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Unser täglich Brot

Pro Jahr und Kopf essen wir 50 Kilogramm Brot. Der überwiegende Teil davon stammt aus industrieller Produktion. Nun aber heizen zusehends mehr Menschen selber den Backofen ein und formen Teig zu Laiben. Brotbacken liegt im Trend. 

Von Roland Grüter

Es gibt ein paar Indizien, die eindeutig auf ein höheres Alter hinweisen. Dazu zählen: Die Lieblingshits aus der Jugend werden nur noch von Oldie-Radiosendern gespielt. Im Bus stehen junge Menschen auf, um uns einen Sitzplatz anzubieten. Und wir erleben den Siegeszug des Minirocks bereits zum fünften Mal, obwohl wir selber längst Stützstrümpfe tragen. 

Nun erleben wir ein anderes Revival dieser Art. Sie erinnern sich sicher noch an die 1970er-Jahre, als die Welt nach Patchouli duftete, junge Menschen Latzhosen und lange Haare trugen oder Makramee und anderen seltsamen Handwerkskünsten frönten. Damals war es auch populär, selber Brot zu backen. Mit Stolz wurden uns bei Einladungen lasche, teigige Scheiben serviert, die wir wiederwillig verdrückten ohne es uns anmerken zu lassen. Schliesslich wollten wir nicht unanständig wirken und Handgemachtes herabmindern. Glücklicherweise verschwand diese Unmode irgendwann in einer Schublade der Historie. 

Nun aber kehrt sie mit voller Wucht zurück: Selber Brot backen, so die Überzeugung vieler Trendforscher, hat grosse Zukunft. Dieses Mal ist die Liebe zum selbst gemachten Brot ein Segen. Denn seit den 1970ern hat sich vieles verändert.

Teig kneten
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Truefood – ehrliches Essen

Vor gut 35 Jahren begann der Siegeszug der Backmischungen. Die «Ready to bake»-Produkte konnten urplötzlich von Hilfskräften und damit kostengünstiger verarbeitet werden. Das Brot geriet dadurch zur Massenware. Mit schwerwiegenden Folgen: Die Brötchen und Zöpfe, die wir im Handel finden, sind längst industriell produziert. Oft genug werden die Teiglinge rund um die Uhr an Kiosken, Tankstellen oder in Lebensmittelgeschäften aufgebacken – mit dem Versprechen, dass wir selbst abends duftend knackige Laibe nach Hause tragen können. Doch dieses hält nur kurz: Anderntags ist das Aufgebackene so lasch wie die Brote der 1970er-Jahre. 

Damit geben sich offenbar zusehends weniger Leute zufrieden. Sie mischen Mehl, Wasser, Hefe und Salz lieber selber, so wie es die Menschheit seit über 6000 Jahren macht. Je nach Gusto, können sie Mehlmischungen mit Hefe oder Sauerteig treiben und mit Kernen, Ahornsirup, Ölen und anderen Zutaten verfeinern. Wer selber zupackt, hat die Kontrolle darüber, was genau er sich – respektive seinem Magen – zuführt. Fachleute sprechen von Truefood, von wahrem, ehrlichen Essen. Ein anderer Megatrend, dem vor allem junge Menschen folgen – und der weit über den Brotkasten hinausreicht. 

Genuss mit Laib und Seele

Der Backboom wächst mittlerweile wie ein Brotlaib im Backofen. «Wenn ich Stress habe, backe ich – am liebsten Brot der anderes Hefegebäck», schreibt die deutsche Brotbloggerin Stefanie Herberth. «Es ist ein Handwerk, das die Grundlage unseres Lebens bildet», bilanziert Lutz Geissler, Autor des «Brotbackbuchs» und Betreiber der Internet-Site baeckerlatein.de. Im Internet zeigen überall hippe Hobby-Bäcker, welche Rezepte und Kniffe knuspriges Brot ergeben. 

In den Grossstädten – von San Francisco bis London – eröffnen neue Handwerksbäcker ihre Läden. Darin erhalten Kundinnen und Kunden Einblick in ihre Backstuben und damit in ihr Handwerk, so etwa in den Zürcher Filialen der Bio-Bäckerei John Baker. Essmagazine widmen dem Trend Titelthemen und versprechen «Genuss mit Laib und Seele» oder fordern uns auf: «Gib ihm Saures». Einzig der altgediente Brotbackofen bleibt ein Ladenhüter. Die richtige Wartezeit, das richtige Formen, die Kneterei: Alles was davon ablenkt, ist verpönt.

Perfekte Brotkruste
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Vor allem eine Gär-Methode kehrt in die Moderne zurück. Die renommierte Zeitung «New York Times» hat sie vor einigen Jahren zur Methode der Stunde hochgeschrieben. Sie propagierte das sogenannte No-Knead-Bread als erste und löste damit in den USA, später aber auch in Europa einen regelrechten Hype aus. Der Trick: Der Teig wird nicht geknetet – no knead – und man lässt ihn 24 Stunden ruhen. Dank dem hohen Wasseranteil halten die Brote länger. Diese Methode ist uralt, aber altbewährt. Sie sehen: Die Wiederkehr gewisser Phänomene machen durchaus Sinn. Und jüngeren Generationen bereiten sie eine Menge Spass. Auch gut.

Hier werden frische Brötchen gebacken

  • der-sauerteig.com: In diesem digitalen Forum tauschen Backfans ihre Erfahrungen und Tricks aus, wie sich Sauerteig herstellen lässt und was man damit backen kann. Eine grosse Rezepte-Sammlung! Auch Hefe-Fans sind hier geduldet.
  • www.hefe-und-mehr.de: Willkommen in der digitalen Backstube von Stefanie Herberth. Die deutsche Expertin bäckt darin ihre Brote mit Sauerteig Poolish, Lievito Madre oder Pâte Fermentée – und verrät die besten Rezepte. Diese hat sie unter anderem auch in Büchern verewigt.
  • www.baeckerlatein.de: Hobbybäckerinnen und -bäckern werden hier fast alle wichtigen Fachbegriffe aus dem Bäckereiwesen erklären, ohne dass sie selber Fachbücher wälzen müssen. Das Lexikon zum Brotbacken soll helfen, bestimmte Begriffe besser einzuordnen oder überhaupt erst zu begreifen.
  • schweizerbrot.ch: Hier finden sich unendlich viele Rezepte für Schweizer Brote und Backwaren. Besonders lobenswert: die Schritt-für-Schritt-Anleitungen. Zur Herstellung einzelner Spezialitäten gibt es sogar Videos.
Beitrag vom 11.06.2020
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