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Mein erstes Handy

Welches digitale Gerät hat Ihr Leben am meisten beeinflusst? Multimedia-Redaktorin Jessica Prinz erinnert sich gerne an die Zeit, in der Handys hauptsächlich der Unterhaltung dienten und im Lebensalltag weniger wichtig waren als heute. Sie sehnt sich fast ein wenig danach zurück.

Es ist 2002, als ich mir mein erstes Handy kaufe. Ich bin gerade mal zehn Jahre alt. Meine Mutter ist zwar dagegen, hat mir aber auch nicht ausdrücklich verboten, eines mit meinem eigenen Geld zu erstehen. So wird meine Sparsamkeit erstmals in meinem Leben belohnt– in Form eines geschichtsträchtigen Klassikers: dem Nokia 3210. 

Dieses 124 x 50 Millimeter grosse, kastenförmige Gerät mit 16 Tasten bedeutete für mich zu dieser Zeit eine fast unendliche Freiheit. Die Technik ging zwar nicht über SMS und Anrufe hinaus, allerdings hätte ich mir damals auch nie vorstellen können, dass ein solches kabelloses Ding, das nur alle paar Tage aufgeladen werden musste, jemals mehr Möglichkeiten bieten würde. Hauptsache, auf meinem Natel war das Spiel Snake verfügbar, bei dem mithilfe der geraden Zahlentasten eine Schlange über den Bildschirm gelenkt wird, um sie kleine Sternchen fressen zu lassen. Ihr Körper wächst dabei stetig – aber wehe, man kracht bei der immer schneller werdenden Jagd nach Pixelfutter in sich selbst hinein. 

Was wirklich wirklich wichtig war: das möglichst schnelle Tippen auf der Tastatur. So konnte die Stunde zwischen 18 und 19 Uhr, in der alle SMS gratis waren, bestmöglich ausgenutzt werden. Voraussetzung war auch, dass man die dreidimensionalen Tasten in- und auswendig kannte und so die Nachrichten «blind» eintippen konnte. So konnte man jederzeit SMS verschicken, auch während des Abendessens oder sogar im Unterricht – heimlich unter dem Tisch.

Wie viel Energie eine solche Nachricht braucht und was das kostet, darüber machten wir uns damals keine Gedanken. Ich erinnere mich, wie wir unsere aktuellen Lieblingssongs als Klingelton herunterluden: Eine einzige SMS zauberte eine Audiodatei aufs Handy, die mithilfe simpelster Piepstöne Hits aus den Charts imitierte. Es war der Aufstieg des unsäglichen Hits «Crazy Frog», der kürzlich auf TikTok ein Comeback feierte.

Ich erinnere mich auch, wie ich mich darüber freute, als ich eine glitzernde Tastatur geschenkt bekam und diese gleich selber austauschte – schliesslich konnte man das 3210 mit einfachsten Handgriffen auseinandernehmen. Und ich weiss auch noch, wie ich meine Freundinnen bat, sie sollten es «kurz lüta loh», wenn sie vor dem Haus auf mich warteten, um draussen zu spielen. Ich gehöre wohl zur letzten Generation, die den Daumen ans Ohr und den kleinen Finger vor den Mund hält, um ein Telefonat zu symbolisieren.

Heute hingegen bedeutet ein Handy enorm viel mehr: Es hat Agenda, Portemonnaie und Strassenkarte abgelöst. Es mahnt mich daran, meine Mutter anzurufen, korrigiert und übersetzt meine Texte, lässt mich Postkarten verschicken und informiert mich über das Weltgeschehen und das Wetter in meinem Dorf, in dem ich schon lange nicht mehr lebe. Es ist Fotoalbum und Wecker, Wasserwaage und Stimmgerät in einem, plant meine Reisen, zeigt mir Sportübungen vor und misst dabei meinen Puls – wenn ich das möchte. Es ist gleichzeitig Segen und Bürde. Denn wenn es mit der Technik hapert, dann hat das viele negative Auswirkungen.

Derzeit wechsle ich erstmals den Anbieter. Meine Nummer möchte ich aber natürlich keinesfalls zurücklassen. Vor 20 Jahren war mir nicht bewusst, dass der Kauf einer Handynummer zu einem Stück meiner Identität werden würde. Ich hörte auf den Rat meines ein Jahr jüngeren Cousins, der mir eine Handynummer empfahl, die seinen Jahrgang enthielt: 93. Heute beneide ich Menschen, deren Nummer schöne Muster ergeben, einprägsam sind oder über eine gerade Quersumme verfügen (in mir steckt ein kleiner Zahlenfreak). 

Hinter dem Rufnummer-Transfer zu meinem neuen Anbieter steht nun also ein riesiger Aufwand, der als Zwischenschritt einen Wechsel auf Prepaid bedingt. Was mich im Ausland bisher nie gestört hat – nur Internet zu haben, wenn ein WLAN in der Nähe ist, nur im Notfall zu telefonieren oder eine SMS zu schreiben, weil jede einzelne Aktion kostet – fordert mich im Alltag jetzt ungemein heraus. Nun ist es für zwei Wochen plötzlich nicht mehr so einfach möglich, jemanden zurückzurufen oder nachzuschauen, wann mein Zug fährt. Frage ich mich unterwegs, von wem eigentlich das Lied «Deeper understanding» ist, kann ich es nicht einfach googeln. Und selbst das Bezahlen wird zur Herausforderung, weil Twint in der Zwischenzeit zu meinem ständigen Begleiter wurde. Plötzlich steht mir nur noch mein eigenes Wissen und das der Menschen um mich herum zur Verfügung. Und ich kann auch nur auf jene Dinge, die ich physisch bei mir habe, zugreifen. Das Erstaunliche daran: Eigentlich finde ich das irgendwie ganz gut. Es lässt mich mal wieder hinterfragen, wie abhängig ich von diesem Kasten bin, der mittlerweile auf 144 x 71 Millimeter gewachsen ist. So viel mehr Platz sollte mein Smartphone also gar nicht einnehmen.

Total digital

Bereit für eine Reise in die digitale Welt? Im Themenschwerpunkt «total digital» schauen wir nach vorn – aber auch zurück: Wir zeigen, dass Künstliche Intelligenz nicht nur jüngeren Generationen vorbehalten ist, erinnern uns an unsere ersten Erfahrungen mit der digitalen Technologie, zeigen eine innovative Community-Wohnform und kommen mit virtueller Realität hoch hinaus: zeitlupe.ch/total-digital

Beitrag vom 26.07.2023

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