Pixar: Von wegen Kinderfilme!
Schwerpunkt «Memento mori»: Die Animationsfilme von Pixar führen uns vor Augen, wie vergänglich und wertvoll das Leben ist. In den letzten drei Filmen des Disney-Studios ist der Tod gar zum zentralen Thema geworden. Ein Plädoyer für die vermeintlichen Kinderfilme.
Text: Fabian Rottmeier
Vielleicht schreibe ich diese Zeilen auch deshalb, weil ich zuerst selbst dachte, «Toy Story» sei ein Kinderfilm. Als der Pixar-Animationsfilm 1996 in die Kinos kam, liess ich ihn links liegen. Erst ein paar Jahre später gab ich ihm eine Chance – und war verblüfft. Ich stellte erfreut fest: Da geht es ja um Spielzeugfiguren, die nicht nur Existenzängste plagen, sondern die man schnell ins Herz schliesst. Besonders angetan hatte es mir der hypernervöse und schreckhafte Dinosaurier Rex. Er haderte ständig damit, dass er niemandem Angst einflössen konnte. Rex war einfach viel zu anständig dafür.
Sie schienen mir sehr menschlich, diese zweifelnden Spielzeuge um Gruppenführer und Cowboy Woody. Sie alle fürchteten eins am meisten: das Ende. An jedem Geburtstag und an jedem Weihnachtsfest bangten sie um ihren Platz im Kinderzimmer ihrer Kleinstadtfamilie. Oft verdrängen dort neue Spielzeuge die alten. Einige werden im Estrich verstaut – oder auf dem Flohmarkt «entsorgt». Ihre Sorge erinnert an Menschen, die sich im Alter unnütz und überflüssig fühlen. (Ein wohlwollender Gegenpunkt setzte da der selbstverliebte Ken, Barbies Freund. Er gab sogar Dating-Tipps.)
Mittlerweile habe ich fast alle 23 Pixarfilme gesehen – und bin auch sonst ein Fan von Animationsfilmen, denn es hat immer wieder originelle und witzige darunter (gewiss, auch viele vernachlässigbare). Die am Computer entstandenen Werke erzählen auch visuell fantasievolle Geschichten, wie sie ein Spielfilm nicht hinkriegen würde. Doch viele Erwachsene unterschätzen das Genre – und tun es als Kinderkram ab. Doch nicht nur sie: 2012 sah ich mir im Kino den gruseligen Stop-Motion-Film «ParaNorman» an. Dieser dreht sich um Norman, einen Jungen, der mit Toten sprechen kann, etwa seiner Grossmutter. Als wir den fast leeren Saal betraten, trafen wir auf einen Bekannten und dessen Tochter. Am Ende des kurzen Gesprächs meldete sich das Mädchen zu Wort und fragte: «Aber was macht ihr eigentlich hier?»
Kein Film ohne den magischen «Pixar-Moment»
So bunt und abenteuerlich die meisten der Pixarfilme daherkommen, so stark geht es im Grunde genommen oft um den Wert des Lebens, der Nächstenliebe – und um die Vergänglichkeit. Themen also, die uns unweigerlich auch mit unserem eigenen Tod konfrontieren. Höhepunkt dieser emotionalen Reise ist der mittlerweile zum Markenzeichen gewordene «Pixar-Moment». Eine magische Szene, die besonders berührt.
Im Film «Up» («Oben») – in dem das Leben des 78-jährigen Ballonverkäufers Carl Fredricksen dialogfrei, untermalt von Klavierklängen, mit einer Aneinanderreihung von Schlüsselmomenten im Schnelldurchlauf erzählt wird – folgt dieser Moment sehr früh. Wir sehen, wie der jahrzehntelange Traum seiner Frau, mit ihm die Paradise Falls in Südamerika zu besuchen, immer wieder von Zwischenfällen verunmöglicht wird. Als er im Alter endlich spontan zwei Flugtickets kauft, bricht seine Frau just vor der Überraschung zusammen. Kurz darauf stirbt sie.
So beschliesst der Senior mit der dicken Hornbrille und den buschigen Augenbrauen, die Reise alleine anzutreten. Und zwar mit so vielen Luftballons, dass Carl Fredricksen in seinem Haus davonfliegt. (Abgesehen davon entflieht er so auch einer drohenden Einweisung ins Altersheim, weil man ihn nach einer kleinen Handgreiflichkeit entmündigt hat.)
In den neusten drei Pixarfilmen ist das Thema Sterben und Tod so augenfällig wie noch nie. In «Coco» aus dem Jahr 2017 dreht sich alles um den mexikanischen Brauch des «Tag der Toten», den «Día de Muertos». Die Hauptfigur, der zwölfjährige Miguel, erhält dabei durch ein Missgeschick die Gabe, plötzlich die Toten zu sehen, die alle an diesem Tag ihre Familien besuchen. Dumm nur, dass Miguel selbst durch den geheimnisvollen Zwischenfall für die Lebenden unsichtbar geworden ist. Mit vielen kreativen Einfällen ist es Pixar mit «Coco» gelungen, den besonderen Umgang der mexikanischen Kultur mit den Verstorbenen weltweit bekannt zu machen. Bereits Kinder lernen dabei, mit dem Tod umzugehen.
Bei «Onward» aus dem vergangenen Jahr ist der Tod ebenfalls sehr präsent. Im insgesamt enttäuschenden Film geht das Thema wegen der vielen Actionszenen jedoch unter. Dabei ist die Ausgangsidee eine sehr schöne: Zum 16. Geburtstag erhält der Elfenjunge Ian einen Zauberstab geschenkt, den ihm sein früh verstorbener Vater hinterlassen hat. Mit dem Holzstab soll es Ian und dessen Bruder Barley möglich sein, ihren Vater für einen Tag wieder zum Leben zu erwecken. Weil jedoch bei der Ausführung des Zauberspruchs etwas schief geht, steht ihr Vater bloss bis zur Hälfte vor ihnen: von den Füssen bis zur Hüfte. Für den Rest des Filmes unternehmen sie alles, um ihn ganz bei sich zu haben. Für diesen einen Tag.
«Soul» stellt philosophische Fragen
Viel Beachtung und lobende Kritik erhielt der neuste Pixar-Film «Soul», obwohl er wegen der Corona-Pandemie nicht im Kino anlaufen konnte und erst kurz nach Weihnachten erhältlich war. Es ist der wohl bisher philosophischste Ansatz, den die Macher um Regisseur Pete Docter in einem Pixar-Film verfolgen. Es geht um nichts anderes als den Sinn des Lebens – und die Leidenschaft, die uns antreibt.
Der Jazzpianist Joe, der kurz vor seinem grössten Auftritt in New York in einen freigelegten Schacht fliegt, nimmt uns dabei unfreiwillig mit auf die Reise. Er findet sich an einem Ort wieder, der sich das «Davorseits» («The Great Before») nennt. Hier erhält jede ungeborene Seele ihre Persönlichkeit, bevor sie Richtung Erde fliegt. Damit Joe ins «Jenseits» («The Great Beyond») weitergehen kann, muss er eine Aufgabe erfüllen: Er muss die ihm zugeteilten Seele «22» dabei unterstützen, ihre Bestimmung zu finden. Doch «22» ist ziemlich beratungsresistent, hat keinen Bock auf ein Leben auf der Erde und liess als Beraterin auch schon die Seele von Mutter Theresa abblitzen. Joe seinerseits will im grössten Moment seines Berufslebens noch nicht loslassen. Er heckt einen Plan aus, um in sein Leben zurückzukehren.
In einem Interview mit der «Süddeutschen Zeitung» erklärte Regisseur Pete Docter kürzlich, dass es in «Soul» aus seiner Sicht mehr ums Leben als um den Tod gehe. «Und darum, dass man das Leben wertschätzt, wenn der Tod nahe rückt.» Sätze wie diese lassen erahnen, wie viel Denkarbeit hinter jedem Pixar-Film stehen. Die Produktion von «Soul» hat fünf Jahre lang gedauert. Die Endversion war die siebte Version des Films, wie Docter erzählte, der seit 2018 auch als künstlerischer Leiter des Studios amtet. Für Co-Regisseur Kemp Powers besteht die Kunst des Lebens auch darin, sich immer wieder neue Ziele zu setzen. Für ihn sei der Moment, in dem Pianist Joe nach seinem grössten Erfolg enttäuscht sei, einer der stärksten des ganzen Films. «Er fängt etwas ein, was ich ständig fühle.»
Schach spielen – gegen sich selbst
Ging es vielleicht in «Geri’s Game» von 1997 auch darum, wie schwer es im Leben manchmal fällt, sich neue Ziele zu setzen? Im ersten Pixar-Kinokurzfilm spielt Geri, ein alter Mann, eine Partie Schach – gegen sich selbst. Er sitzt alleine in einem Park, dessen gelb- und rotgefärbten Laubbäume uns klar machen, dass wahlweise der Winter oder der Tod nicht mehr weit sind. Geri wechselt zwischen jedem Zug die Tischseite. Auf der einen Seite spielt er mit Brille, langsam und überlegt, auf der anderen siegessicher, vif und grinsend. Als der «gebrechliche Geri» das Spiel zu verlieren droht, täuscht er einen Herzinfarkt vor. Ein Ablenkungsmanöver, denn es gelingt ihm dabei, das Spielbrett zu drehen, womit er seinen weit fitteren Gegner schachmatt setzen kann. Ob er somit nur das Spiel gewonnen hat oder auch dem Tod ein Schnippchen schlagen konnte, bleibt offen. Oder hat er sich mit seinem Spielchen ganz einfach seinen Tag gerettet?
Der nächste Pixar-Film soll bereits im Juni erscheinen. «Luca», angesiedelt an der ligurischen Küste, behandelt wieder ein etwas heitereres Thema. Ein Hoch auf die Freundschaft soll sein Werk darstellen, verriet der italienische Regisseur Enrico Casarosa gegenüber «vanity.com». Ich werde mir den Film hoffentlich wieder im Kino anschauen können – unter Kindern, die sich fragen, weshalb sich ein Erwachsener freiwillig einen Animationsfilm anschaut. Meine Antwort darauf wäre: «Weil dieses Genre oft das Leben feiert.»
Alle 23 Pixar-Filme sind per Streaming-Abo bei «Disney+» verfügbar – oder als DVD oder Bluray erhältlich. disneyplus.com
P.S.: Die «Pixar-Momente» zeichnen sich immer auch durch ihre Musik aus. Hier das neuste Beispiel aus «Soul» mit dem Song «Epiphany», geschrieben von Trent Reznor und Atticus Ross.
- Memento mori – sei dir deiner Sterblichkeit bewusst: In unserem Themenschwerpunkt widmen wir uns einen Monat lang Themen rund um den Tod und das Sterben. Zum Dossier.