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Aufgeräumt! 6. Dezember 2022

Mehr als zwanzig Jahre lang arbeitete Usch Vollenwyder (70) bei der Zeitlupe. Seit Januar ist sie pensioniert. Jede Woche erzählt sie aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: vom Ende des Pensionierten-Projekts «Aufräumen».

Usch Vollenwyder
Usch Vollenwyder,
Zeitlupe-Redaktorin
© Jessica Prinz

Die neun Gestelle mit ihren über sechzig Tablaren in meinem Arbeitszimmer haben sich geleert. In der untersten Reihe stehen fein säuberlich angeschrieben ein paar Plastikboxen mit den Inhalten, die ich behalten will: Ahnengeschichte(n), Schulgeschichte(n), Vollenwyder-Geschichte, Seychellen-Erinnerungen, Briefe. Daneben finden sich die Ordner mit meinen Artikeln, über die ich längst die Übersicht verloren habe. Was geblieben ist, markiert die wichtigen Stationen in meinem Leben. Alles andere ist weg: Arbeitsbücher und Broschüren, Briefablagen und Schubladenboxen, Ordner und Ringbücher, Zeigetaschen und Register, Notizbücher und Blöcke. Dazu Kleinkram in x-facher Ausführung: Büroklammern, Haftnotizen, Klebestreifen, Leimstifte, Scheren, Locher, Magnete, Kugelschreiber, Bleistifte… Ich besass Material, als hätte mein Berufsleben kein Ende!

Ich bin wie mein Papa: Dinge, die man noch brauchen oder wiederverwerten könnte, kann ich nicht wegwerfen. Zum letzten Mal fahre ich – wie so oft in den letzten Monaten – mit einem Wäschekorb voller Material ins Nachbardorf. Dort hat vor hundert Jahren ein «Hudilumper» seinen Betrieb eröffnet: Mit Ross und Wagen war er unterwegs von Haus zu Haus und sammelte allerlei Altwaren wie Tierhaare, Knochen, Wollreste und Lumpen. Aus dem «Hudilumper» von anno dazumal ist ein moderner Recycling- und Entsorgungshof mit Fundgrube-Lädeli geworden. Freundliche Mitarbeitende nehmen die Ware entgegen und helfen beim Sortieren: Was recycelt wird, landet in den verschiedenen Containern: Papier, zerfledderte Bücher, kaputte Ordner, Elektroschrott. 

Ich denke an meine Kindheit zurück: Der Abfall zweier Walliser-Ferienwochen hatte in einem Eimer Platz. Ich weiss noch, wie unser Papa den vollen Kübel hinunter zur Turtmänna tragen und ihn ins Wasser leeren musste. Mein Mann erzählt von der «Chachelihöll»: Ennet der Gürbetalbahn-Linie landete der Abfall in einer Grube: kaputtes Geschirr – deshalb der Name «Chachelihöll» – , Blechbüchsen oder Haarspraydosen. Meist brannte in der Grube ein kleines Feuer, und es war das besondere Vergnügen der Landjugend, die Spraydosen hineinzuwerfen und darauf zu warten, dass sie explodieren würden. Oder mit Steinen nach den vorbeihuschenden Ratten zu zielen. In der Stadt, wo ich aufgewachsen bin, gabs eine richtige Müllabfuhr. Ich erinnere mich an den metallenen Ochsnerkübel im Küchenschrank unter dem Spültrog. Unsere Mama kleidete ihn jeweils mit Zeitungspapier aus. Immer am Freitag wurde der Müll mit einer alten Zeitung zugedeckt und für die Abfuhr vors Haus gestellt. 

Der nette Mitarbeiter vom Recyclinghof gibt mir den Wäschekorb mit den noch brauchbaren Dingen zurück: mein letztes überflüssiges Büromaterial. Ich bringe es hinauf ins Fundgrube-Lädeli, ein Trödlermarkt, der sich über zwei Räume hinzieht. In Gestellen sauber sortiert liegt Krimskrams – Dekosachen, Nähzeug, Haushaltgeräte, Kupfergefässe, Geschirr, Spielsachen, Schmuck, Bilder, Strassenschilder… Und alles zu Schnäppchenpreisen. Normalerweise gebe ich meine Sachen nur schnell ab und gehe gleich wieder. Ich kenne mich! Doch nun ist eine Weihnachtsecke eingerichtet. Ich will nichts kaufen – nur schnell schauen, was es zu kaufen gäbe, wenn ich denn etwas kaufen möchte!

Natürlich kann ich nicht widerstehen. Ich klaube achtzig Rappen aus dem Portemonnaie und verlasse die «Fundgrube» mit vier Kugeln in verschiedenen Rottönen für den Weihnachtsbaum. 


  • Haben Sie auch vor, sich von Altem zu trennen und aufzuräumen? Was hindert Sie daran, was ist dabei die grösste Herausforderung? Wir würden uns freuen, wenn Sie uns davon erzählen würden. Oder teilen Sie die Kolumne doch mit anderen. Herzlichen Dank im Voraus.
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Beitrag vom 06.12.2022

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