© Maja Englund

Ein Schweizer in Schweden

Rund 4500 Schweizerinnen und Schweizer leben in Schweden. Zeitlupe-Redaktorin Annegret Honegger hat mit Othmar Englund gesprochen, der seit zwanzig Jahren in Stockholm wohnt.

Text: Annegret Honegger

Englund? Typisch schweizerisch klingt dieser Name nicht. Doch Othmar Englund ist 1953 in Zurzach geboren und dort aufgewachsen – damals hiess er noch Othmar Strebel. Beim Skype-Anruf klingt der 67-Jährige, als wohne er nur ein paar Kilometer weit weg. Sein Blick jedoch, so sieht man durch die Kamera, geht aus dem Fenster hinaus auf die Innenstadt Stockholms.

Neben dem Pass mit dem weissen Kreuz auf rotem Grund, besitzt Othmar Englund auch einen in gelb/blau. Seit zwanzig Jahren lebt er in der schwedischen Hauptstadt, von deren Vorzügen er schwärmt: «Stockholm ist eine ideale Mischung: Ein Drittel der Fläche sind Häuser und Strassen, ein Drittel Parks und Grünflächen und ein Drittel ist Wasser.»

1984 bis 1988 zog es den jungen Elektroingenieur für die Firma Brown Boveri erstmals in den Norden. Die schwedische Unkompliziertheit und das Leben in der Grossstadt gefielen ihm. Zurück in der Heimat, veränderte sich sein Blick auf die Schweiz: «Ich hatte das Land aus der Ferne wohl etwas idealisiert.» Die Verbindung mit Schweden blieb bestehen, denn Othmar Englund hatte dort seine Frau Maja kennengelernt.

Aus Othmar Strebel wird Othmar Englund

Nach gemeinsamen Jahren in der Schweiz und verworfenen Auswanderungsplänen nach England zog das Paar aufs neue Jahrtausend hin nach Stockholm. Othmar Englund kehrte dem Ingenieurwesen den Rücken, studierte schwedische Geschichte, wurde City Guide und gründete schliesslich eine eigene Schule für Stadtführer. Seit zehn Jahren fährt er – «als eine Art Altersvorsorge» – auch Teilzeit Bus für die städtischen Verkehrsbetriebe. Dass die Englunds den Mädchennamen von Maja Englund annahmen, hatte auch sprachliche Gründe: «Die Schweden verwechselten Strebel immer mit dem deutschen Wort Streber, was mir nicht so gefiel …»

Obwohl er einige Jahre nicht mehr in der Schweiz war, klingt Othmar Englunds Schweizerdeutsch überhaupt nicht eingerostet. Sprache und Geschichte interessieren ihn, längst weiss er wohl mehr über seine neue Heimat als manche Alteingesessenen. Sein Schwedisch sei nahezu perfekt: «Nur mündlich verraten mich manchmal kleine Unterschiede in der Sprachmelodie. Die Schweden denken dann, ich stamme von der Insel Gotland.» Ab und zu brauche er schweizerdeutsche Wörter, weil das Schwedische keine präzise Entsprechung biete, wie zum Beispiel für «Grümpel», «Tubel» oder «Cheib».

Schweden vs. Schweiz: Vergleichen ist schwierig

Diplomatisch findet der Doppelbürger: «Beide Länder haben ihre Vor- und Nachteile.» Ein Vergleich sei schwierig, auch weil sein Schweiz-Bild schon etwas in die Jahre gekommen sei – obwohl er übers Internet Schweizer Fernsehen schaue und dank der «Schweizer Revue», der Zeitschrift für die Schweizerinnen und Schweizer im Ausland, gut informiert sei. An Abstimmungen beteiligt sich Othmar Englund nicht mehr: «Ich habe fast immer verloren.»

Er schätzt es, dass Schweden EU-Mitglied ist und seine Bürgerinnen und Bürger umfassend versorgt: «Überstaatliche Regeln machen mein Leben einfacher, weil ich zum Beispiel in der ganzen EU ohne Mehrkosten telefonieren kann.» Die Krankenkasse sei in Schweden anders als in der Schweiz bereits in den Steuern inbegriffen. Und die hohe Steuerbelastung, über die manche klagen, betreffe nicht die gewöhnlichen Leute, sondern vor allem die Reicheren.

Als «typischen Schweizer» bezeichnet sich Othmar Englund in Sachen Schulden. Dass man in Schweden vieles «auf Pump» anschafft, befremdet ihn: «Will man hier sein Auto sofort bezahlen, schaut einen der Verkäufer erstaunt an, denn Abzahlungsverträge sind in Schweden völlig selbstverständlich.» Keine Schulden und eine Eigentumswohnung zu haben – Englunds haben sie aus dem Geld der Schweizer Pensionskasse gekauft – sei in Schweden die grosse Ausnahme.

Corona: Der schwedische Weg

Und Corona? Wie unterscheiden sich die Schweiz und Schweden im Umgang mit dem Virus? Nicht so stark, wie man aufgrund der Medienberichte glauben könnte, erklärt Othmar Englund. Vielleicht weil in Skandinavien jahrhundertelang Königinnen und Königen regierten, seien die Menschen etwas untertäniger als in der Schweiz: «Wenn die Regierung etwas empfiehlt, dann halten die meisten Schweden das so streng ein, als ob es ein Gesetz wäre.» So blieben die Restaurants und Schulen zwar offen, aber unter genau überwachten Einschränkungen. Othmar Englund kann das in Stockholms Zentrum gut beobachten: «Die Vorschriften mögen zwar unterschiedlich klingen, aber der Alltag in Schweden ist demjenigen in der Schweiz sehr ähnlich.»

Längst schlagen zwei Herzen in der Brust des Auslandschweizers. Vermisst er wenigstens den typischen Schweizer Cervelat? Cervelats für die 1. Augustfeier im Garten der Schweizer Botschaft zu beschaffen, war jedes Jahr eine Herausforderung für den ehemaligen Präsidenten des Schweizerklubs in Stockholm: «Da wir aus einem Nicht-EU-Land kein Fleisch importieren durften, mussten wir uns etwas einfallen lassen. Einmal hat ein Kollege die Würste in seinem Koffer geschmuggelt», erinnert sich Othmar Englund schmunzelnd. Persönlich hat er sich auch wurstmässig etwas von der Schweiz entfernt: «Heute ist mir die weniger fettige Chorizo aus Spanien lieber …»

Zeitlupe-Serie: Auslandschweizerinnen und -schweizer

Mehr als 10 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer leben im Ausland. Die Zeitlupe gibt ihnen in einer Artikel-Serie ein Gesicht. Lesen Sie hier weitere interessante Portraits.

 


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Beitrag vom 23.05.2020
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