Quelle: worldsingersongwriters.com

«Le métèque» von Georges Moustaki Songs und ihre Geschichten

Georges Moustaki war ein Meister der leisen Töne. Als Komponist und Textdichter für andere und als Interpret seiner eigenen Lieder schuf er während seiner langen Karriere an die 300 Lieder und prägte die Entwicklung des französischen Chansons massgeblich.

Von Urs Musfeld

Moustaki verkörperte das idealtypische Abbild eines mediterranen Musikers: Langes, gewelltes Haar, ein grau melierter Vollbart, oft und gerne ganz in Weiss gekleidet. Mit natürlicher Baritonstimme sang er über die Liebe und das Leben.

Geboren wurde er 1934 als Youssef Mustacchi im ägyptischen Alexandria, seine Eltern waren jüdische Griechen. Die Jugend in der multikulturellen Stadt sollte später auch seine Musik prägen. Neben seiner Muttersprache Griechisch lernte er Italienisch, Arabisch und Französisch. Seinen Künstler-Vornamen borgte er sich von dem berühmten Barden Georges Brassens aus, der ihn unterstützte und förderte, nachdem Moustaki 1951 in Paris eintraf.

Zunächst arbeitete er dort als Barman und Journalist, verkaufte Bücher und spielte Gitarre in den Cafés von Montparnasse. Aber bald schon schrieb er Texte und Lieder für all die Chanson-Größen von Barbara, über Dalida, Juliette Gréco bis Yves Montand und Edith Piaf. Für die 19 Jahre ältere Sängerin – mit der ihn eine kurze Liebesbeziehung verband – schrieb er zur Musik von Marguerite Monnot das Stück «Milord», welches in Piafs Interpretation 1960 zu einem Welthit wurde.

«Avec ma gueule de métèque, de Juif errant, de pâtre grec» – «Mit der Fresse eines Kanaken, eines umherirrenden Juden, eines griechischen Viehhirten», so beginnt das Chanson «Le métèque» aus dem Jahr 1969, das Moustaki als Sänger berühmt machte.

Das Wort «Métèque» hat seine Wurzeln im antik-griechischen: «Métoikos» ist der «Ansiedler», der kein Bürgerrecht besass, ein ausgegrenzter Fremder im antiken Athen. Einer, der nicht von hier ist, geheimnisumwittert, argwöhnisch beäugt und abgelehnt.

In «Le métèque» beschrieb Moustaki sich und sein Ausländer-Schicksal im selbst gewählten Pariser Exil: Stolz nannte er sich «Kanake» und stellte sich als Produkt der Jahrtausende alten Mischkultur des Mittelmeers vor. Er nahm Bezug zur Geschichte seiner Eltern, die als griechische Juden von Korfu nach Alexandria gekommen waren. 

Hier die anschliessenden Zeilen:

Et mes cheveux aux quatre vents
Avec mes yeux tout délavés

Qui me donnent l’air de rêver
Moi qui ne rêve plus souvent

Avec mes mains de maraudeur
De musicien et de rôdeur
Qui ont pillé tant de jardins
Avec ma bouche qui a bu
Qui a embrassé et mordu
Sans jamais assouvir sa faim

Und meine in alle Himmelrichtungen stehenden Haare,
Mit meinen wässrigen Augen,

Die den Eindruck erwecken, ich würde träumen,
Ich, der nur noch selten träumt,

Mit den Händen eines Diebes,
Eines Musikers, eines Herumtreibers,
Hände, die so viele Gärten geplündert haben,
Mit meinem Mund, der getrunken hat,
geküsst und gebissen
Ohne jemals satt zu werden

und dann der Schluss:

Et nous ferons de chaque jour
toute une éternité d’amour
que nous vivrons à en mourir.

Und wir werden aus jedem Tag
Eine ganze Liebesewigkeit machen,
Die wir bis zum Tod auskosten werden

Moustaki blieb ein Kosmopolit, der sich sein Leben lang poetisch, lächelnd oder mit erhobener Faust über die Dummheit und Engstirnigkeit der nationalistischen Fremdenfeindlichkeit empört hat.

Persönliche und gesellschaftliche Themen verarbeitete er philosophisch. «Alle Lieder sind Selbstporträts, ich erzähle immer mein Leben aus einem jeweils unterschiedlichen Blickwinkel.», erklärte er in einem Interview.

«Le temps de vivre», eine Anleitung zum Stressabbau, steht symbolisch für seine Lebenseinstellung.«Nous prendrons le temps de vivre, et d‘être libre. Sans project et sans habitudes, nous pourons rêver notre vie» («Wir werden uns die Zeit zum Leben nehmen/ frei zu sein, meine Geliebte/ Ohne Pläne und Gewohnheiten/ Könnten wir unser Leben träumen.»). In «Ma solitude» besingt er die Einsamkeit als ständige Begleiterin: «Non je ne suis pas seule, avec ma solitude». Er sinniert über die Freiheit («Ma liberté»): «Ma liberté/ devant tes volontés/ Mon âme était soumise» («meine Freiheit, deinem Willen war meine Seele unterworfen». Oder er verkündet den Zustand des dauerhaften Glücks und den Anspruch jeder Person auf alle Privilegien («Votre fille à vingt ans»)

Der polyglotte Franzose (der erst 1985 die französische Staatsbürgerschaft angenommen hat) war ein ewig Reisender und liess sich von der Musik der Welt beeinflussen, Brasilien, New York, Japan und Paris. In den 1970er-Jahren beschäftigte er sich mit den Werken von Mikis Theodorakis oder Astor Piazzolla, mit Instrumenten wie dem Akkordeon oder der griechischen Bouzouki, ohne dabei seine eigene Handschrift zu verlieren.

Diese allerdings brachte ihm nicht nur Lob ein: Ihm, der als Meister der leisen Töne galt, wurden seine melodiöse Schlichtheit und fehlende Aggressivität von Kritikern auch vorgeworfen. Beliebig seien seine Kompositionen, wenig originell, zahm, melancholisch. 

Bis ins späte Alter trat Georges Moustaki auf, ging auf ausgedehnte Tourneen und produzierte Aufnahmen.

 Auf die Frage, ob er mit den Jahren weiser geworden sei, antwortete er: «Das Alter bringt und nimmt Dinge. Das bleibt im Gleichgewicht. Man hat vielleicht weniger Unschuld und mehr Erfahrung. Erfahrung kann die Kreativität begrenzen, weil man weniger frisch ist. aber die Erfahrung kann Tiefe geben. Man kriegt mehr Tiefe und hat weniger Unschuld. Man verliert und gewinnt.»

Nach einer schweren Atemwegserkrankung beendete er 2009 seine Bühnenkarriere. 2011 gab er bekannt, dass er nie wieder singen könne. 2013 starb Georges Moustaki im Alter von 79 Jahren in Nizza.

Urs Musfeld alias Musi

Portrait von Urs Musfeld

Urs Musfeld © Claudia Herzog

Urs Musfeld alias MUSI, Jahrgang 1952, war während 39 Jahren Musikredaktor bei Schweizer Radio SRF (DRS 2, DRS 3, DRS Virus und SRF 3) und dabei hauptsächlich für die Sendung «Sounds!» verantwortlich. Seine Neugier für Musik ausserhalb des Mainstreams ist auch nach Beendigung der Radio-Laufbahn nicht nur Beruf, sondern Berufung.  Auf seiner Website «MUSI-C» gibt’s wöchentlich Musik entdecken ohne Scheuklappen zu entdecken: https://www.musi-c.ch/

Beitrag vom 26.08.2020
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