Wunderkraut Löwenzahn
Des einen Freud, des andern Leid: Dafür ist Löwenzahn das beste Beispiel. Man lobt ihn als Frühlingskur für den Körper – oder rückt ihm mit der Harke zu Leibe.
Text: Gaby Labhart
Tinu, aus dem Kanton Bern stammend, sagt Söiblueme. Anita, irgendwo um Zürich herum angesiedelt, sagt Chrottepösche. Ihr Mann aus dem Aargauer Mittelland sagt Weifäcke. Eine Freundin aus dem Saarland hat sie Bettsaicher genannt und einen köstlichen Salat daraus gemacht: mit einer schön cremigen Salatsauce mit Salz und Pfeffer, Essig, Öl, etwas Bouillon, tüchtig Senf und einem guten Schluck Rahm und hart gekochten Eiern (durch ein Sieb drücken und zur Sauce geben). Am Schluss hat sie noch kross gebratene Speckwürfeli über den Salat gestreut.
Löwenzahn ist ein wunderbares Wort, mit dem sich die Dialektvielfalt virtuos manifestieren lässt. (Fast so schön ist die Wähe, die von Basel bis Graubünden von Wäje über Chueche zu Flade, Tünne oder Turte mutiert.) Der Löwenzahn aber ist unschlagbar, und wenn wir noch an Furzere, Sunewirbel, Ramschfädere oder Chüeblueme denken, dann kommen wir vor lauter Suche nach den Wortschätzen gar nicht mehr zum Essen.
Dass Taraxacum officinale sprachlich gesehen oft im Verdauungstrakt angesiedelt ist, kommt nicht von ungefähr. Löwenzahn gilt als exzellenter Entwässerer, versorgt jedoch den Organismus gleichzeitig mit wichtigen Mineralstoffen, insbesondere mit Kalzium und Kalium. In Löwenzahn steckt etwa vierzigmal so viel Pro-Vitamin A wie im Kopfsalat, neunmal so viel Vitamin C, viermal so viel Vitamin E und achtmal so viel Kalzium.
In der Naturheilkunde spielt das Kraut eine tragende Rolle. Löwenzahn rege die Magensaftproduktion an, wirke appetitanregend und krampflösend. Wer mit dem Blutzuckerspiegel Probleme habe oder bereits an Diabetes leide, solle täglich eine Tasse Löwenzahntee trinken oder Löwenzahnwurzelextrakt einnehmen, weil es die Galleproduktion in der Leber anrege und den Fettstoffwechsel verbessere. Frischer Löwenzahnsalat ist also ein ideales Diabetiker-Gemüse. Und so wird dieses Unkraut, das in den gepflegten Gärten flächendeckend weggejätet wird – es ist ein Krampf, denn der Löwenzahn pfahlwurzelttief –, zum wahren Wunderkraut. Was übrigens die alten Griechen ebenso wussten wie die arabischen Ärzte und die mittelalterlichen Kräuterdoktoren.
Von Löwenzahnpesto über Löwenzahndip, Löwenzahnsalat, Löwenzahneis bis hin zum Löwenzahnlikör und -schnaps existieren zahlreiche Rezepte, die sich mehr oder minder sinnvoll mit dem Schnäggechruut – auch so heisst Löwenzahn in gewissen Gegenden – befassen. Wenn er noch hellgrün, jung und zart ist, sollte man ihn einfach als Salat geniessen. Oder ganz klein hacken und auf einem Teller verteilen, ein frisches Stück Brot grosszügig mit Butter bestreichen und die bestrichene Seite in die gehackten Blättchen pressen. Die bleiben auf der Butter haften, werden noch mit etwas Fleur de Sel und gehacktem Ei bestreut – und als Überraschung zur Vorspeise oder zum Apéro gereicht. Wie sagen doch die berühmtesten Köche immer wieder gerne? Alles Grosse ist einfach. Hier jedenfalls trifft es für einmal zu. ✽