Speck und Käse als Lohn
Anna-Luise «Sisy» Hofmann-Furrer aus Derendingen SO wuchs mit vier Schwestern im Vispertal auf. Geborgenheit und viel Arbeit prägten ihre Kindheit im Wallis.
Bei uns im Weiler «zur Tanne» in Staldenried auf 1100 Metern über Meer gab es keine Strasse und erst ab den 1950er-Jahren eine Seilbahn. Während die Männer unten im Tal in den Fabriken von Lonza oder Alusuisse arbeiteten, besorgten die Frauen und Kinder die Landwirtschaft sowie die Haus- und
Gartenarbeit. Um zu überleben, mussten alle mit anpacken, von den Jüngsten bis zu den Ältesten.
1954 als zweite von fünf Töchtern geboren, fühlte ich mich geborgen in der Familie und der Gemeinschaft. Wir Kinder wurden nicht nur von unseren Eltern erzogen, sondern auch von Tanten, Onkeln und vom ganzen Dorf. Meine Familie gehörte zu den Ärmeren und musste mit einer Ziege für die Milch und einem Säuli pro Jahr fürs Fleisch auskommen.
Schon früh lernte ich: Wenn ich die Ziege nicht molk, gab es keine Milch. Holte ich kein Holz, froren wir. Bereits mit neun Jahren arbeitete ich die langen Sommerferien über bei Bauersleuten gegen Speck und Käse für unsere Familie. Dieser ständige Existenzkampf prägte mich von klein auf und lehrte mich Disziplin, Demut und Dankbarkeit für das, was man hat.
Später fiel es mir schwer, meine Familie und die vertraute Umgebung zu verlassen. Die «Üsserschwiiz», wo ich mich zur Sozialpädagogin ausbildete, empfand ich anfangs als kalt und fremd. Mir fehlten die Wärme und die direkte Art, wie man im Wallis miteinander umgeht.
Nach intensiven Jahren als Heimleiterin und mit unserer heilpädagogischen Pflegefamilie führe ich heute das, was ich mein «Dessert-Leben» nenne. Als «Seelenbegleiterin» stehe ich Menschen im Leben wie im Sterben zur Seite. Und vermittle, was ich selbst schon als Kind erlebte: Das Ende gehört
ebenso selbstverständlich zum Leben wie der Anfang.
Aufgezeichnet von Annegret Honegger
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