© Martina Meier

«Ich passte nicht in die Nette-Mädchen-Schublade»

Zum Glück. Denn brave Mädchen kommen ja bekanntlich in den Himmel. Unkonventionelle Frauen wie Vera Kaa kommen in die Hitparade, an den Frauenstreik und zum Trennungstherapeuten – viel interessanter als im Paradies!

Interview: Claudia Senn; Fotos: Martina Meier

Von Vera Kaa kann man lernen, was den wenigsten gelingt: sich nach einer Trennung mit dem Ex-Partner auszusöhnen und die gescheiterte Liebe in eine Freundschaft zu verwandeln. Während des Interviews in Kaas gemütlichem Einfamilienhaus in Zürich-Wollishofen taucht nicht nur ihr jetziger Partner David auf, ein Psychotherapeut, der unter demselben Dach praktiziert. Sondern auch ihr Ex-Mann Greg, Vater von Kaas zwei erwachsenen Kindern und wichtigster musikalischer Komplize. Nach dem Gespräch kocht Greg für alle Tortelloni. Das Konzept Patchworkfamilie – es funktioniert also doch!

Vera Kaa, eigentlich Kaeslin, war in den frühen 1980ern blitzberühmt, als sie mit ihrem Debüt-Album «Das macht dich frisch» die ersten Wogen der Neuen Deutschen Welle ritt. Später experimentierte sie mit nahezu allen Genres, sang Punkrock, Chansons, Brecht-Lieder, Soul und Blues. Die heute 63-Jährige ist eine Frau von angenehmer Direktheit, die ganz unschweizerisch sagt, was sie denkt. 1990 wäre sie fast Politikerin geworden. Eine Rolle, in der sie entweder fulminant reüssiert hätte oder krachend gescheitert wäre. In den gemässigten Breiten der schweizerischen Kommunalpolitik kann man sich eine so fadengerade Frau jedenfalls schlecht vorstellen.

Vera Kaa, in der Kindheit und Jugend vieler Menschen gibt es Figuren, die besonders wichtig sind, manchmal sogar prägender als die eigenen Eltern. Gab es so jemanden auch bei Ihnen?
Meine Grossmutter väterlicherseits.

Welche Rolle spielte sie in Ihrem Leben?
Mein Grosi stammte aus einer Musikerdynastie im Muotatal. Georg-Anton Langenegger, genannt Egg-Basch – ihr Onkel, mein Urgrossonkel – hatte die «Muotataler Tänze» komponiert, er war in der Volksmusik eine grosse Nummer. Der Vater meines Grosis soll ein griechischer Musiker gewesen sein, der einst durchs Muotatal zog und meine Urgrossmutter schwängerte. Doch darüber wird in der Familie nur hinter vorgehaltener Hand gemunkelt. Meine Grossmutter führte die Pension «Seeblick» in Beckenried, der Grossvater war schon früh gestorben. Sonntags strömten von überall her Musiker in ihre Stube und spielten miteinander. Ich sass unter dem Rock meines Grosis und lauschte den Rhythmen und Klängen. Die Stimmung war wie verzaubert, ausgelassen, fröhlich. Das hat mich tief geprägt.

Vera Kaa beim Interview in ihrer Wohnung.
© Martina Meier

Sie konnten also gar nicht anders, als Musikerin zu werden.
Es lag auf der Hand, ja. Meine Grossmutter behauptete sogar, sie habe schon beim ersten Blick auf mich in meiner Wiege erkannt, dass ich die musikalische Tradition der Familie fortführen würde.

Mit 21 waren Sie bereits ein Star. Wie sind Sie mit diesem frühen Erfolg zurechtgekommen?
Er kam unerwartet und letztlich auch ungewollt. Unser Schlagzeuger, Hans «Haurein» Hanneken, hatte vorgeschlagen, auf Hochdeutsch zu singen, weil er selbst Deutscher ist und es da gerade losging mit der Neuen Deutschen Welle. Dass unser erstes Album über Nacht so ein gigantischer Erfolg wurde, hat uns jedoch alle überrascht. Wir gewannen sogar den Deutschen Phono-Akademie-Preis.

Und das, obwohl Ihnen der Preis als Schweizer Band gar nicht zugestanden hätte.
Ich sang ein so akzentfreies Deutsch, dass die Akademie uns irrtümlich für Deutsche hielt. Wir tuckerten mit einem klapprigen, alten Büschen nach Hamburg, um den Preis abzuholen, und da waren die Plattenläden von oben bis unten mit meinem Konterfei zugepflastert. Das hat uns völlig überrollt.

Ist es gesund, in so jungen Jahren von jedem gesagt zu bekommen, man sei etwas ganz Besonderes?
Mich hat es überfordert. Ich konnte mit dem ganzen Glamour überhaupt nichts anfangen. Ich trug zwar gern Miniröcke und schminkte mich, aber nur für mich selbst. Wehe, das wurde von mir erwartet! Dann konnte ich bockig werden. Mich konnte man nicht in die Nette-Mädchen-Schublade stecken wie Nena mit ihren «99 Luftballons».

«Mein Grosi hat mir beigebracht, Stellung zu beziehen.»

War die Lust am Widerspruch auch ein Erbe Ihrer Grossmutter?
Durchaus, ja. Während des Zweiten Weltkriegs stellte sie sich in Beckenried auf den Dorfbrunnen und schimpfte gegen Hitler. Sie hat mir beigebracht, wie wichtig es ist, Stellung zu beziehen, auch wenn das nicht immer bei allen gut ankommt.

Wie lange hielt sich die Vera Kaa Band an der Spitze?
Vielleicht eineinhalb Jahre, dann ging es rasant bergab. Ich zerstritt mich mit der Plattenfirma, weil die uns übel über den Tisch zog. Plötzlich war ich auf jedem Neue-Deutsche- Welle-Sampler drauf, doch uns speiste man mit ein paar lausigen Hundertern ab. Irgendwann reichte es mir, und ich stieg aus – um 1986 mit etwas völlig anderem wieder anzufangen: mit Seemannsliedern.

Interviewbild mit Vera Kaa. Sie sitzt in ihrer Wohnung an einem Holztisch, darauf eine Vase mit rosa Tulpen. Sie lächelt und hält die gefalteten Hände vors Gesicht.
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Die 80er-Jahre waren eine sorglose Zeit. Es herrschte Hochkonjunktur, das Wort Arbeitslosigkeit kam im Wortschatz der Jugend gar nicht vor. In besetzten Häusern und illegalen Bars wurde damals der Boden bereitet für Zürichs Partykultur, die bald darauf Weltruf erlangen sollte. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Ich habe im Sedel den Laden geschmissen, dem Luzerner Äquivalent zur Roten Fabrik in Zürich. Früher wurde er als Gefängnis genutzt, in den 80er-Jahren haben ihn dann junge Musikerinnen und Musiker als Kulturort für sich erobert. Wir sind für unsere Anliegen auf die Strasse gegangen. Einmal sang ich auf einer Anti-AKW-Demo, als die Bühne von der Polizei mit Tränengas eingenebelt wurde. Franz Hohler stellte sich schützend vor mich und spülte mir die Augen aus. Das werde ich ihm nie vergessen.

1987 heirateten Sie den Musiker Rams. Sie beide galten als das Power Couple des Schweizer Punkrock. Wie lange hielt die Ehe?
Nicht sehr lange. Rams war nicht der Treuste und verliess mich nach sieben Jahren. Natürlich war mein Herz erst einmal gebrochen, doch wir waren jung und auf dem Sprung. Ich litt zwei, drei Monate fürchterlich. Danach rappelte ich mich wieder auf, und Greg Galli trat in mein Leben.

Sind Sie ein Stehaufmännchen, pardon, -frauchen, oder wie nennt man das heute politisch korrekt?
Das Gendern nimmt ja immer absurdere Formen an! Stehauffrauchen ist gerade noch okay, aber Gästinnen oder Mitgliederinnen, nein, da hörts bei mir auf. Ich bin ein toleranter Mensch. Mir war schon immer egal, welche sexuellen Präferenzen jemand hat. Schwul, lesbisch, bi, transgender – soll mir alles recht sein. Auch kränkende Wörter wie dämlich verwende ich nicht mehr. Aber diese Sprachverhunzung geht zu weit.

Einigen wir uns darauf, dass Sie eine resiliente Person zu sein scheinen. Denn auch die Beziehung mit Greg Galli ging auseinander, als ihr jüngerer Sohn gerade einmal drei Monate alt war, und trotzdem sind Sie bis heute eng miteinander befreundet.
Leicht war die Trennung nicht. Sie hat damals grosse Ängste bei mir ausgelöst. Wir haben hart miteinander gerungen und können bis heute heftig aneinandergeraten. Aber wir wollten die Kinder unbedingt weiterhin gemeinsam aufziehen und Musik machen. Mit Hilfe einer Trennungstherapie ist uns das auch gelungen. Greg und ich haben seit vielen Jahren neue Partner, die viel besser zu uns passen und die auch untereinander gut miteinander auskommen.

Wie haben die Kinder die Trennung aufgenommen?
Es war für sie bald ganz selbstverständlich, dass sie zwei Papas haben. (Steht auf und hängt ein gerahmtes Kinderbild im Wohnzimmer ab.) Schauen Sie, so hat der Kleinere uns als Familie immer gemalt: Mama, Papa, zweiter Papa und zwei Kinder. Das Zusammenleben in so einer Patchworkfamilie klappt nur, wenn die Erwachsenen den maximalen Effort leisten, um die alten Konflikte hinter sich zu lassen. Heute sind unsere Söhne 29 und 21 Jahre alt. Der ältere ist ein talentierter Schlagzeuger und Perkussionist, der jüngere ein grossartiger Sänger. Wir machen oft zusammen Musik und haben sogar eine eigene Familienband.

«Wenns mit mir zu Ende geht, soll da kein Groll sein.»

Welches ist die wichtigste Lektion, die Sie Ihren Kindern beigebracht haben?
Dass die Welt nicht untergeht, wenn man sich mal verkracht. Und dass es an uns selbst liegt, wieder Frieden zu schaffen und im eigenen Leben aufzuräumen. In alten Konflikten festzustecken und sich als Opfer zu fühlen, wäre das Einfachste überhaupt, doch Selbstmitleid bringt einen nicht weiter. Wenns mit mir zu Ende geht, soll da kein Groll mehr sein, der mich bis aufs Sterbebett verfolgt.

In den 80er- und 90er-Jahren war die Popmusik noch sehr männerdominiert. Wie haben Sie sich als junge Frau durchgesetzt?
Ich war oft mit Neid und Eifersucht konfrontiert – aber von Frauen. Mit Männern hatte ich wenig Probleme. Meine Musiker schätzten mich. Als Front-Frau war ich ja auch die Chefin, wenn man so will. 1986 probierte ich es mal mit Theater. Obwohl ich keine Ahnung vom Metier hatte, bekam ich gleich die Hauptrolle im «Rasenden Roland» am Luzerner Stadttheater. Das haben einige gar nicht vertragen. Neid und Missgunst gingen so weit, dass mich die Garderobiere absichtlich mit einer Stecknadel piekste, als sie mein Kostüm absteckte.

«In Küssnacht am Rigi verboten die Männer den Frauen, an mein Konzert zu gehen.»

1990 haben Sie sich von der Alternativen Liste als Kantonsratskandidatin aufstellen lassen. Waren Sie enttäuscht oder vielmehr erleichtert, als Sie nicht gewählt wurden?
Ich hatte mich aufstellen lassen, um ein Statement zu setzen und meine Freunde zu unterstützen. Und ich bekam auch tatsächlich viele Stimmen, sodass ich fast Angst kriegte, ich würde gewählt. Zum Glück reichte es dann doch nicht. Ich hätte mich im Kantonsrat zwar irgendwie durchgewurschtelt, aber ich bin ja Musikerin, keine Politikerin.

Portrait einer lachenden Vera Kaa mit grünem Schal, in einem Holzstuhl sitzend. Im Hintergrund ist ihre Wohnung mit einem alten Mühlerad zu sehen.
© Martina Meier

Zum ersten Frauenstreik 1991 schrieben Sie gemeinsam mit Ihrer Freundin Birgitta Willmann die Hymne «Rien ne va plus – Wenn die Frau will, dann steht alles still». Ein veritabler Demo-Hit!
Der Song lief überall, doch nach dem Frauenstreik bekam ich fast keine Engagements für Galas mehr. Ich galt jetzt als Aufwieglerin und Emanze. In Küssnacht am Rigi verboten die Männer den Frauen sogar, an mein Konzert zu gehen.

Im Ernst?
Ja, so erzählte es mir der Veranstalter. Zum Glück sind wir seither ein Stück weitergekommen. Den zweiten Frauenstreik im Jahr 2019 zähle ich zu den ganz grossen Highlights meines Lebens. So eine Zusammengehörigkeit! So ein Wir-Gefühl! Neben mir war eine alte Frau im Rollstuhl, den ihr Sohn schob. Sie trug ein Plakat mit der Aufschrift «Jahrgang 1929. Es eilt!» Das hat mich sehr berührt. Ich bekomme jetzt noch Gänsehaut, wenn ich davon erzähle.

Wie blicken Sie heute auf Ihr Leben zurück? Gibt es Dinge, die Sie bereuen?
In der Musik konnte ich sehr sensibel sein. Anderen Menschen gegenüber war ich es nicht immer. Manchmal verletzte ich jemanden, indem ich ihn verbal überfuhr oder ignorierte. Das tut mir heute leid. Ich bereue auch, dass ich mich nicht gut genug um mich selbst gekümmert habe. Mit 40 streckte mich ein Burn-out nieder, von dem ich mich ein ganzes Jahr lang nicht erholte. Da war Schluss mit der Illusion, alles schaffen zu können und keine Schwäche zeigen zu dürfen. Diesen Preis möchte ich nicht noch einmal zahlen. 


  • Vera Kaas Familienband ist unter dem Namen GallXi auf Spotify und Youtube zu hören. Die Mutter nimmt sich als Backgroundsängerin zurück und überlässt den Leadgesang den kräftigen Soulstimmen der männlichen Familienmitglieder.

Im Video «Fünf Fragen an» erfahren Sie von Vera Kaa, womit sie ihr erstes Geld verdiente und worüber sie stundenlang erzählen kann.

Beitrag vom 11.04.2023