Seit 2018 ist der Berner Architekt Daniel Glauser hauptberuflich Fährmann. Bei jedem Wetter und zu allen Jahreszeiten setzt er Passagiere über die Aare. Diese Beschäftigung ist für ihn mehr als ein Broterwerb.
Text: Usch Vollenwyder
Es klingelt von der anderen Flussseite. Daniel Glauser zieht seine Jacke über und verlässt das warme Fährhaus. Er löst die Fähre und stösst mit dem Fuss vom Ufer ab. Das Drahtseil spannt sich, die Strömung erfasst das Boot. Langsam nimmt es Fahrt auf. Grün schimmert das Wasser, es rauscht und gurgelt. Daniel Glauser steht im Heck am Ruder und kontrolliert Richtung und Geschwindigkeit. Die Bodenackerfähre ist die letzte von vier sogenannten Gierfähren zwischen Bern und Thun und die letzte Fähre rund um Bern, die ganzjährig in Betrieb ist. Gegen 40’000 Fahrgäste befördert sie jedes Jahr zwischen Muri und Wabern über die Aare.
83 Sekunden dauert die Überfahrt. In diesen 83 Sekunden hat Daniel Glauser schon alle Facetten des Lebens gesehen: die Unbeschwertheit und das Lachen von Jugendlichen, das Staunen der Kinder, die Routine von Joggerinnen und Hündelern mit ihren Vierbeinern oder die Nachdenklichkeit und Trauer von alten Menschen. Auf seiner Fähre wurden auch schon Kinder getauft. Oder die Asche Verstorbener dem Wasser übergeben. Dann verlangsamt er die Überfahrt, verweilt in der Mitte der Aare und lässt seinen Gästen Zeit für den Abschied. Für den Fährmann ist der Fluss das Sinnbild von Leben und Tod, ein Symbol des ewigen Kreislaufs.
Die Aare hat ihn geprägt
Daniel Glauser ist ganz in der Nähe an der Aare aufgewachsen. Sie war ihm Spielplatz, Heimat und Rückzugsort. Er erinnert sich nicht, dass seine Eltern je Angst um ihn hatten, wenn er am Wasser weilte. Dort empfand er Ehrfurcht und Faszination. Zwei seiner Onkel führten in der Nähe einen Bauernhof. Auch sie hätten ihn geprägt: «Sie liebten, was sie machten.» Als Fährmann erlebe er Unmittelbarkeit und Nähe zur Natur, der Lauf der Aare lade ihn ein zum Nachdenken – über das Leben und auch über den Tod, dem letztlich alles Leben entgegengehe. «Ich bin erfüllt von dem, was ich mache.»
Nach seiner Lehre als Zeichner zog Daniel Glauser als 21-Jähriger in die kanadische Wildnis, wo er für ein Jahr in einem Fischercamp arbeitete. Zurück in der Schweiz studierte er Architektur und machte sich selbstständig. «Wenn ich Feuer fange, brenne ich für eine Sache», sagt der 61-Jährige. Nach bewegten Berufsjahren besann sich Daniel Glauser: «Wo war ich wirklich glücklich?» Er erinnerte sich an sein Jahr in Kanada und wollte den Weg zurück in die Natur wiederfinden. Er suchte nach einer entsprechenden Möglichkeit.
Bei einem Spaziergang über den Berner Hausberg Gurten mit Blick hinunter ins Aaretal, wo er auch die Bodenackerfähre erahnte, traf ihn die Erkenntnis wie ein Blitz: «Fährmann – das ist es!» Er wusste, dass sich der amtierende Fährmann in Kürze pensionieren lassen würde. So absolvierte er die nötigen Schifffahrtsprüfungen und wurde von der Gemeinde Muri 2018 als neuer Fährmann in einem fünfköpfigen Team angestellt. Seine Erwartungen hätten sich erfüllt, sagt Daniel Glauser: «Es passt alles. Ich mag die Begegnungen und Gespräche mit so vielen unterschiedlichen Menschen. Ich mag die Arbeit in der Natur und im Wechsel der Jahreszeiten. Kein Tag gleicht dem anderen.»
Manchmal hält er die Fähre auch bewusst an
Daniel Glauser ist Kapitän, Matrose und Schatzmeister in einem. Zwei Franken kostet die Überfahrt für eine erwachsene Person, einen Franken für Kinder, Hunde und Velos. Daniel Glauser kennt viele seiner Gäste. Er weiss, wer gerne redet und wem die Stille lieber ist. Wenn er spürt, dass jemand auf dem Wasser Trost sucht, dann hält er die Fähre auch mal in der Mitte des Flusses an und hofft auf seine wohltuende Wirkung. Doch es gibt auch Tage, da bleibt zum Philosophieren keine Zeit. Wenn an einem schönen Sonntag gegen 800 Personen übersetzen wollen, ist das 16-Passagier-Schiff pausenlos im Einsatz. Dann ist der Fährmann besonders gefordert – auch wegen der zahlreichen Schwimmerinnen und Schwimmer und der vielen Schlauchboote.
Während eines Jahres, von Juni 2018 bis Juni 2019, hielt Daniel Glauser seine Begegnungen und Erlebnisse, technische Mess- und Wetterdaten in seinem Blog faehrima.ch fest. Daraus entstand das Buch «Aare – Logbuch eines Fährmanns». Immer wieder verlässt er darin den Mikrokosmos der Fähre, fragt nach ihrer Bedeutung früher und heute oder taucht in die Legenden um die grüne Aare ein. Für ihn ist der Beruf des Fährmanns etwas Besonderes. Er weiss um seine mythologische Bedeutung, die weit in die Antike zurückreicht: «In seltenen Momenten scheint auf einmal etwas Grösseres als das irdische Leben über der Fähre zu schweben. Gerade so, als würde kurz eine Seele aus dem Hades dem Gast zuzwinkern und lächeln.»
Buch: Daniel Glauser: «Aare – Logbuch eines Fährmanns.» Buchverlag Lokwort, Bern 2021, 174 S., ca. CHF 34.–. faehrima.ch, faehribeizli.ch.
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