Melodien des Lebens
Erzählen ist freiwillig, zuhören ist Pflicht: Im Erzählcafé tauscht man Geschichten und Erinnerungen aus und erlebt so ein Thema aus ganz verschiedenen Blickwinkeln. Bei Pro Senectute Appenzell Ausserrhoden ging es kürzlich um Musik und um die Gefühle, die dabei mitklingen.
Text: Annegret Honegger
«Frühlingsputz», «Was ist für mich Glück?», «Samichlaus» oder «Auf den Hund gekommen» – einmal im Monat steht im «Erzählcafé» eine Reise in die Erinnerung auf dem Pro-Senectute-Programm. Silvia Hablützel moderiert die Runde in den Sesseln und Sofas im Haus Wiesental in Herisau ganz nach dem Motto: Wer länger lebt, hat mehr zu erzählen.
Gesprächsregel Nummer 1 dabei: «Was hier gesagt wird, bleibt unter uns.» Das Erzählte wird mit Respekt und Wohlwollen aufgenommen und nicht bewertet. Denn bei Erinnerungen gibt es kein richtig oder falsch, kein gut oder schlecht. Die Spieldosen, Musikkassetten, Schallplatten und CDs auf dem Tischchen zeigen, dass sich das Gespräch heute um Melodien drehen soll, die uns durchs Leben begleiten. «Stille Nacht», sagt ein Teilnehmer spontan. «S’Zündhölzli von Mani Matter» ein anderer. Die Songs von Simon & Garfunkel werden genannt oder «die Lieder von Sina, die mir so nahegehen».
Oft sind diese Melodien mit besonderen Menschen und Momenten verknüpft. Eine Teilnehmerin denkt beim «Schneewalzer» bis heute an ihren Vater mit seiner Handorgel. Jemand erzählt von den Musikkassetten, die der Schulschatz damals aufnahm. Jemand vom ersten Konzert mit der grossen Liebe. Oder vom Landsgemeindelied: «Wenn alle aufstehen und singen, läuft das Augenwasser.»
Das Zuhören weckt eigene Erinnerungen, die wiederum andere anregen. Ein Teilnehmer berichtet vom Auftritt als Jodler im japanischen Kaiserpalast. Andere sehen bis heute Pierre Brice durch die Prärie reiten, wenn die «Winnetou»-Melodie erklingt. Und alle staunen, wie uns das Gehirn Schlagertexte
von früher noch Jahrzehnte später fehlerfrei in den Mund legt.
Manchmal läuft das Gespräch locker und leicht, manchmal werden die Augen feucht. Die Moderatorin bringt mit ihren Inputs immer wieder andere Aspekte des Themas zum Klingen. Ab und zu summt jemand einige Takte und andere fallen ein. Dann wieder hängt man eigenen Gedanken nach.
Das Zuhören sei ebenso wichtig wie das Erzählen, betont Silvia Hablützel. Und beim Gespräch wie in der Musik gehören Pausen und Stille dazu. Neben aussergewöhnlichen Schicksalsschlägen haben auch alltägliche, scheinbar banale Begebenheiten ihren Platz.
Nach einer guten Stunde leitet Silvia Hablützel zum zweiten Teil über. Bei Kaffee und Guetzli geht das Gespräch weiter – über Musik oder auch über ganz andere Themen. «Seit ich nicht mehr arbeite, habe ich mehr Zeit zum Zurückdenken. Die Erinnerungen mit anderen zu teilen, ist eine schöne Erfahrung», sagt eine Teilnehmerin. Ein Mann schätzt die Gesprächskultur in der Runde: «Anders als in der Beiz oder in der ‹Arena› lässt man einander hier ausreden.» Eine Teilnehmerin ergänzt: «Von den Geschichten und Gedanken, die ich hier höre, kann ich jeweils noch lange zehren.»
Erzählcafés bei Pro Senectute Appenzell Ausserrhoden
Geschichten, die das Leben schrieb: Das Erzählcafé bietet Raum für einen Austausch in gemütlicher Runde. Die Themen sind im Voraus bekannt und die Gespräche werden moderiert. Im zweiten Teil bleibt Zeit fürs Plaudern bei Kaffee und Kuchen.
Die nächsten Erzählcafés:
- Thema «Vorsätze» am 22. Januar in Heiden
- Thema «Freundschaft» am 5. Februar in Herisau und am 19. Februar in Heiden.
Informationen bei Pro Senectute Appenzell Ausserrhoden, Telefon 071 353 50 30, Mail info@ar.prosenectute.ch, ar.prosenectute.ch oder netzwerk-erzaehlcafe.ch
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