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Lebensstufen 1. Juli 2024

Die langjährige Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder erzählt alle zwei Wochen aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: von einem Pingpongtisch, Hochzeitsfotos und Hermann Hesse.

Die grosse Kleine bekommt zum Geburtstag einen Pingpong-Tisch. Eigentlich ist es eine Anschaffung für die ganze Familie. Selbst ihr Grossätte will seine Pingpongkünste wieder aktivieren, war er doch einst ein begeisterter Spieler. Beim Geburtstagskuchen erzählen wir der Kleinen, wie wir zu unserer Hochzeit von unseren Freunden einen ebensolchen Tisch bekommen haben: ein grosses Paket, eingewickelt in buntes Papier. Es brauchte einen Teil der Hochzeitsgesellschaft, um während des Aperos in unserem Garten das Geschenk auszupacken und den Tisch aufzustellen. Ich hole das Hochzeitsalbum. Diesen Augenblick damals haben wir festgehalten.

Tatsächlich: Mein junger schlanker Mann, mit schwarzen vollen Haaren, einem schwarzen Schnauz und einer Pilotenbrille schält den Tisch aus seiner Verpackung. Die grosse Kleine muss lachen, wie sehr ihr Grossätte in seinem Sonntagsstaat anders aussieht. Er gefällt ihr jetzt besser. Auf einem anderen Bild liegt die Pingpong-Tischplatte verkehrt herum auf dem Boden, daneben liegen grüne Tischbeine und Verstrebungen, ein Freund studiert die Anleitung. Noch vor der Fahrt zum Hochzeitsessen stand der Tisch. Er war ein tolles Geschenk, das schliesslich jahrelang zum Einsatz kam.

Bevor ich das Album wieder versorge, blättere ich Seite um Seite um. Lange habe ich nicht mehr hineingeschaut. Jetzt bin ich berührt von mir selber, wie ich mir daraus entgegen strahle – jung und hoffnungsfroh. Ich trage die Gotthelf-Tracht, habe eine Rose im Haar, und die silberne Brosche aus dem Trachtenschmuck meiner Grossmutter ziert meine Bluse. Glatt ist meine Haut, und die Fältchen um meine Augen sind Lachfältchen. So sah ich aus, damals, vor bald vierzig Jahren. Die Kinder im Album haben inzwischen längst selber Kinder, die Gleichaltrigen sind mit mir alt geworden, und die gesamte Generation vor mir gibt es nicht mehr.

Wie schnell vergeht die Zeit. Wie viel bleibt mir noch? Verglichen mit den Jahren, die hinter mir liegen, nur noch wenig. Ich denke an die letzte Vorlesung, die ich an der Uni besucht habe. Der Theologe, Ethiker und Gerontologe Heinz Rüegger referierte zum Thema Alter. «Das dritte Alter zwischen 65 und 85 hat grosses Potenzial. Es erschliesst noch einmal neue Räume», sagte er. Ein letztes Mal könne Lebenshunger gestillt werden, aber auch das «pralle Sein jenseits von Zweck und Nutzen» sei eine eigenständige Qualität in dieser Lebensphase. Um schliesslich dankbar und lebenssatt die Zumutungen des vierten Alters anzunehmen. Heinz Rüegger zitiert Hermann Hesses Stufengedicht, das mit dem Vers beginnt «Wie jede Blüte welkt und jede Jugend dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe…» und mit den Worten endet «Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!»

Ich bin dran, die «neuen Räume» des dritten Alters zu entdecken und auszukosten. Die Balance zwischen Tun und Sein habe ich noch nicht ganz gefunden. Ich spüre viel Dankbarkeit und manchmal auch eine erste Spur von Lebenssattheit. Schon bald stehe ich an der Schwelle zum vierten Alter. Ich hoffe, dass ich dann an Hermann Hesse denke: «Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten, an keinem wie an einer Heimat hängen…»


  • Erinnern Sie sich auch noch an ein spezielles Hochzeitsgeschenk? Wir würden uns freuen, wenn Sie uns davon erzählen oder die Kolumne teilen würden. Herzlichen Dank im Voraus.
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Beitrag vom 01.07.2024
Usch Vollenwyder

Zeitlupe-Redaktorin
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