
Balanceakt Patchworkfamilie
Patchwork ist heute gang und gäbe, aber auch eine Herausforderung für alle Beteiligten: die neuen Partnerinnen und Partner, die neuen Kinder – und die neuen Grosseltern. Gerade sie können aber viel zu einer gelungenen Integration beitragen.
Text: Ruth Brüderlin, Illustrationen: Nadja Zinnecker, Fotos: Christian Senti
Janine (62) übt mit Emilia (12) im Wohnzimmer Moves, moderne Tanzschritte. «Geh leicht in die Knie», erklärt sie und Emilia macht begeistert mit. Sie findet ihre Bonus-Grossmutter cool und schätzt sie nicht nur als Expertin für Tanz, sondern auch als Shopping-Begleitung. Schliesslich hat Janine einen Ruf als Kapazität für modisches Know-how.
Emilia lebt mit ihrer Mutter Aline (36) und deren Partner Christof (38) in Bern. Sie liebt Besuche bei «Grappa» und «Gramma» in Zürich. «Wir haben ein Traum-Enkelkind», schwärmt Janine. Sie kam durch die Heirat mit Marcel (56) vor 25 Jahren unerwartet zu Nachwuchs. Seine Tochter wuchs zwar bei der Mutter in Bern auf, hatte aber immer ein enges Verhältnis zum Vater.
Glückliche Patchworkfamilie
Janine ist begeistert von ihrer Rolle als «Gramma»: «Schon als kleines Kind verbrachte Emilia oft ein Wochenende bei uns und besteht bis heute darauf, bei uns im Schlafzimmer auf einer Matratze zu schlafen. Es ist nicht selbstverständlich, dass es in einer Patchworkfamilie so gut läuft wie bei uns, und ich bin dankbar dafür.»
Ihre Devise: «Ich mische mich nie ein.» Das habe sie schon damals bei Stieftochter Aline so gehalten. «Ich akzeptierte einfach, dass wir alle 14 Tage einen grummeligen Teenager im Haus hatten», sagt Janine und lacht. Sie habe gesehen, dass es ihrem Mann guttat, wenn er die Tochter bei sich hatte, das sei für sie die Hauptsache gewesen.

Die Devise lautet: sich zurückhalten und sich nicht einmischen.
Aline muss lachen, als sie das hört, und sagt über das Verhältnis ihrer eigenen Tochter zu Janine: «Es ist super. Sie haben sich gern, und wir machen keinen Unterschied, ob blutsverwandt oder nicht.» Bloss die Termin-Koordination an Feiertagen sei eine Herausforderung. Väter, Mütter, neue Partner, dazu leibliche und soziale Grosseltern plus noch lebende Urgrosseltern – alle haben eigene Vorstellungen und Ansprüche. Dazu kommen Reisen ins Wallis und nach Zürich. «Wir feiern halt fünfmal Weihnachten», sagt Aline. «Nicht ideal, aber es ist halt so und wir leben einfach damit.»
Grossvater Marcel ist sichtlich stolz auf seine Schar und neckt die Damen gern mit frechen Sprüchen. So erzählt er mit schelmischem Grinsen, für Emilia habe Janine sogar einmal im Berner Oberland in einem grossen Weinfass übernachtet. «Das würde sie für niemanden sonst tun.»
Die Schar der Enkelkinder wächst
Laut Bundesamt für Statistik waren im Jahr 2021 rund sechs Prozent aller Familienhaushalte mit Kindern unter 25 Jahren ein Patchworkkonstrukt. In 20 Jahren dürfte Patchwork laut Schätzungen sogar die häufigste Form des Zusammenlebens sein. Eltern trennen sich und finden neue Partner oder Partnerinnen, die allenfalls eigene Kinder mitbringen. Damit kommen weitere Grossmütter und -väter dazu und deren Enkel-Schar vergrössert sich unvermittelt. Umgekehrt leben auch Grosseltern immer seltener mit dem Menschen zusammen, den sie einst geheiratet haben.
Kinder haben heute oft fünf, sechs oder sogar acht Grosseltern-Teile. Damit treffen unterschiedliche Systeme aufeinander, andere Verhaltensweisen, Ansichten, Religionen, Traditionen und Werte. «In die Rolle der Stiefoma zu schlüpfen, könne sich wie ein Spaziergang durch ein Minenfeld anfühlen», schreibt die deutsche Autorin, Mediatorin und Trainerin für gewaltfreie Kommunikation Marita Strubelt auf ihrem Blog «patchworkaufaugenhoehe.de». Eine der grössten Fallen sei der Versuch, zu schnell zu viel zu wollen: «Klar, du möchtest sofort die Superoma sein, aber Beziehungen brauchen Zeit. Also, geduldig bleiben, nicht gleich die ganze Lego-Sammlung kaufen!», rät Marita Strubelt.
Patchwork als Herausforderung
Es hilft, die Erwartungen nicht zu hoch anzusetzen. Patchwork ist eine Herausforderung für alle Beteiligten. Die Gewöhnung an neue Familienmitglieder und neue Regeln dauert eine Weile. Zudem ist eine Scheidung der Kinder auch für Grosseltern schmerzhaft und oft sehen sie die Enkelkinder seltener. Besonders die väterliche Linie kommt mitunter zu kurz, da laut diversen Studien der Kontakt zu den Grosseltern mütterlicherseits meist intensiver aufrechterhalten wird. An der Trennung tragen Grosseltern jedoch ebenso wenig Schuld wie Kinder.
Trotz Schmerz, Loyalitätskonflikten und Eifersucht hilft es enorm, einen fairen und respektvollen Umgang zu wahren. Auch und gerade in schwierigen Zeiten, etwa wenn eine Grossmutter oder ein Grossvater von Enkeln ferngehalten wird.

Heutige Grossväter haben eine enge Beziehung zu den Enkelkindern.
So ergeht es Peter (71) aus einem Dorf im Aargau. Vor vier Jahren kam sein erster Enkel zur Welt, Liam. Erst nach 14 Tagen durfte Peter das Bébé seines Sohnes zum ersten Mal sehen. «Wir bekamen eine viertelstündige Audienz», sagt er bitter, «dabei wohnen wir im gleichen Dorf.» Mit «wir» meint Peter sich und seine zweite Frau Andrea (72), mit der er seit 15 Jahren verheiratet ist. Dass er sich Jahre, bevor er Andrea kennenlernte, von seiner ersten Frau hatte scheiden lassen, damit kamen sein Sohn und vor allem seine Schwiegertochter nicht zurecht.
Schmerzhafte Distanz
In Liams erstem Lebensjahr bemühten sich die Grosseltern um Kontakt zur jungen Familie, luden sie zum Nachtessen ein, Andrea ging für die frischgebackene Mutter einkaufen – und wurde jeweils mit einem «Danke, ich zahle ein andermal» an der Haustüre abgefertigt. Baby Liam sahen sie höchstens vier-, fünfmal. Andrea nahm ihn dann nie in den Arm, aus Angst, das könnte aufdringlich wirken. «Die Situation tut mir bis heute wohl mehr weh als meinem Mann», sagt sie. «Er hat sich damit abgefunden, dass er auf Distanz gehalten wird.»
Peter räumt ein, dass er für seinen eigenen Enkel Liam nicht die gleiche Zuneigung empfinden könne wie für den kleinen Sonnenschein, der letzten Sommer das Licht der Welt erblickte: Frédéric, 3,5 Kilo, 50 cm. Das erste Kind von Andreas Tochter Desirée (34): Die Freude war gigantisch. Bei Baby Frédéric darf Peter von Herzen Grosspapi sein. Sehr zur Freude des jungen Paares. «Ich kenne Peter länger, als ich meinen eigenen, früh verstorbenen Vater kannte», sagt Desirée. Sie habe eher befürchtet, Peter könnte nicht ganz so interessiert an Frédéric sein wie an einem eigenen Enkel. «Das ist aber überhaupt nicht so!», sagt sie. «Er ist mega herzig mit Frédéric, redet mit ihm, hält ihn gerne.»
Bonus-Grosseltern werden bei uns immer wichtiger.
Ihrem Mann Renzo (33) fällt auf, dass Peter viel geübter ist im Umgang mit einem Baby als sein eigener Vater: «Der ist etwas unsicher, obwohl es schon sein dritter Enkel ist.» Hier zeige sich, dass Peter bei seinen eigenen sechs Kindern von Anfang an mit angepackt hatte. Mit Renzos Eltern kommen Peter und Andrea bestens aus. Die beiden Grosseltern-Paare träfen sich gern auch mal «ohne die Kinder» zum Apéro, wie Renzo und Desirée spitz bemerken. «Es tut mir wohl, dass ich in Andreas Familie wohlgelitten bin», sagt Peter und fügt an, er habe den Eindruck, dass in letzter Zeit eine Wende stattfinde und sich das Verhältnis zu Sohn und Schwiegertochter langsam entspanne.
Wichtige Ressource für Familien
Die Bedeutung der sozialen oder eben Bonus-Grosseltern nehme zu, sagen Wissenschaftler der Freien Universität Bozen (I) in ihrer Publikation «Grosseltern – eine wichtige Ressource für Familien» von 2010. Entscheidend für ein harmonisches Verhältnis seien drei Faktoren: die Beziehung, die das neue Elternteil zur Stieftochter oder zum Stiefsohn aufbauen könne. Dann das Alter der Stiefenkel. Je jünger, desto leichter gewöhnten sie sich an eine neue Familiensituation. Und schliesslich, ob die Gefühle echt seien, die gegenüber den neuen Enkeln gezeigt würden. Laut der Bozener Untersuchung berichten Enkelkinder aus Stieffamilien über «qualitativ hochwertigere und vielfältigere Aktivitäten mit den Grosseltern als Kinder aus intakten Familien». Und noch etwas zeigt sich: Heutige Grossväter bauen ebenso starke Bindungen zu Enkelinnen und Enkeln auf wie Grossmütter – unabhängig von der Blutsverwandtschaft.
Grosi, Granny oder Grossmueti
Viele Familien machen da sowieso keinen Unterschied. Und wer wie genannt wird, entscheiden Kinder meist von sich aus. Grosi, Granny oder Grossmueti, Neni, Nonno, Opa oder schlicht der Vorname? Auf die gegenseitige Liebe hat das keinen Einfluss. So nennen auch die Enkelinnen von Esther (68) und Ruedi (73) beide einfach beim Vornamen. «Ich habe wirklich Freude an den Mädchen», sagt Bonus-Grossmutter Esther. Dennoch kam es für sie nicht infrage, für einen fixen Hütetag eingespannt zu werden. Sie erlaube es sich, nach der Pensionierung einfach ihre Freiheit zu geniessen, und habe das klar gesagt.
Einspringen, wenn es wichtig ist
«Für uns war das sehr okay», sagt Ruedis Tochter Valeria, «Grosseltern sind schliesslich kein Gratis-Dienstleistungsbetrieb. Da ihre Mutter in Spanien lebt und die Eltern ihres Mannes im Südtirol, organisierten sie die Kinderbetreuung mit Hort und Kita. «Ruedi und Esther sind freiheitsliebend und geniessen ihr Leben», sagt Valeria. «Darüber sind wir mega froh. Für uns ist diese Lösung sogar fast besser, weil ich weiss, dass sie einspringen, wenn es wichtig ist. Dann sind sie sehr flexibel und bereit, umzudisponieren.»

Patchworkfamilien gelten als das Konstrukt der Zukunft.
«Im Notfall springen wir gern ein», bekräftigt Ruedi. Dann holen er oder Esther die Enkelinnen Matilda (7) und Aitana (5) ab, hüten oder bringen sie zu einem Termin. Sie geniessen die – mitunter turbulente – Gesellschaft der Mädchen, sehen sie regelmässig, quasi im Wochenrhythmus. «Es ist locker mit ihnen, sie sind mega lieb und herzlich», sagt Esther. Gerät die korrekte Bezeichnung des Verwandtschaftsgrades zu ihr durcheinander, ist das Anlass zur Heiterkeit. «Gell, du bist meine Urgrossmutter», habe Aitana mal gefragt, sagt Esther und lacht. Matilda, die Grössere, ist sattelfest und stellt den Grossvater vor als: «Das ist Ruedi, mein Opa.» Mit den anderen Grosseltern im Südtirol und in Spanien komme man bestens aus, «nur schon wegen der räumlichen Distanz kann kein Konkurrenzdenken aufkommen», sagt Ruedi belustigt.
Esther fühlt sich im Patchworkgefüge absolut akzeptiert und ist mitunter erstaunt, wie gerne die Enkelinnen sie sehen. Der Grund ist für Matilda sonnenklar: «Sie sagt fast immer ja!» So macht die eher zurückhaltende Esther – sie beschreibt sich als unaufgeregt – auch gerne bei den Rollenspielen mit, die vor allem Matilda so liebt. Esther mimt dann die Restaurantköchin und Ruedi wird vom Spielzeugtelefon aus beauftragt, einen Tisch im imaginären Restaurant zu reservieren. Grossmutter zu sein, fühle sich natürlich an, sagt Esther. «Das gefällt mir.» Es erinnere sie an ihre Grossmutter und die Ruhe, die diese ausstrahlte. «So», sagt Esther, «möchte ich bei meinen Enkelinnen auch in Erinnerung bleiben.»
«An Weihnachten sass der ganze Klüngel am Tisch»
Louise (34) wuchs in einem Patchworkkonstrukt auf und hatte sechs Grosseltern-Teile. Nicht zu allen fand sie einen gleich guten Draht. Aber man mochte sich, kam miteinander aus und feierte Weihnachten gemeinsam.
«Als Kind liebte ich es, in die Ostschweiz zu Grosi Helen in die Ferien zu gehen. Sie war früh Witwe geworden und hatte Paul geheiratet, als die jüngste ihrer vier Töchter, meine Mutter Bea, noch zu Hause wohnte. Paul stammte aus demselben Dorf und war ein typischer Altlediger: gschaffig, introvertiert, wortkarg. Kein Böser, gar nicht, eher unbeholfen. Weder mit seinen Stieftöchtern noch später mit seinen fünf Stiefenkeln konnte er viel anfangen.
Ich bin in Genf aufgewachsen und war als Kind fürchterlich schüchtern. Wenn ich Deutsch sprechen sollte, war ich noch gehemmter. Grosi Helen gab sich immer Mühe und sprach Französisch mit mir. Sie ist jetzt über 90 und eine Grossmutter wie aus dem Bilderbuch, einfach ein Schatz. Paul ist vor ein paar Jahren gestorben.
Durch die zweite Heirat meines Vaters bekam ich noch ein Set Grosseltern: Mathilde und Raymond, die Eltern meiner Stiefmutter. Auch sie leben schon länger nicht mehr. Sie waren Welsche und sehr nett. Ein enges Verhältnis entstand trotzdem nicht. Erstens sah ich sie selten, weil ich bei meiner Mutter lebte, und zweitens war ich eben schüchtern. Bonus-Opa Raymond war auch zurückhaltend wie ich. Wir mochten uns und verstanden uns immer ohne viele Worte. Bonus-Oma Mathilde zeigte durchaus Interesse an mir, war aber ziemlich dominant, das hat mich ein bisschen eingeschüchtert.
Schön waren die Weihnachten. Meine geschiedenen Eltern, meine Stiefmutter und -schwester, alle Grosseltern, der ganze Klüngel ass zusammen an einem grossen Tisch. Alle, ausser Stiefgrossvater Paul, er kam nie mit Grosi Helen nach Genf.
Ich hatte immer für alle eine Kleinigkeit als Geschenk vorbereitet und bekam auch von allen ein Päckli, das war super! Einmal schenkten mir Mathilde und Raymond ein Halskettchen mit einem Elefanten als Anhänger. Sie hatten wohl mitbekommen, dass ich als Kind verrückt war nach den Dickhäutern. Das hat mich sehr berührt.»
«Gebrauchsanweisung» für Patchworkgrosseltern
Mit ein paar einfachen Verhaltensregeln können Grosseltern helfen, das Zusammenleben in einerPatchworkfamilie zu vereinfachen.
- Nichts übereilen, das Zusammenwachsen braucht Zeit.
- Sich nicht einmischen und nicht ungefragt Ratschläge erteilen. Man darf einen Kommentar abgeben, wenn man findet, es laufe etwas grundsätzlich falsch. Mehr nicht – und vor allem nie vor den Enkelkindern.
- Sich negative Bemerkungen über verflossene oder neue Partner/Partnerinnen sowie andere Grosseltern verkneifen.
- Regeln akzeptieren, die in der neuen Familie gelten.
- Zeiteinteilung akzeptieren. Grosseltern haben keinen rechtlichen Anspruch auf Besuche. Die Eltern bestimmen, wann, wie oft und wie lange Enkel Grosseltern sehen. Besonders an Feiertagen ist das eine Herausforderung.
- Sich mit den anderen Grosseltern zusammentun für grosse Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenke wie einen Laptop. Das verhindert auch Eifersucht unter den Grosseltern.
- Nicht beleidigt sein, wenn die Enkel engeren Kontakt zu anderen Grosseltern haben.
«Es braucht Zeit und Toleranz»
Elisabeth Schlumpf (92) ist Psychotherapeutin mit Spezialgebiet Familien- und Kinder-Psychotherapie. Sie weiss, wie komplex Patchworkfamilien sein können und rät zu Geduld, Zurückhaltung und Grossherzigkeit.

Was können Grosseltern beitragen, damit die Integration in einer Patchworkfamilie reibungslos verläuft?
Elisabeth Schlumpf: sich nicht einmischen, sich nicht aufdrängen und dasselbe beherzigen, was alle beteiligten Erwachsenen sollten: sich und den anderen Zeit geben, Toleranz und Grossherzigkeit zeigen – und wenn es gar nicht geht, die Hilfe von Familientherapeuten in Anspruch nehmen.
Ein Kind kann heute durchaus sieben, acht Grosseltern-Teile haben. Das birgt grosses Konfliktpotenzial. Wie sollen Kinder, aber auch Eltern und Grosseltern damit umgehen?
Es kommen unterschiedliche Gefühle und Erwartungen von vielen Menschen zusammen. Bonus-Grosseltern sollten sich bewusst machen, dass man Liebe, Zuneigung nicht erzwingen kann. Respekt und Anstand hingegen darf man erwarten. Die US-Psychologin Virginia Satir, eine der Begründerinnen der Familientherapie, zeigte in einem eindrücklichen Video die Familienaufstellung einer Patchworkfamilie. Vorne standen die Eltern und Geschwister, dahinter deren Eltern und Verwandte. Diese Aufstellung zeigte anschaulich, wie komplex eine Patchworkfamilie effektiv ist und wie viele Anforderungen an die Einzelnen da sind. Sogar ich war verblüfft, als ich das so plastisch sah.
Wie sollen Grosseltern mit neuen Enkelkindern umgehen?
Es ist normal, dass einem die eigenen näher sind, vor allem zu Beginn. Es kann auch sein, dass ein neuer Enkel mal direkt sagt «Gell, du hast mich weniger gern als den Hansli und das Urseli.» Dann können Grosseltern ehrlich, aber taktvoll reagieren und zum Beispiel sagen: «Ja, weisst du, den Hansli und das Urseli kenne ich halt schon länger als dich. Dich muss ich zuerst näher kennenlernen. Darauf freue ich mich, aber du hast recht, Hansli und Urseli sind mir im Moment näher als du.» Das kann ein Kind gut annehmen und, das ist wichtig, es muss nicht an seiner Wahrnehmung zweifeln. Unwahrheiten wie «Nei, nei, ich habe alle gleich gern» sollte man vermeiden. Es bedingt aber, dass sich die Bonus-Grosseltern ihrer eigenen Gefühle bewusst sind.
Ist es zu viel verlangt, neue Enkelkinder gleich zu behandeln wie die eigenen?
Im Sinne der Zuneigung schon. Nicht aber im Sinne von Regeln einhalten, die gelten für alle gleich. Grosseltern dürfen nicht zu viel von sich selbst verlangen, etwa, allen gegenüber die gleiche Liebe zu empfinden. Auch leibliche Enkel sind einem ja nicht alle gleich nah. Das muss man nicht verleugnen und sich zu nichts zwingen wollen. Die Chemie stimmt nun mal nicht mit allen Menschen gleich gut, egal, ob Gross oder Klein. Aber man muss alle mit Anstand und Respekt behandeln.
Was, wenn es zu Eifersüchteleien unter den Grosseltern um die Gunst der Enkelkinder kommt?
Das ist ein typischer Stolperstein. Man muss sich fragen, was man erwartet und welche Funktion man in einem neuen Familiensystem hat. Grundsätzlich gilt: sich zurückhalten, nicht über andere Familienmitglieder – weder alte noch neue – herziehen.
Was tun, wenn einem Kontakt zu den Enkelkindern vorenthalten wird?
Grosseltern haben juristisch kein Besuchsrecht. Es ist klug, abzuwarten und zu hoffen, dass sich bei den Eltern die Einsicht durchsetzt, dass man vor allem den Kindern etwas wegnimmt, wenn sie keinen Kontakt zu den Grosseltern haben dürfen.
Elisabeth Schlumpf führt seit 1978 eine Praxis in Zürich und hat mehrere Bücher über das Alter und die Grosselternschaft geschrieben. Darunter: «Wenn ich einst alt bin, trage ich Mohnrot», «Enkel sind ein Geschenk» und «Lach jetzt, stirb später».
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