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Altern 15. Juli 2024

Die langjährige Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder erzählt alle zwei Wochen aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: von Elke Heidenreichs neuem Buch und alten Tagebüchern.

In jeder Buchhandlung liegt es auf, es ziert Bestseller-Listen, wurde vielfach besprochen (auch auf zeitlupe.ch), massenhaft gelesen und manche Freundinnen und Bekannte fragten mich, was ich dazu meine: zum Buch «Altern» der deutschen Literaturkritikerin und Autorin Elke Heidenreich. Heidenreich steht nicht zuoberst auf der Liste meiner Lieblingsautorinnen; ich hatte das Buch nicht gelesen. Doch irgendwann komme ich nicht mehr daran vorbei. Es liegt in meiner Thuner Lieblingsbuchhandlung gleich neben der Kasse.

Ein schmales Bändchen, gerade mal 110 Seiten, mit einem Umschlag, der aussieht wie eine altmodische Gobelin-Stickerei. Autorinnenname und Buchtitel in rosa. Von seiner Aufmachung her hätte ich das Buch nie gekauft.

Ich kann es nicht mehr aus der Hand legen. Nach einem halben Abend bin ich auf der letzten Seite angekommen. Humorvoll und scharfzüngig, heiter und nachdenklich, immer aber gnadenlos offen schreibt sie über den Lebensabschnitt, in dem sie sich mit ihren 81 Jahren befindet: über das Alter. Auf jeder Seite finden sich – in ihren Text eingewoben – Zitate von Schriftstellerinnen, Philosophen und Kunstschaffenden, die Elke Heidenreich bestätigt, ergänzt, interpretiert oder denen sie widerspricht. Dabei erzählt sie von ihren Erinnerungen, baut auf ihre Erfahrungen und steht ihren acht gelebten Jahrzehnten in jeder Beziehung ungeschminkt gegenüber: «Ich kämpfe gegen nichts an, was unvermeidbar ist.»

Ich weiss, warum mich das Buch so sehr anspricht: Zum einen beschreibt es die vergangenen Jahrzehnte, in denen ich selber gross, erwachsen und schliesslich pensioniert worden bin. Zum anderen spricht mir Elke Heidenreich aus der Seele – nicht immer, aber sehr oft. So beschäftigt sie das Alter nicht als Abschied vom Leben, sondern als ganz bewusst gelebte und geschenkte Zeit. Die Life-Work-Balance findet sie «dämlich». Um nichts in der Welt würde sie ihre Falten wegmachen lassen, die sie sich «bei diesem ganzen ungesunden, wunderbaren Leben» erworben hat. Dankbar ist sie für alles, was sie durchlebt und durchlitten hat und zitiert ihre Freundin Gisela: «Das Gehabthaben schützt vor dem Habenwollen.»

Heidenreich stellt Fragen, wie ich sie mir manchmal auch stelle. Wohin mit all meinen Dingen, wenn ich einmal nicht mehr bin? Was kommt in die Entrümpelung, was wird bleiben? Diese Frage treibe sie um, auch wenn sie dann doch tot sei, schreibt die Autorin. Sie erzählt von ihrem Haus voller Bücher und ihrer himmelblauen Zuckerdose aus Blech, die sie vor sechzig Jahren auf einem Flohmarkt in München gekauft und die sie überallhin mitgenommen hat. Ich habe das winzige Parfumfläschchen meiner Grossmutter. Es ist grün, mit einem silbernen Deckel, und sieht aus wie ein kleiner Tannzapfen. Wenn ich es öffne, riecht es immer noch nach Grossmutter. Irgendjemand wird es irgendwann achtlos in den Kehricht schmeissen…

Und was mit den alten Tagebüchern und Liebesbriefen? Elke Heidenreich kann sich noch nicht von allen trennen. Ich habe sie auch noch. Die Tagebücher lagern versteckt in der obersten Schublade der alten Kommode in meinem Schlafzimmer. Die Liebesbriefe zuunterst in einer Aufbewahrungs-Box. Keinesfalls möchte ich, dass meine Kinder sie je zu Gesicht bekommen. Doch fortschmeissen? Jetzt schon?

Ich frage in meinem Freundes- und Bekanntenkreis, wie sie das machen. Davon ein nächstes Mal.


  • Haben Sie ähnliche Gedanken über das Altern? Und denken Sie auch gelegentlich drüber nach, was aus den vielen kleinen Dingen wird, die Sie bis jetzt aufbewahrt haben, weil sie Ihnen wichtig sind? Wir würden uns freuen, wenn Sie uns davon erzählen oder die Kolumne teilen würden. Herzlichen Dank im Voraus.
  • Hier lesen Sie weitere «Uschs Notizen»

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Beitrag vom 15.07.2024
Usch Vollenwyder

Zeitlupe-Redaktorin
© Jessica Prinz

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