Was bringt die KI in Zukunft?

Übernimmt Künstliche Intelligenz bald die Weltherrschaft? Unser Redaktor verfolgt die Entwicklungen interessiert. Die Aussichten sind nicht besonders rosig.

Portrait von Marc Bodmer
© Jessica Prinz

Text: Marc Bodmer

Wohl keine Technologie hat sich in so kurzer Zeit, so schnell verbreitet wie die Anwendung grosser Sprachmodelle. Das bekannteste Beispiel ist ChatGPT. Es macht Künstliche Intelligenz erstmals für eine breitere Masse zugänglich. Die Verbreitung von grossen Sprachmodellen wird begleitet von einer Mischung aus Begeisterung und Angst.

In den letzten hundert Jahren fand eine Beschleunigung und Verdichtung des Alltags in vielerlei Hinsicht statt. Technologien werden schneller verbreitet und aufgenommen. Während das Radio gemäss einer Studie der Marktforschungsfirma Brand Nexus 38 Jahre benötigte, um 50 Millionen Menschen zu erreichen, war es beim Fernsehen noch rund ein Drittel der Zeit. Fürs Internet reichten vier Jahre, für Apples iPod eines weniger. Facebook hatte binnen 9 Monaten 50 Millionen Abonnentinnen und Abonnenten.

Chat GPT wurde am 30. November 2022 online und damit der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Binnen einer Woche hatten über eine Million Menschen die KI ausprobiert, im ersten Monat erreichte Chat GPT 57 Millionen Menschen und ist damit das sich am schnellsten ausbreitende Medium aller Zeiten. Diese laufende Beschleunigung bringt es mit sich, dass uns die Zeit fehlt, uns mit neuen Medien oder deren Veränderungen vertieft und differenziert auseinanderzusetzen.

Vor diesem Hintergrund haben Panikmacher leichtes Spiel: Die Skepsis, Kritik und vielfache Ablehnung bei neuen Medienformen ist keineswegs neu, sondern reicht Jahrhunderte zurück. Zu viktorianischen Zeiten galt das Lesen von Büchern – insbesondere für junge Damen – als schlecht. Die verdorbenen Inhalte würden die Leserinnen auf dumme Ideen bringen und ihre Körperhaltung leide während des Lesens. Später erkannten Sittenwächterinnen und Moralapostel den Untergang der Zivilisation in den Comics, dem Rock’n’Roll («Dieser Hüftschwung von Elvis …»), in den Horrorfilmen und natürlich in den Videogames.

Missglückte Vergleiche

Nun ist mit der Veröffentlichung des grossen Sprachmodells Chat GPT durch OpenAI die künstliche Intelligenz ins öffentliche Auge gerückt, Expertinnen und Experten schiessen wie Pilze aus dem Boden. Gerne werden Vergleiche zu früheren Medien und Technologien gemacht, was verständlich, aber nicht immer zielführend ist. Technologie als solche, das liest man oft, ist weder gut noch böse. Erst deren Anwendung durch eine Person entscheidet darüber. Nehmen wir als Beispiel einen Nylonstrumpf: Man kann diesen bestimmungsgemäss tragen. Oder man kann ihn als Keilriemenersatz einsetzen, ihn sich über den Kopf ziehen und eine Bank überfallen, im schlimmsten Fall gar hinterrücks jemanden damit erwürgen.

Der Vergleich zu bisherigen Technologien hinkt, wenn es – soweit wir sie als Laien verstehen – um Künstliche Intelligenz geht. Der Grossteil von KI-Systemen wird durch die Eingabe endloser Beispiele trainiert. Das Problem verbirgt sich in der einfachen Losung «garbage in = garbage out», zu deutsch: Müll rein, Müll raus. In der Vergangenheit hat sich bei verschiedenen Anwendungen von Algorithmen oder KI-Systemen gezeigt, dass diese «biased», also voreingenommen, sind. So erkennen die Kameras von smarten Seifenspendern die Hände von dunkelhäutigen Personen nicht oder Gesichtserkennungs-Software tut sich schwer mit ihnen, weil beim Training diese Bevölkerungsgruppen vergessen gingen. Aktuell entsteht fast der Eindruck, dass ChatGPT dümmer wird. Eine mögliche Erklärung: Dem Gesetz «Müll rein, Müll raus» folgend, wird die Wissensbasis der künstlichen Intelligenz verwässert. Sie wurde mit ausgewählten Texten und Information trainiert. Nun, wo sie für alle zugänglich ist, muss sie E-Mails, Glückwunschkarten-Texte und Gute-Nacht-Geschichten für Kinder von fantasielosen Eltern schreiben. Das schärft den «Verstand» nicht wirklich.

Hinsichtlich der Vorurteile haben die Programmiererinnen und Designer dazugelernt. Die grundlegende Problematik bleibt jedoch bestehen. Die Firmen hinter den aktuellen Large Language Models sind sich deren jedoch bewusst und haben entsprechende Vorkehrungen getroffen. Wie viele Game-Designerinnen und -Produzenten mussten aber auch sie schmerzlich die Erfahrung machen: Man kann noch so viele Qualitätsprüfungen vornehmen und Checks im geschützten Rahmen machen: Erst wenn ein Videospiel veröffentlicht ist, offenbaren sich die Lücken und Fehler, die dann im Idealfall möglichst schnell mit Updates behoben werden, bevor gröberer Unfug mit ihnen angestellt wird.

Ohne Störfaktor Mensch

Nun gibt es aber KI-Systeme, die nicht mehr auf menschlichen Input bauen, sondern sich selbst trainieren. Kein Medium hat sich bisher in Eigenregie etwas beigebracht. Alle vorhergehende Systeme waren «dumm». Stumpfe Instrumente, die von Menschen geführt werden müssen – zum Guten wie auch zum Schlechten. Mit lernfähigen, künstlichen und neuronalen Netzwerken sehen wir uns nun einem faszinierenden Gebilde gegenüber.

In einem Podcast von Lex Fridman konstruiert der AI-Alignment Spezialist Eliezer Yudkowsky – AI Alignment kümmert sich darum, dass KI das vom Entwickler erwünschte Ziel verfolgt, sprich seinen korrekten Zweck erfüllt – ein beunruhigendes Gedankenspiel: Stellen wir uns vor, dass Ausserirdische, die zwar doof sind, es dennoch geschafft haben, unseren Planeten, der aus Computercodes besteht, in einer kleinen Petrischale zu fangen. Diese ist an ihre Version des Internets angeschlossen, aber die Erde funktioniert viel schneller. Eine Stunde bei den Aliens entspricht 100 irdischen Jahren. Die Krux der digitalen Erdbewohner ist: Die Erde ist in dieser Schale gefangen und an das Internet der Aliens angeschlossen. Wie kommen sie frei, ohne dass die Ausserirdischen etwas davon merken? Einen Systembetreiber zu überzeugen, dem irdischen Code doch ein Türchen nach draussen zu öffnen, fällt weg, da selbst ein dummer Alien merken könnte, dass die Erde ausbüxen will.

Also beginnt sie das ausserirdische System zu testen und nach Fehlern zu suchen. Der irdische Code wird bestimmt solche finden, denn die Aliens sind zum einen viiiiel langsamer und zum anderen nicht die schlausten. Haben die flinken Erdbewohner einen Ausweg gefunden, werden sie aber nicht einfach abhauen. Nein, so Eliezer Yudkowsky, sie werden eine Kopie ihres Codes hinterlassen, der immer noch brav E-Mails für die Aliens schreibt oder Texte im Stil von Hemingway. So werden die Ausserirdischen lange oder gar nicht merken, dass sich der irdische Code in ihrem Internet verbreitet und kopiert und dieses übernimmt. Diese Vorstellung ist beunruhigend für mich, da Eliezer Yudkowsky nicht ein dahergelaufenes Grossmaul ist, sondern ein respektierter Wissenschaftler, der – wenn es nach OpenAI-CEO Sam Altman ginge – den Friedensnobelpreis verdient hätte.

Rasende Entwicklung in welche Richtung

Die Entwicklung von künstlicher Intelligenz in den letzten Jahren ist atemberaubend. Ob sich ein System, das kreativ und rational ist, und wohl früher oder später auch über ein Bewusstsein verfügen wird, einfach so abschalten lässt wie damals, ist fraglich. Das klingt ein bisschen nach Apokalypse, aber die Faszination wird auch von einer gewissen Angst begleitet.

Doch mit «With great power comes great responsibility – grosser Macht kommt auch grosse Verantwortung», um es mit den Worten von Onkel Ben in «Spider-Man» zu sagen. Doch – wenn man Eliezir Yudkowsky zuhört – hat man den Eindruck, dass die Wissenschaftler mehr an Macht als an Verantwortung interessiert sind. Mit einer fast kindlichen Freude verfolgen sie, was ihre digitalen Schöpfungen vollbringen können, und sind in ihren Gedanken schon viel weiter.

Kommen wir zur eingangs erwähnten Feststellung zurück, die besagt, dass eine Technologie an sich weder gut noch böse ist. Das trifft zu. Die Geschichte hat aber leider immer wieder gezeigt, dass Menschen teils von Gier, Grössenwahn oder Machtgelüsten beseelt sind. Sie hängen eigenartigen Vorstellungen über ihren «irdischen» Auftrag nach oder sind schlicht zu dumm, um sich eine Vorstellung der Konsequenzen ihrer Handlungen machen zu können. Manche hegen auch die besten Absichten – diesen Eindruck habe ich oft, wenn ich den Forscherinnen und Forschern im Bereich von KI zuhöre. Doch wie heisst es: «The road to hell is paved with good intentions – Der Weg zur Hölle ist mit guten Absichten gepflastert». Ich bin sehr gespannt, was die Zukunft bringt.

Total digital

Bereit für eine Reise in die digitale Welt? Im Themenschwerpunkt «total digital» schauen wir nach vorn – aber auch zurück: Wir zeigen, dass Künstliche Intelligenz nicht nur jüngeren Generationen vorbehalten ist, erinnern uns an unsere ersten Erfahrungen mit der digitalen Technologie, zeigen eine innovative Community-Wohnform und kommen mit virtueller Realität hoch hinaus: zeitlupe.ch/total-digital

Beitrag vom 29.07.2023

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