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Aufräumen: Schluss 12. September 2023

Die langjährige Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder erzählt alle zwei Wochen aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: von einem Sammelsurium besuchter Kurse. 

Usch Vollenwyder
© Jessica Prinz

Wir packen für die Ferien, und ich steige auf den Estrich, um den grossen Koffer herunter zu holen. Dahinter, versteckt in der dunklen Ecke, entdecke ich eine weitere grosse Plastikbox. Auf dem Deckel liegt eine dicke Staubschicht, auf einem aufgeklebten Zettel steht «Kurse». Ich ärgere mich: Habe ich mein Arbeitsleben immer noch nicht aufgeräumt? Mühsam bugsiere ich die Kiste die Estrichleiter hinunter. Sie riecht muffig nach altem Papier. Einen Augenblick erwäge ich, sie unbesehen bei der Papiersammelstelle in den Container zu leeren. Dann siegt die Neugier. Ich setze mich aufs Sofa, die Plastikkiste neben mir, und wühle mich durch fünfzig Jahre Weiterbildung. 

Was für ein Potpourri! Jeder Berufs- und Lebensabschnitt ist kursmässig dokumentiert – vieles habe ich vergessen: «Eine Nacht unter den Sternen» zum Beispiel. Jetzt erinnere ich mich wieder an den Geruch des feuchten Walds und den Regen, der beim Erwachen aus dem Blätterdach über mir tropfte. Anderes bleibt vergessen, unter anderem der Selbstoptimierungskurs «Energievolles Leben – ganzheitlich, vernetzt, beruflich und privat.» Mir kommt nicht die kleinste Erinnerung an diese drei Tage irgendwo im Appenzellerland. Ich stosse auf einen Spinn-, einen Blumenbind- und einen Baum- und Sträucher-Schneidkurs, auf Unterlagen über heilpädagogisches Reiten oder einen Massagekurs für unruhige Kinder. Als Co-Schulleiterin hatte ich auch Weiterbildungen wie Qualitätsmanagement und Qualitätssicherung, Führungskompetenz oder Zeitmanagement zu besuchen. Das war der Moment, wo ich wusste, dass ich den Beruf wechseln musste. 

Schliesslich mein Einstieg in den Journalismus. Das Merkblatt bei der Regionalzeitung mit der wichtigsten Botschaft zuoberst: «Vergessen Sie die 7 W nicht: Wer? Was? Wann? Wo? Warum? Wie? Welche Quelle?» Ein Kurs zum Thema Frauen im Journalismus trägt den Titel «Auf der Mauer, auf der Lauer, sitzen Frauen, stark und sauer… Über Jahre hinweg folgen Weiterbildungen zu beinahe jedem journalistischen Thema bei namhaften Dozentinnen und Schriftstellern. Mindestens drei mehrtägige Kurse tragen den Titel «Von der Idee zum Buch». An Ideen hat es mir nie gemangelt, aus keiner ist je ein Buch geworden.

Ein Sichtmäppchen ist mit «Journalismus bei der Zeitlupe» angeschrieben. Neugierig nehme ich die einzelnen Blätter heraus, sie sind mindestens zwanzig Jahre alt. Darauf führt der damalige Chefredaktor seine Grundregeln für uns Mitarbeitende aus: «Klare, verständliche, leicht lesbare Sprache, Hauptsatz mit höchstens einem Nebensatz.» Oder: Sorgfältig überlegte, eindrückliche, emotionale Bilder.» Beigelegt sind Zitate des Journalisten und langjährigen Radio-Direktors Andreas Blum. Darin beklagt er die «zunehmende Absenz jeder Moralität im Journalismus als Indiz für den Wertezerfall» und stellt fest, dass viele Medien statt relevanter Themen nur noch Belanglosigkeiten vermitteln würden. Was würde der inzwischen 85-Jährige wohl zur aktuellen Medienlandschaft sagen, über die ich vielfach so denke, wie er vor zwanzig Jahren schrieb?

Schliesslich packe ich all die Papiere samt den ausgestellten Bestätigungen, die ich nie gebraucht habe, wieder in die Kiste zurück und fahre damit zur Papiersammelstelle. Zufrieden leere ich sie in den Container. Ich brauche nichts mehr davon. 


  • Erinnern Sie sich noch an Ihre Weiterbildungskurse? Was ist davon geblieben? Wir würden uns freuen, wenn Sie uns davon erzählen oder die Kolumne mit anderen teilen würden. Herzlichen Dank im Voraus.
  • Hier lesen Sie weitere «Uschs Notizen»

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Beitrag vom 11.09.2023

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