Eine kulinarische Weltreise
Auf der Suche nach kulinarischen Leckerbissen und fremden Essgewohnheiten ist der Wiener Journalist und «Magazin»-Kolumnist Christian Seiler um die ganze Welt gereist. Daraus ist ein Buch entstanden – über 800 Seiten dick und fast ein Kilo schwer.
Text: Usch Vollenwyder
Der Schotte Jock Zonfrillo ist Sternekoch im australischen Adelaide. Er führt das vielfach ausgezeichnete Restaurant «Orana» – in der Sprache der australischen Ureinwohner heisst es «Willkommen»: Jock Zonfrillo hat sich ganz und gar der traditionellen Küche der Aborigines verschrieben. Jahre brauchte er, um ihr kulinarisches Erbe kennenzulernen; heute hat er rund tausend Zutaten ihrer Küche erfasst, benannt und katalogisiert. Er gründete die Stiftung «Orana-Foundation» und ist in regem Austausch mit der Universität sowie dem Botanischen Garten von Adelaide. Das Wissen rund um die ursprüngliche, einheimische Küche soll erhalten bleiben.
Als der Buchautor und Journalist Christian Seiler das «Orana» besucht, wird ihm frischer Seeigel mit einem Stück Rindermark serviert, ergänzt mit einer Sauce aus fermentiertem Kängurufleisch. Die geschmeidige, farblose Flüssigkeit habe intensiv, aber doch fein nach Fleisch geschmeckt und «den Seeigel und die Markscheibe geschmacklich in eine andere Umlaufbahn katapultiert». Zuvor kostete Seiler drei grüne Ameisen: «Ein Schock von Säure breitet sich auf meinem Gaumen aus, viel intensiver als Zitronensaft oder Essig. Dann bleibt der Geschmack stehen, tiefgründig, ein wenig scharf, aber auch elegant und köstlich.»
Essen als sinnliches Erlebnis
In seinem neuen Buch «Alles Gute – Die Welt als Speisekarte» erzählt der österreichische Reporter Christian Seiler Geschichten: Geschichten von Menschen und ihrem Essen, von kulinarischen Köstlichkeiten und originellen Köchinnen, von exklusiven Spezialitäten und schmackhafter Hausmannskost. Auf der Suche nach diesen Geschichten reiste er um die ganze Welt – von Australien nach Zürich, von Cornwall in England bis an die Westküste der USA. Er erzählt vom perfekten Reiskorn in Tokio, vom Gedächtnis der Zitrone in Marrakesch oder vom Geschmack des Winters im Piemont. Dazu gibt er Tipps, Kochrezepte und Alltagshilfen für die Küche.
Die insgesamt 54 weltweiten Besuche beschreibt der Gastrokritiker so unterhaltsam und informativ, dass sich seine Leserschaft mit ihm auf Entdeckungsreise wähnt. Dabei geht es Seiler nicht allein um Nahrungsmittel, Zutaten und Verarbeitungsmöglichkeiten. Essen ist für ihn ein unvergessliches, sinnliches Erlebnis. So schreibt er im Vorwort: «Nur die Augen schliessen und das Bild, den Duft, die Temperatur, die Textur einer Speise heraufbeschwören, ihren Zauber, den freundlichen Schock, den sie ausgelöst hat, das Erstaunen, den Schauer, die Zustimmung, das Glück, vielleicht sogar die Hintergrundmusik, als dieser eine Bissen gerade unvergesslich wurde.»
Über 800 Seiten umfasst Seilers Geschichten- und Kochbuch. Ergänzt wird es mit naturalistischen Zeichnungen der beiden Schweizer Illustratoren Markus Roost und Roland Hausheer. Auf den letzten Seiten werden Empfehlungen und Adressen von Hotels und Restaurants, Weingütern und Einkaufsmöglichkeiten angeführt. Der Autor hat sie auf seinen Reisen besucht und kann sie weiterempfehlen. Auf farbigen, quer zu lesenden Seiten sind Seilers Kolumnen aus der Wochenendbeilage «Magazin» abgedruckt.
Infernalisches Für-, Mit- und Gegeneinander
In der Schweiz macht Feinschmecker Seiler neben Zürich auch im Bündnerland Halt. Im kleinen Städtchen Fürstenau besucht er Schloss Schauenstein, das von Andreas Caminada geführt wird – dem Schweizer Starkoch mit drei Michelin-Sternen und vier Gault-Millau-Punkten. Christian Seiler ist skeptisch, als er die Stufen zum historischen Schloss hoch steigt: Kann der Gastgeber, der so gut aussieht, so viel Erfolg hat und gleichzeitig ein gefragter Werbeträger und Shooting-Star ist, auch ein guter Koch sein? Seilers Antwort: Ja, er kann.
Seiler bekommt – unter anderem – ein Gurken-Macaron, Entenleber auf einem zitronigen Cookie mit Maiseis, sowie eine gebratene und marinierte Makrele mit Kohlrabi, Wasabi, Mayonnaise, Meringue und Radieschen serviert. Caminada selber bringt ihm eine Suppe, die er erst ein paar Tage später auf die Karte setzen wird: eine tiefgrüne Suppe aus frischen Kräutern – Estragon, Basilikum, Kerbel, Petersilie, Koriander, Bärlauch – die er mit Bouillon und etwas Sahne zubereitet hat. Seilers Kommentar: «Ich war fast bestürzt, wie gut jede einzelne Speise schmeckte. Die Suppe zum Beispiel bot ein infernalisches Für-, Mit- und Gegeneinander von bitteren, scharfen und minzigen Aromen, die sich in der eleganten Grundwürze der Bouillon wild entfalten konnten.»
Christian Seiler: «Alles Gute. Die Welt als Speisekarte», Echtzeit Verlag, Basel 2019, 816 S., ca. CHF 48.–
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