gegen 11 – wie bei den Männern. «Es fühlte sich irgendwie wichtig an», sagt Silvia Lerch. 6:0 siegte der FCG in Wohlen gegen ein Team aus Zürcher Spielerinnen. Die beiden Schwestern beteiligten sich zwar noch am Aufbau des erfolgreichen Damenfussballclubs Aarau und spielten anfänglich mit, das innere Feuer jedoch erlosch zusehends. «Als wir sahen, dass unsere Idee weiterlebt und sich verbreitete, reichte uns das», sagt Monika Stahel.

1970 machte der Schweizer Frauenfussball den nächsten Schritt: Er wurde international. In Schaffhausen stieg das erste – wenn auch inoffizielle – Länderspiel gegen Österreich, das die Schweizerinnen mit 9:0 gewannen. Trudy Moser und Ursula Kaiserauer standen auf dem Feld, ebenso Madeleine Boll, der wohl erste «Star» des Schweizer Frauenfussballs. Die 17-Jährige war bereits mit 12 ein erstes Mal in die Schlagzeilen geraten, als ihr der Fussballverband als erstem Mädchen eine Lizenz ausstellte – und diese sogleich annullierte, als er den «Fehler» durch Medienberichte über die wirblige Juniorin bemerkte. Die Walliserin ging trotzdem ihren Weg und stand bei der Länderspiel-Premiere in Mailand unter Vertrag. Die italienische Liga war das Mass aller Dinge. Boll machte sich als «Montagna Bionda» einen Namen. Es ist eine Zeit, in der auch Ursula Moser zum Test in Napoli weilte. Sie erschien in Hot Pants zum Teambus, die Spielerinnen in zugeknöpfter Vereinsuniform. Nach einer Woche flog sie wieder nach Hause.

«Die meisten wollten wie ich einfach tschutten.»

Fiorenza Kretz

In Schaffhausen reihte sich auch Fiorenza Kretz (Bild links & im rechten Bild die Zweite von rechts) unter die Torschützinnen. Fiore, wie sie von allen genannt wird, war damals Teamkollegin der Moser-Schwestern, ihr Vater nahm beim DFCZ eine tragende Rolle ein und schickte auch mal einen Trainer in die Wüste, der sich mehr für die Spielerinnen als für den Fussball interessierte. Die 65-Jährige ist die erste Spielerin der Vereinsgeschichte, die mit einer Roten Karte vom Platz flog. Sie mähte aus Frust über eine Gelbe Karte kurz darauf eine Gegnerin um. Im Spiel sei sie wie ein anderer Mensch gewesen. Lachen muss sie auch, wenn sie erzählt, dass ihr Vater in einem Trainingsprotokoll notierte, dass seine Tochter wegen Regens nicht trainieren wollte.

Immer noch eine Randsportart, aber …

Den bittersten Moment ihrer Karriere erlebt Fiore Kretz im Nationalteam. An der ersten inoffiziellen Weltmeisterschaft 1970 traf die Schweiz auf Gastgeber Italien. «Wie da geschummelt wurde, unglaublich!» Als der Schweizer Trainer die Zürcherin einwechseln wollte, ist ihr Spielerpass bei den italienischen Verantwortlichen unauffindbar. Fiore musste draussen bleiben, die Schweiz verlor und schied aus, auch wegen kurioser Schiedsrichterentscheide. Fussball war für sie nie politisch, sie interessierte sich mehr für Franz Beckenbauer und Bayern München. «Die meisten wollten wie ich einfach tschutten.» Schade findet sie hingegen, dass das Klischee, ein Mann könne alles besser als eine Frau, immer noch bestehe. «Sogar Frauen denken so. Auch bei uns im Fussball war ein Mann die grössere Respektsperson als eine Frau – völlig doof.» Sie verfolgt den Frauenfussball nicht mehr genau, hat sich aber dennoch gefreut, als das Schweizer Fernsehen zum ersten Mal ein Spiel der Frauen-Nati live übertrug.

Wo steht der Frauenfussball heute? Er ist in der Schweiz auch nach 54 Jahren eine Randsportart geblieben, die von den einen akzeptiert, von den anderen belächelt, von den meisten aber ignoriert wird. Zu einem Spiel kommen selten mehr als 100 Fans. Aber das Ganze nimmt langsam Fahrt auf: Zum letzten Cupfinal erschienen 8000 Fans, und das Schweizer Fernsehen überträgt per Live-Stream regelmässig Spiele der Women’s Super League. Zudem könnte die Fussball-EM 2022 einen weiteren Durchbruch bedeuten: Das letzte Gruppenspiel der Schweiz gegen die Niederlande wurde auf SRF von über 300 000 Menschen verfolgt. Ebenfalls erfreulich: Ein Stirnrunzeln bleibt heute bei den meisten Eltern aus, wenn die Tochter sagt, dass sie zum «FC» wolle, und das Spielniveau hat sich in den vergangenen Jahren stark verbessert. 1971 verzeichnete die Schweiz 270 lizenzierte Spielerinnen, heute sind es 25 000 – oder jede elfte ausgestellte Lizenz (bei 280 000 Lizenzen). Bildlich gesprochen: Einer von elf Spielern auf dem Platz ist weiblich. Eine Zahl, die für alle jene spricht, die sich vor 54 Jahren dafür eingesetzt haben.

Haben Sie auch Erinnerungen an die Anfänge des Frauenfussballs? Erzählen Sie uns im Kommentarfeld davon. Wir freuen uns auf Ihre Zuschrift.


Beitrag vom 23.07.2022

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