Weihnachtsflucht
Weihnachten, so schön, wie es früher einmal war? Wir sind uns da nicht ganz sicher. Die Zeitlupe-Redaktion erinnert sich an Klassiker und Kuriositäten der Weihnachtszeit. Redaktorin Claudia Senn graut es an Weihnachten vor einer Überdosis Familie. Da hilft nur eins: die Flucht ergreifen.
Text: Claudia Senn
Weihnachten, ach Weihnachten! Ich wünschte, ich könnte das Fest der Liebe so herrlich finden wie das viel unprätentiösere Ostern. Aber dann herrscht ja doch wieder nur dicke Luft neben dem Christbaum. Grossonkel Alfred hat schon nach dem Apéro zwei Promille intus und malträtiert die Sippe mit infantilen Witzen. Grosstante Birgit nötigt alle zum lustlosen Absingen der immergleichen Weihnachtslieder. Cousine Vroni quält ihre Tochter wie jedes Jahr mit der Frage, wann sie denn nun endlich mit Enkeln rechnen könne. Und die Kinder mutieren zu materialistischen Monstern, die in entfesselter Gier das Papier von ihren Geschenken fetzen. Am besten, man ergreift gleich die Flucht!
Vor über dreissig Jahren ist mir das tatsächlich einmal gelungen. Ich besuchte Freunde, die auf der italienischen Insel Stromboli überwinterten. Die Reise war ein Alptraum, denn leider hatte ich ausser Acht gelassen, dass es im Italien der 80er-Jahre ein ebenso liebgewonnenes wie nervtötendes Weihnachtsritual gab: den Generalstreik. Weil die Fluglotsen streikten, kam ich erst mitten in der Nacht in Neapel an, da war mein Schiff längst weg. Die Bahn, die mich zu einem anderen Hafen hätte bringen können, streikte ebenfalls, genauso wie die Banken und Wechselstuben, was mich, als mir das Geld ausging, in ernsthafte Nöte brachte. Schliesslich erbarmte sich ein italienischer Nonno, setzte mich auf seine Vespa und brachte mich zu einem Freund, der mir meine Franken zu einem ruinösen Kurs in Lire wechselte.
Drei Tage später fuhr das nächste Schiff. Kaum hatte ich den Kahn betreten, legte mir ein kräftiger Matrose die Hand auf die Schulter und bat mich unmissverständlich mitzukommen, zum Kapitän, aber subito! Mir schwante Übles. Doch der Käpt’n hatte mich bloss als allein reisende junge Frau ausgespäht. Auf seiner Brücke zeigte er mir die Sternbilder, behauptete, er wäre im Besitz eines veritablen Schlosses und hoffte, ich würde nun schmachtend in seine Arme sinken. Nix da, Capitano, so leicht bin ich nicht zu haben!
Um fünf Uhr morgens erschien der feuerspeiende Stromboli am Horizont. Meine Freunde erwarteten mich an der Hafenmauer, und von da an wurde alles wunderbar. Die Luft war mild und voller Düfte. Tagsüber lustwandelten wir durch blühende Orangenhaine und schwammen an den schwarzen Stränden der Insel. Nachts erklommen wir die Hänge des Vulkans und riskierten einen Blick in das blubbernde Erdinnere. In Ermangelung eines Weihnachtsbaums schmückten wir eine Palme auf der Terrasse unseres weissen Inselhäuschens mit Muscheln und Strandgut. Zum Dinner gab es hausgemachte Pasta.
Kein Erwartungsdruck, keine Weihnachtslieder, kein Familienmuff, keine dämlichen Witze von Grossonkel Alfred – so machte Weihnachten Spass!
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