Am 8. November teilen wieder Tausende das Erlebnis des gemeinsamen Lesens und Vorlesens: Es ist Erzählnacht.
Alles ist vergänglich
Während Jahrhunderten war der Totenkopf Symbol für den Tod und die Vergänglichkeit des Lebens. Heute hat er seinen Schrecken verloren und sich zum modischen Accessoire gewandelt.
Von Marc Bodmer
Einst waren es die schweren Jungs, die ihre schwarzen Lederjacken und Finger mit Totenköpfen zierten. Sie liessen sich das Antlitz des Todes auf ihre fleischig-weissen Schultern tätowieren und demonstrierten so, dass sie «bööööse» sind, und man ihnen besser aus dem Weg gehen sollte.
Wer heute auf der Website des deutschen Modelabels Ulla Popken, das für schlichte und eher biedere Alltagseleganz steht, stöbert, findet T-Shirts auf denen ein blasser Schädel zwischen Blumenblüten hindurch guckt. Die US-Modemarke Ralph Lauren, bekannt für einen gehobenen Casual-Look und sein Polo-Reiter-Logo, hat Strickpullover, Krawatten und mit Diamanten besetzte Manschettenknöpfe für «läppische» 10 000 Dollar im Angebot. Selbst Disneys wundervoller Trickfilm «Coco» spielt im Reich der Toten und feiert den mexikanischen «dia de los muertos» (Tag der Toten).
Der Tod – oder zumindest sein symbolischer Vertreter – hat seinen Schrecken verloren und surft auf dem Mainstream. So scheint es. Mode-Designerinnen und -Designer wie Vivienne Westwood und Alexander McQueen gelten als Speerspitze der Schädel-Garde. Doch auch sie haben den Totenkopf nicht als Erste in die Mode gebracht. «Dieses Motiv steht in einer sehr langen und sehr alten Tradition», erklärte Ulrike Neurath, Kuratorin des Museums für Sepulkralkultur in Kassel, Deutschland, gegenüber «Deutschlandfunk Kultur».
Gerade in der Zeit des Dreissigjährigen Krieges und der Pestepidemien galt das «Memento mori» als ein Selbstverständnis.
«Seine Wurzeln hat der Totenschädel in Kunst und Mode bereits im Mittelalter. Damals war der Tod ein ständiger Begleiter und der Besuch der Kirche reichte nicht, die Menschen daran zu erinnern», fasst es Ulrike Neurath zusammen. Unter dem Überbegriff «Vanitas», der im Lateinischen für Eitelkeit, Nichtigkeit und Vergänglichkeit steht, werden symbolische Darstellungen betitelt, die an das «Verfliegen der Zeit» erinnern. Das können Seifenblasen, Rosen, herabbrennende Kerzen und Sanduhren sein – oder eben Totenschädel.
Im Zeitalter des Barock erinnerten viele Gemälde an die Vanitas und dass der Tod unabhängig von persönlichem Stand und Reichtum ist. Ob Magd oder Fürst, Pfarrer oder Königin – der Sensemann holt jede und jeden, wenn es ihm beliebte. So finden sich in üppigen Stillleben oder Darstellungen von fröhlichem Treiben immer wieder Symbole wie blasse Knochenköpfe, Fledermäuse oder rinnende Sanduhren. Gerade zu Zeiten des Dreissigjährigen Krieges (1618–1648) und der Pestepidemien, die Tod und Verderben über Europa brachten, galt das «Memento mori», das Gedenken des Todes, als ein Selbstverständnis. Doch nicht nur auf Bildern wurde an die Vergänglichkeit erinnert. Goldringe mit eingravierten Totenschädeln und den Mahnworten «Memento mori» waren im 17. Jahrhundert auch zu finden.
Heute aber hat die Symbolik des Todes ihren Schrecken verloren. Vergangen sind auch die Zeiten, in denen marodierende Motorrad-Gangs Angst und Schrecken verbreiteten und ihren Auftritten mit Totenköpfen, schwarzem Leder und lärmenden Höllenmaschinen Nachdruck verliehen. Auch in der Musik ist es um den Tod still geworden. Schockrocker wie Alice Cooper oder Marilyn Manson haben ausgedient und erfüllen höchstens noch den Stellenwert einer musikalischen Geisterbahn.
Vivienne Westwood und Alexander McQueen provozierten in den Siebziger- und Neunzigerjahren mit Totenköpfen. Mit Diamanten besetzte Schädel mit gekreuzten Knochen zierten die Ohren der schicken Design-Rebellin. Für Männer standen Manschettenknöpfe bereit. Wer mochte, konnte sich auch ganze, von Westwood entworfene Skelette ans Ohr hängen. Der mit eher lieblosen Totenkopf-Prints geschmückte Schal zählt bis heute zu den Bestsellern von Alexander McQueens Kreationen. Weit origineller sind seine Fingerringe oder die kugelrunde Ledertasche, die an eine altmodische Bombe erinnert – mit einem goldenen Schädel als Verschluss.
Vergangen sind die Zeiten, in denen Motorrad-Gangs mit Totenköpfen Angst und Schrecken verbreiteten.
Im Kielwasser von Westwood und McQueen schwimmt unter vielen anderen der Deutsche Designer Philipp Plein. Seinem Lack- und Leder-Chic, besetzt mit Strass, Nieten und Blingbling, gelang der Durchbruch nicht zuletzt dank einer Ausstellung seiner «Heavy Metal»-Kollektion 2008 in der allseits beliebten Casting-Show «Germany’s Next Topmodel». Plein, dessen Firma inzwischen ihren Sitz in Lugano hat, liebt es zu klotzen. Subtilität ist nicht seine Stärke, obschon er durchaus zu dezenteren Tönen fähig ist, etwa wenn morbide Motive Schwarz in Schwarz in Schals verwoben werden. Doch wer Plein trägt, will es auch zeigen, und das weiss der Designer. Totenkopf?! – Das rockt.
Einen Kerl dürfen wir im aktuellen Totenkopf-Trend nicht vergessen: Captain Jack Sparrow, der Klamauk-Pirat aus Disneys beliebter «Pirates of the Caribbean»-Serie. Die von Johnny Depp aus zig Klischees und einer guten Portion Keith Richards – ja, der Gitarrist von «Rolling Stones» – zusammengestellte Kollage des dauerbedröhnten Piraten liess den Freibeuterkult wieder aufleben.
Und wenn wir schon bei Hollywood- und der Rockprominenz sind: Viele von ihnen verschlägt es heute in die Zürcher Altstadt. Hier, unweit der St. Peter Kirche im James-Joyce-Haus, hat Schmuckdesigner Jean-Pierre «JP» Di Lenardo sein Atelier. Wenn es um international bekannte Namen geht, die seine Cult925-Schmuckstücke tragen, gibt er sich verschlossen. «Grosse Namen lenken von der Sache ab», findet der Designer.
Zurzeit engagiert er sich mit dem Inhalt seiner «Skulls» (skull heisst auf Englisch «Schädel») – also dem Hirn. In Los Angeles und New York City werden seine aus Edelmetallen gegossenen und von ihm zu Unikaten bearbeiteten Skulls an Gala-Events wie «Power of Love» versteigert und der Erlös vollumfänglich der «Keep Memory Alive»- Alzheimerforschung gespendet. «Eine fürchterliche Krankheit», meint Jean-Pierre Di Lenardo, «die wahren Helden in diesem «Horrorfilm» sind die Partner, die sich bis zum bitteren Ende in der Pflege der Betroffenen aufopfern». Wie heisst es so schön? Bis, dass der Tod euch scheidet …
- Memento mori – sei dir deiner Sterblichkeit bewusst: In unserem Themenschwerpunkt widmen wir uns einen Monat lang Themen rund um den Tod und das Sterben. Zur Artikelsammlung.
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