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Ferien – Erholsame Auszeit vom Alltag

Fünf Zeitlupe-Leserinnen erzählen aus ihren Ferien in den 50er- und 60er-Jahren. Bezahlte Ferien waren lange nichts Selbstverständliches, wie ein Blick zurück zeigt. 

Text: Fabian Rottmeier

«Ferien für jedermann», steht gross auf dem Plakat, mit dem der frisch gegründete Reiseveranstalter Hotelplan 1935 ein Pauschalangebot für die breite Bevölkerung anpreist. Schon ab 60 Franken sind 7 Tage Ferien inklusive «Bahnfahrt retour mit voller Pension» zu haben. Es locken unter anderem ein See und ein Berg, und am Bildrand steht ein kleiner Mann, der die Hände in die Hüfte stemmt und sagt: «Jetzt rentierts au für mich.» Hotelplan-Initiator und Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler wusste genau, wie man die Leute anspricht. Die ersten Destinationen des Reiseanbieters waren Lugano, Interlaken, Montreux und weitere Orte an Schweizer Seen.

Die Hotelplan-Werbung steht stellvertretend für diese Zeit. «Die Leute wünschten sich Ferien und begannen, diesen Anspruch auch anzumelden», sagt Beatrice Schumacher. Die Basler Historikerin hat 2002 ihre Dissertation über die Schweizer Ferien-Geschichte in Buchform veröffentlicht. «Hotelplan machte den Ferienwunsch der vielen zum Politikum», schreibt sie dort. Sehr zum Ärger der krisengebeutelten Hotellerie, die darin eine unerwünschte Konkurrenz witterte. Bis sich bezahlte Ferien etablierten, sollten aber noch 20 Jahre vergehen. Doch selbst in den 1950ern waren Ferien ausserhalb des eigenen Heims die Ausnahme. Man verbrachte sie vielleicht bei Verwandten oder im Schrebergarten. Hotels waren zu teuer.

Alles begann Mitte des 19. Jahrhunderts

Ferien seien stark mit der Industrialisierung verbunden, schreibt Beatrice Schumacher in ihrem Buch. Begonnen hatte die Geschichte der Ferien denn auch hundert Jahre zuvor, Mitte des 19. Jahrhunderts, als Urlaub auf dem Land für das Bürgertum zum Sommer gehörten. Man sprach etwa von «Sommerfrische», «Landaufenthalt» oder «Kraftort». Gegen Ende des Jahrhunderts entwickelte sich in Sachen Gesundheit und Hygiene ein neues Bewusstsein. Ärzte sorgten sich zunehmend, dass die Beschleunigung im Alltag oder die «geistige Ermüdung», wie es der deutsche Physiologe und Hygieniker Max Rubner umschrieb, gesundheitliche Schäden anrichten könnten, und empfahlen deshalb Auszeiten.

So genossen Professoren der ETH Zürich 1854 acht Wochen Urlaub – zur Erholung und Weiterbildung. Sie und andere Vertreter aus der Oberschicht waren aber die Ausnahme. Ebenso die Bundesbeamten, die 1879 ein Urlaubsreglement erhielten. Um die Stadtkinder, die in armen Verhältnissen lebten, sorgte sich in jener Zeit der Zürcher Pfarrer Walter Bion, und schickte sie in «Ferien-Kolonien» – den Vorläufern der heutigen Schullager – im Appenzellerland an die frische Luft.

Arbeiterinnen und Arbeitern hingegen wurden erst ab den 1920er-Jahren spärlich Ferien gewährt. Als Belohnung, nicht als Regel. «Bezahlte Ferien haben sich in der Privatwirtschaft und in der öffentlichen Verwaltung entwickelt», sagt Beatrice Schumacher. Die entsprechenden Gesetze seien immer mit grossem Abstand verabschiedet worden.

Der Bundesrat riet: «Macht Ferien! Schafft Arbeit!»

1940 wurden Ferien zum schweizweiten Politikum und zur Angelegenheit von nationaler Bedeutung. «Macht Ferien! Schafft Arbeit!», appellierte Bundesrat Enrico Celio. Die Folge war ein inländischer Reiseboom, der just dann einsetzte, als der Zweite Weltkrieg weltumspannender wurde und die ausländischen Touristen ausblieben. «Gang, lueg d Heimet a», forderte ein Plakat. Erst 1948 flachte der inländische Gästestrom wieder ab, wie Historikerin Schumacher schreibt.

Nun wurden Ferienwohnungen salonfähig, als Alternative zum Hotelaufenthalt. «Es fand eine Neuorientierung statt: Die Familie wurde als sozial förderliches Ziel entdeckt», sagt Beatrice Schumacher. So entstanden Genossenschaften für Ferienherbergen, und Firmen luden vereinzelt Familien in den Urlaub ein. Der «Sozialtourismus» war geboren. Die 1939 als nicht gewinnorientierte Genossenschaft gegründete Reisekasse (Reka) wurde typischerweise erst dann erfolgreich, als sie sich ab 1953 auf Familienferien konzentrierte. Das erste Reka-Feriendorf entstand drei Jahre später.

Doch wozu brauchte man eigentlich Ferien? Das Hauswirtschaftssonderheft, eine Beilage zum Schweizer Familienwochenblatt, schrieb 1952, dass Ferien helfen würden, «unseren am Gewohnten abgestumpften Blick an einer neuen Umgebung zu schärfen». Durch die Abwechslung freue man sich wieder auf den Alltag. Weiter hiess es, dass eine Auszeit im Ferienhaus «für Kinder von grossem erzieherischem Wert» sei. Den «14-Tage-Speisezettel» für die Hausfrau gabs als Service gleich dazu. Seit 1966 sind Ferien gesetzlich verankert, seit 1984 sind mindestens vier bezahlte Ferienwochen sicher. 20- bis 49-Jährige genossen 2018 laut Bundesamt für Statistik im Schnitt 4,9 Wochen Ferien, 50- bis 64-Jährige 5,7 Wochen. Und sie verfolgen dasselbe Ziel wie vor 170 Jahren: Sie suchen Ruhe, Erholung und eine Auszeit vom Alltag. ❋ 

Buchquellen: ❱ «Ferien – Interpretationen und Popularisierung eines Bedürfnisses. Schweiz 1890–1950», Beatrice Schumacher, Böhlau Verlag Wien. ❱ «Vorwärts zum Genuss», Stefan Keller, Rotpunktverlag.  

Links im Bild: Brigitte von Rotz © zVg

Das Geisterhaus von Seelisberg

ERZÄHLT VON BRIGITTE VON ROTZ, 70, AUS BOTTIGHOFEN

«Im Sommer 1955 lernte ich, dass auch Stille Angst machen kann. Ich war sechs Jahre alt und verbrachte in Seelisberg über dem Vierwaldstättersee meine ersten Ferien – bei Tante Marie. Sie lebte in einem grossen, dunklen, etwas abgeschiedenen Haus. Überall hingen Fliegenfänger. Ihren Mann sahen wir fast nie, ihren Sohn ebenso wenig, und Tante Marie war uns unheimlich. Sie empfing meine Eltern und uns fünf Kinder ohne ein Lächeln und besprach mit ihrer Schwester, meiner Mutter, als Erstes, was alles verboten war. Die Küche zu betreten zum Beispiel. Oder den Raum, in dem der eingesperrte Hund Waldi bellte. Tante Marie trug immer dasselbe schwarze Kleid und graue Finken. Das änderte sich in den zehn Sommerferien, die wir bei ihr waren, nie. Ebenso wenig, dass sie im Haus kaum zu sehen war – und plötzlich unbemerkt hinter einem stehen konnte. Einmal wollte ich durch ein Guckloch einen Blick auf Waldi werfen. Tante Marie schlug mir mit einer russigen Pfanne auf meine gelbe Hose. Der Abdruck war lange zu sehen.

Alleine die Anreise vom Bodensee per Bahn, Schiff und Standseilbahn war für uns ein Erlebnis gewesen. In Seelisberg verbrachten wir jede freie Minute draussen, auch wenn es regnete. Wir legten uns oft mit schmutzigen Füssen ins Bett. Ich war froh, dass ich dieses mit zwei Geschwistern teilen musste, denn ich fürchtete mich etwas im Haus. Wir erkundeten die Gegend, den Wald, sammelten Heidelbeeren und legten sie in leere Dawamalt-Büchsen, die uns an einer Schnur befestigt um den Hals baumelten. Fast täglich badeten wir im Seelisbergsee. Beim Nachtessen starrten wir oft auf einen Spruch an der Wand: ‹Wo Glaube, da Liebe; wo Liebe, da Friede; wo Friede, da Segen; wo Segen, da Gott; wo Gott, keine Not.› Meine Schwester sagte mir kürzlich, dass Tante Marie in ihren Erinnerungen kein Gesicht habe. Mir ergeht es gleich.»

Links im Bild: Susanne Lüthi-Tüfer © zVg

Gesucht: «Familie, die noch nie in den Ferien war»

ERZÄHLT VON SUSANNE LÜTHI-TÜFER, 70, AUS EMBRACH

«Bis ich neun Jahre alt war, verbrachte ich meine Ferien meist zu Hause oder bei meiner Grossmutter. Mein Vater arbeitete für Sulzer, und Ferien lagen mit vier Kindern nicht drin. Eines Tages entdeckte meine Mutter in der Sulzer-Zeitung ein Inserat: ‹Gesucht: Familie mit mindestens vier Kindern, die noch nie in den Ferien war›. Meine Mutter meldete sich – ohne sich mit meinem Papa abzusprechen. Und: Wir erhielten den Zuschlag und durften uns auf zwei Wochen Ferien in Laax freuen. Mein Vater schämte sich und war wütend. Sein Ärger verflog jedoch schnell. Die Kosten für die Anreise und die gemietete Ferienwohnung übernahm Sulzer.

Das Himmelbett in der Stube war für mich als Träumerin das Allergrösste. Zum ersten Mal in den Bergen, staunte ich über die Lärchenwälder, genoss all die Gerüche, sogar den Gestank der täglich vorbeiziehenden Geissenherde, und sah mir jeden Käfer und jeden Stein an. Wir machten Ausflüge mit tollen Postautofahrten, wanderten auf den Flimsterstein und badeten im Caumasee. Mein Vater trug eine gestrickte Badehose, die bis zu den Knien reichte, wenn sie nass war. Und in einem Restaurant durfte ich zum ersten Mal Pommes frites und eine Bratwurst essen. Ich bin meiner Mutter ewig dankbar für diese tollen Ferien.»

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Tour de Österreich

ERZÄHLT VON HELGA WEBER, 81, AUS THALWIL

«Ferien bedeuteten lange: für meine Eltern schuften. Die Arbeit auf dem Hof und den Feldern im österreichischen Burgenland war hart. Mit 25 Jahren – ich lebte inzwischen alleine in der Schweiz – heiratete ich einen verwitweten Pöstler und Vater zweier Buben. Wir mussten sparsam leben. 1965 konnten wir uns ein Auto leisten, einen Renault 4 mit drei Gängen. ‹Lass uns damit nach Österreich fahren›, schlug Franz vor, dessen Freunde unseren Kleinwagen als Konservendose abtaten. Aber unser ‹Büchsli› sollte uns überall pannenfrei hinbringen. In den folgenden Jahren fuhren wir in den Ferien quer durch Österreich, meistens auf Nebenstrassen. Erst so lernte ich meine Heimat wirklich kennen.

Am Steuer wechselten wir uns stets ab. In den Bergen meisterten wir manch gefährlich schmale oder steile Strasse. Im Kofferraum dabei: eine Wäschezaine, gefüllt mit Camping-Kochutensilien. Das Zelt und unsere Schlafsäcke hievten wir in einem alten Postsack aufs Dach. Der Renault verlieh mir erstmals ein Gefühl von Freiheit. Kochen konnte ich auch jederzeit und überall. Den Abwasch mussten mein Mann oder seine Söhne erledigen. Nachmittags um vier Uhr hielten wir jeweils Ausschau nach ‹Zimmer zu vermieten›-Schildern. Franz und ich schliefen im Haus, die Jungs schlugen voller Vorfreude im Garten das Zelt auf. Das Frühstück gab es oft in der Stube der Gastgeber. Fotos aus dieser Zeit habe ich keine, weil wir uns keine Kamera leisten konnten. Trotzdem: Wir haben mit wenig Geld viel gesehen.»

Links im Bild: Susanne Scherrer © zVg

Pfadiliebe mit Hindernissen

ERZÄHLT VON SUSANNE SCHERRER, 76, AUS ELGG

«Erstmal verliebt war ich im Sommer 1959 – und begann skrupellos, meine Eltern zu belügen. Weil mein Freund 19 Jahre und damit drei Jahre älter als ich war, verboten mir meine besorgten Eltern fast alles. Nur dank Lügen kam ich zu meinen Verabredungen. Wie ich war auch er Pfadimitglied, wenn auch nicht im selben Stamm. Jeweils an Pfingsten schlug die gesamte Pfadi-Gemeinde von Winterthur an vielen Lagerplätzen entlang der Thur ihre Zelte auf. Meine Freundin und ich waren die ersten und einzigen Mädchen, die an einem Bubenlager teilnehmen durften. Mein Bruder, der Hauptleiter des Lagers, war dagegen gewesen. Dass wir nicht bloss zum Kochen da waren, stellten wir sogleich klar.

In der ersten Nacht hielten wir eine Stunde Nachtwache. Es galt, Ausschau zu halten nach ‹Überfällen› durch andere Lagergruppen. Kurz nach Antritt schlich ich mich davon, denn ich hatte mich mit meinem Verehrer an einer Brücke verabredet. Wir bemerkten rasch, dass man uns mit Taschenlampen suchte, und versteckten uns. Es war alles andere als romantisch. Am nächsten Morgen stellte mein Bruder meine Freundin und mich vor versammelter Schar bloss. Wir mussten abreisen. Meine Mutter erteilte mir die Höchststrafe: Mein Sommerlager war gestrichen. Zudem verdonnerte sie mich zu einem Landdiensteinsatz im Welschland, den ich jedoch dreist abwenden konnte: Ich schrieb kurz nach meiner Anmeldung einen Brief, indem ich erklärte, dass ich leider verhindert sei. Meine nichtsahnende Mutter war erbost, als das Aufgebot vom Landdienst ausblieb. Als Folge dessen durfte ich dann doch ins Walliser Pfadilager. Davon sind mir die Liebesbriefe, die ich und mein Freund uns von Pfadilager zu Pfadilager schickten, besonders in Erinnerung geblieben, aber auch der riesige Kübel Vierfruchtkonfi, geliefert von der Armee, und der Höhepunkt, die Wanderung zum Turtmann-Gletscher auf 3200 Meter Höhe. Natürlich in Uniform, sprich, mit Foulard und Manchester-Jupe!»

Erika Gladnik mit Schauspieler Claus Biederstaedt © zVg

Die venezianische Strandstatistin

ERZÄHLT VON ERIKA GLADNIK, 83, AUS EBIKON

«Ich musste drei Eimer voll gelber Rosen zurücklassen, als mein Mann und ich losfuhren. Am Tag zuvor, am 30. Mai 1959, hatten wir in Wien geheiratet, in seiner Heimatstadt. Ich wuchs in Graz auf, wir lebten aber beide in Luzern, wo wir uns auch kennengelernt hatten. An der Feier hatte er mir als Überraschung eröffnet, dass unsere Hochzeitsreise nach Venedig führen würde. Wir legten die gesamte Strecke in unserem Fiat 600 am Stück zurück. Das Hotel Lido war unsere Bleibe. Wir hatten nicht viel Geld, waren es aber aus unserer Kindheit gewohnt, mit wenig auszukommen. In Venedig leisteten wir uns fast immer ein Wassertaxi, auch, weil mein Mann nach einem Beinbruch immer noch an Krücken ging. Eine Gondelfahrt musste natürlich auch sein! Wir sahen wohl tausend Brücken, besuchten die Glasbläserei auf Murano und die Stickerei auf Burano. Weil es ansonsten noch kaum touristische Angebote gab, waren wir oft am Strand, am Lido.

Eines Nachmittags bemerkten wir, dass der deutsche Schauspieler Claus Biederstaedt dort gerade den Spielfilm ‹Mandolinen und Mondschein› drehte. Ich wurde gefragt, ob ich mich als Statistin zur Verfügung stellen würde. Mein humpelnder Mann kam dafür nicht infrage, denn wir sollten in Badekleidern durchs Bild rennen. Claus Biederstaedt sprach mich sogar an, und ich konnte mich kurz mit ihm unterhalten. Jedenfalls so lange, bis mein eifersüchtiger Mann einschritt: ‹So, nun müssen wir aber weiter.› Venedig war meine erste Reise ans Meer. Noch heute zieht es mich magisch an. Es gibt nichts Schöneres.»

Beitrag vom 13.06.2019