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Hund mit Helfer

Daniel Wenger war acht Jahre lang psychisch krank. Nun arbeitet er selbst in einer psychiatrischen Klinik. Sein Hund Yaris (4) hilft kräftig mit, krisengeplagte Menschen neu aufzurichten. 

Text: Roland Grüter

Der jungen Frau stehen die Sorgen ins Gesicht geschrieben. Sie ist erst vor wenigen Stunden in der psychiatrischen Privatklinik Hohenegg in Meilen ZH angekommen. Die Sonne scheint, in der Ferne glitzert der Zürichsee, ein prächtiger Sommertag: Doch die Frau hat kein Auge dafür. «Eigentlich wäre ich jetzt auf einer Geschäftsreise», sagt sie und beginnt sogleich zu weinen, «stattdessen aber stehe ich vor dem Einzug in die Psychi. Meine Güte, wie konnte das nur passieren?»

Burnout, Depression, Alkohol

Die Frau richtet ihre Worte an einen Mann, der nur allzu gut verstehen kann, wie sie sich fühlt. Denn Daniel Wenger (51) stand 2017 an gleicher Stelle. Auch ihn hatte beruflicher Dauerstress aus der Bahngeworfen. Burnout, Depression, Alkohol. In der Folge musste auch er Hilfe in der Hohenegg suchen, liess sich dort sechs Wochen therapieren, um wieder ins Leben zurückzufinden. Mit Erfolg. Nun arbeitet er exakt auf jener Station, auf der er einst Patient war: als sogenannter Peer. Darunter versteht man Betroffene, die Erfahrungen mit psychischen Krankheiten und Kliniken mitbringen.

Zusehends mehr Kliniken setzen auf die Erfahrungsschätze solcher Menschen, binden sie in ihre Teams mit ein. Der englische Begriff Peer bedeutet so viel wie Gleichwertige oder Ebenbürtige. «Ich weiss genau, was Menschen mit psychischen Krankheiten beschäftigt, wenn sie sich stationär behandeln oder therapieren lassen», sagt Daniel Wenger. «Ich kann ihnen etwas Hoffnung und Zuversicht geben, indem ich erzähle, wie es mir bei meinem Eintritt ergangen ist, wie ich die Therapien empfunden habe, was mir geholfen hat und was nicht.» Dieses Verständnis schaffe Nähe. «Ich kann psychisch kranken Menschen anders begegnen als Therapeuten», sagt er. Früher war der Zürcher freiberuflich als Peer an der Hohenegg tätig, seit einem Jahr hat er eine Festanstellung.

Peers – Austausch auf Augenhöhe

Peers arbeiten mittlerweile in zahlreichen sozialen Einrichtungen, selbst in Beratungsstellen oder IV-Stellen. Sie leiten Selbsthilfegruppen, geben ihr Knowhow an Veranstaltungen weiter. Sie arbeiten in der Forschung mit, dozieren an Fach- oder Fachhochschulen. «Psychische Krankheiten werden noch immer stark tabuisiert», sagt Daniel Wenger. «Ich will meinen Beitrag leisten, damit sich das ändert.»

Manchmal zielen aber auch die einfühlsamsten Worte ins Leere. Insbesondere depressive Menschen bekunden häufig Mühe, sich mit anderen auszutauschen, ihre Sorgen und Gedanken in die richtigen Worte zu fassen. Auch das kennt Daniel Wenger nur allzu gut. Deshalb arbeitet er seit zwei Jahren mit seinem Australian-Shepherd-Rüden Yaris (4) zusammen; als Genesungsbegleiter. Yaris ist ein menschenfreundlicher Kerl mit wachen Augen, einem samtenen Gemüt und viel Gespür für die Stimmungslagen der Menschen. Sein Halter bildete ihn vor zwei Jahren zum Therapiehund aus und setzt ihn unter anderem auch in der Privatklinik Hohenegg ein.

Genau genommen, gehen die beiden mit Bedürftigen spazieren. Diese übernehmen Yaris’ Leine, geben ihm Appelle, belohnen ihn mit Läckerlis. Und im Nu drehen sich Gedanken und Gespräche um das Tier. Dabei gehen Sorgen oft erstaunlich schnell vergessen, Blockaden bröckeln. Viele beginnen schon nach wenigen Minuten, aus ihrem Leben zu erzählen. «Was wir dabei aushandeln, bleibt unter uns», sagt Daniel Wenger. «Einzig, wenn therapierelevante Themen zur Sprache kommen, etwa Selbstgefährdung, gebe ich sie ans Team weiter.» Selbstverständlich informiere er die Patientinnen und Patienten vorher darüber. «Denn ich baue auf Vertrauen, und dieses gilt es zu wahren. Wie aber schaffte es Yaris, verstockte Herzen zu öffnen? «Ein Hund redet nicht. Er wertet nicht, er ist einfach da. Damit bieten sich Menschen andere Möglichkeiten, mit ihm in Beziehung zu treten. Das entspanne, baue Ängste ab.

Verständnis auf vier Pfoten

Wie wirksam das sein kann, zeigt sich am Beispiel der jungen Frau, die an diesem Sommertag vor ihrem Eintritt in die Klinik steht. Yaris sitzt brav im Gras und blickt zu seinem Halter hoch, während dieser mit der Frau spricht. Kaum gibt Daniel Wenger seinem «Aussie» ein Zeichen, trottet dieser auf die Fremde zu, setzt sich vor deren Füsse, drückt seinen Kopf an deren Beine, so, wie er es immer tut, wenn er merkt, dass Menschen Sorgen plagen. Der Rüde lässt sich geduldig streicheln und erstmals hellt sich der Blick der jungen Frau auf. Hoffentlich findet sie auch sonst bald wieder zu einem Lächeln zurück.

Mehr über Daniel Wenger und Yaris erfahren Sie auf seiner Website. Das Duo können auch Privatpersonen buchen. Infos dazu: peerdog.ch

Beitrag vom 12.09.2022

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