Veteranin unter den Getreidesorten
Hirse ist die Nährstoffkönigin unter den Getreiden. Ob sie sogar die Haare spriessen lässt, ist umstritten.
Text: Gaby Labhart
Der Hirsebrei setzte sich im alten Rom ebenso wenig durch wie Gerstenbrei, beides hatte stets den Ruf, Hühner-, Sklaven- und Armenfutter zu sein. Karl der Grosse hingegen liess Hirse als Fastenspeise anbauen. Er wusste, was für eine grosse, nährende Pflanze er da vor sich hatte.
Hirse ist die älteste aller von Menschen kultivierten Getreidearten. Und übrigens diejenige mit den härtesten Körnern. Ein Arme-Leute-Essen par excellence. Kein Grimm-Märchen, in dem nicht ein mausarmer Schlucker Hirsebrei löffelt. Irgendwann im 19. Jahrhundert begann dann der Niedergang der Hirse. Und sie geriet in unseren Breitengraden fast ganz in Vergessenheit. Blieb allerdings im Gebrauch als Wundermittel für Haar- und Nagelwuchs, ja sogar für gesunde Zähne. Wie viel sie in dieser Hinsicht bringt, ist und bleibt umstritten.
Kulinarisch hat Hirse seit ein paar Jahren mächtig aufgeholt. Das kann sicher damit zusammenhängen, dass indische und afrikanische Küchen bei uns Fuss gefasst haben, die häufig Hirse verwenden. Nur Brot bäckt man aus Hirse nicht. Die Körner haben einen zu geringen Kleberanteil. Allerdings eignen sie sich bestens zur Herstellung von Fladenbroten. Chapati und Genossinnen lassen grüssen.
Ja, sie ist ein widerstandsfähiges, anspruchsloses, tapferes Sommergetreide, sie liebt Wärme und verträgt selbst ausgesprochene Trockenheit. Dies hat sie denn auch zum wichtigsten Getreide Afrikas gemacht. Und mit der zunehmenden Gluten-Unverträglichkeit vieler Menschen kommt Hirse zu neuen Ehren. Heute ist sie ein Grundnahrungsmittel für ein Drittel der Weltbevölkerung.
So, jetzt ist letzte Gelegenheit für einen kurzen und entscheidenden Zwischenruf. Eigentlich müssten wir hier nämlich von Hirsen reden, weil Hirse die Sammelbezeichnung für eine Reihe von Getreidearten ist, die alle zur Familie der Süssgräser gehören.
Da beim Schälen des Hirsekorns der Keimling verletzt werden kann, tritt Hirseöl aus. Die Körner können dann nach kurzer Lagerung ganz leicht bitter schmecken, weil das Öl etwas ranzig geworden ist. Abhilfe ist ganz einfach: Die Körner vor dem Kochen mit heissem Wasser übergiessen und abtropfen lassen.
Die Wirkungen von Hirse
Allergien
Hirse wird als glutenfreies und eiweissund mineralstoffreiches Getreide geschätzt. Wie alle Getreidearten enthält sie Eiweisse, die zu allergischen Reaktionen führen können. Hirseallergie ist selten, meist treten dann Kreuzreaktionen bei einer Weizen-, Mais- oder Reis-Allergie auf. Bei einer Allergie kann sowohl rohe als auch gekochte Hirse oder Hirsemehlstaub eine allergische Reaktion auslösen.
Diabetes
Hirse enthält Kalium und Magnesium. Magnesium ist ein Co-Faktor für über 300 Enzyme, darunter jene, die der Körper für die Ausschüttung von Insulin und Glukose benötigt. Weil die Bauchspeicheldrüse Magnesium verwendet, um ausreichend Insulin zu produzieren, helfen die Inhaltsstoffe der Hirse, den Blutzuckerspiegel zu senken. Hirse hat einen niedrigen glykämischen Index, ist also für Diabetiker geeignet. 100 Gramm Hirse schlagen aber mit 5,7 Broteinheiten zu Buche, die es einzuberechnen gilt.
Cholesterin
Hirse enthält wertvolle Kohlenhydrate und Ballaststoffe, die erhöhtem LDL-Cholesterin entgegenwirken und das «gute» HDL-Cholesterin erhöhen. Sie eignet sich gut für Personen mit zu hohen Blutfettwerten.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Der hohe Magnesiumgehalt sowie der Kaliumgehalt der Hirse helfen, den Blutdruck zu senken, was Herzinfarkt und Schlaganfall entgegenwirkt.
Übergewicht
Das altgermanische Wort «Hirsi» heisst «Sättigung» oder «Nahrhaftigkeit». Im Magen quellen die Körner stark auf und rufen schnell ein Sättigungsgefühl hervor. So sind Hirsekörner oder -backwaren sättigende Speisen, die Mineralstoffe, neben Magnesium und Kalium auch Eisen und wertvolles Eiweiss liefern.
Verdauung
Die verdauungsfördernden Ballaststoffe in der Hirse beugen Verstopfung, Blähungen und Bauchkrämpfen vor. Zudem ist die Hirse frei von Gluten.
Fachliche Mitarbeit:
Prof. Dr. Christine Brombach, Institut für Lebensmittel- und Getränkeinnovation, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften
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