© Bernard van Dierendonck

«Ein Hit ist auch Glückssache»

Alex Eugster schrieb fürs Trio Eugster einige der grössten Hits der Schweizer Volksmusik. Der knapp 85-jährige Zürcher war als Klavierstimmer, Sänger, Musiker und Produzent ein Leben lang von Melodien umgeben – mit Folgen für sein Hörverhalten.

Interview: Fabian Rottmeier, Foto: Bernard van Dierendonck

Menschen machen aus verschiedensten Gründen Musik. Welches war Ihr Antrieb?
Das Singen hat mich zur Musik gedrängt. Unser Vater war ein urchiger Appenzeller, dessen Liebe zum Gesang uns geprägt hat. Auch unsere Mutter war sehr musikalisch. Ich wollte immer singen und träumte als junger Mann von einem erfolgreichen Trio mit meinen Brüdern. Diesen Wunsch habe ich so lange forciert, bis er Realität wurde. Ich hatte früh bemerkt, wie wir die Leute mit unserem Gesang begeistern können. Unterhaltung war dabei aber immer wichtiger als die Musik. Es gibt nichts Schöneres, als das Publikum zum Lachen zu bringen.

Wofür steht das Trio Eugster für Sie heute?
Für Präzision und einen stimmigen Sound. Wenn heute ein Lied von uns gespielt wird, so staune ich, wie rasch man unseren Stil erkennt. «So schlecht waren wir ja gar nicht!», denke ich dann. Bei den meisten Songs würde ich auch heute nichts ändern. Wohl auch deshalb haben  viele unserer Hits wie «Oh läck du mir!» einen so langen Atem.

Was bedeutete es, auf einen Schlag so viel zu verdienen?
Vor «Oh läck du mir!» hatten wir etwa einen Auftritt pro Woche. Dann erschien diese Single, und es hät klöpft! Wir konnten unsere Berufe aufgeben. Ich war schon 33 Jahre alt, verheiratet und hatte zwei Kinder. Ich bezahlte dank dieses Hits im darauffolgenden Jahr so viel Steuern, wie ich im Jahr davor insgesamt verdient hatte! Das war durchaus angenehm und auch eine Genugtuung. Ich kaufte mir damit das Grundstück, auf dem ich noch heute lebe.

«Wir sind mausarm aufgewachsen, teilten uns die Betten und waren es gewohnt, uns alles selber zu erschaffen.»

Einige warfen Ihrem Trio vor, bloss des Geldes wegen zu singen.
Das war nie unsere Motivation. Konnte es auch gar nicht sein, denn einen Hit zu landen, ist auch Glückssache. Wir sind mausarm aufgewachsen, teilten uns die Betten und waren es gewohnt, uns alles selber zu erschaffen. Auch bei Anfragen von Organisationen, hinter denen wir stehen konnten, verlangten wir keine Entschädigung. Wir halfen gerne. Etwa der Stiftung Schweizer Sporthilfe mit dem Lied «Jetzt mues de Buuch weg» oder mit «S’ Ankebälleli» als Unterstützung, um den Schweizer Butterberg abzubauen. Für 25 eingesandte Buttermödeli-Folien erhielt man die entsprechende Single. Das Lied ist noch heute eines meiner liebsten.

Ihre grössten Hits bilden nun das Herzstück des Musicals «Oh läck du mir!», das im September in Zürich startet. Eine Überraschung?
Es hatte sich im Vorfeld etwas abgezeichnet. Da ich mit Drehbuchautor Charles Lewinsky befreundet bin, wusste ich, dass er gerne mit unseren Melodien etwas auf die Beine stellen möchte. Daraus ist ein grosses Projekt entstanden, an dem ich mich jedoch altersbedingt nicht beteiligen wollte. Charles hat jeden Songtext an die Handlung adaptiert. Ich bin gespannt auf das Ergebnis.

Sie sind gelernter Klavierstimmer und -bauer. Weshalb waren Sie mit 17 von diesem Beruf so angetan?
Das Instrument hat mich schon als kleiner Bub fasziniert. Ich schaute mir alles genau an, öffnete den Korpus, berührte die Saiten, bediente das Fusspedal. Bald begleitete ich meine Mutter an der Handorgel. Einer meiner Onkel war Klavierstimmer und -reparateur, so konnte ich ihm über die Schulter schauen. Er riet mir aus finanziellen Gründen vom Beruf ab. Ich trat die Lehre trotzdem an und machte mich später selbstständig. Durch den Wiederverkauf von reparierten Klavieren kam ich über die Runden.

Was ist die Kunst dieses Berufs?
Ein geschultes Ohr. Aber: Das absolute Musikgehör ist nicht erwünscht.

Weshalb?
Weil man das Klavier je nach Modell und Alter etwas höher oder tiefer stimmen muss als eigentlich vorgesehen. Mit dem absoluten Gehör klappt das nicht. Ein feines Musikgehör ist aber gefragt. Das ist erlernbar. Es geht darum, Schwingungen zu hören und so lange zu stimmen, bis diese rein sind. Zudem braucht es viel Übung beim Setzen des Stimmnagels, der etwa 80 Kilo Zug auf jede der drei Saiten eines Tones ausübt. Auf einem gesamten Klavier wirken 21 Tonnen Zug auf den Saiten. Deshalb auch die vielen Metallplatten. Man muss den Nagel präzise im Holz setzen, sonst verstimmt sich die Saite rasch wieder. Dies erfordert jahrelange Übung. Beim Trio Eugster witzelte ich stets, dass ich deshalb der Schlankste sei, weil ich vor den Auftritten oft am Klavierstimmen war, wenn die anderen zum Abendessen gingen.

«Ich bin ein fröhlicher Mensch. Aber wenn es um präzise Töne geht, kann ich pedantisch sein.»

Und was machen Sie, wenn Sie selbst verstimmt sind?
Dagegen hilft meist ein Glas Rotwein. Ich geniesse es, im Sommer spätabends draussen zu sitzen und mir einen Schlummertrunk zu gönnen. Tagsüber trinke ich nur ausnahmsweise Alkohol. Meine Mutter hatte stets befürchtet, ich könnte in die Fussstapfen meines Vaters treten, der in jungen Jahren trank.

Sie schauen auch gerne mal zu tief ins Glas, wie Sie in früheren Interviews verrieten. Wurde Alkohol nie zum Problem?
Nein, denn diese Abstürze, wie ich sie nenne, blieben immer bewusste Ausnahmen. Ich geniesse solche Abende zu Hause und zelebriere das Weintrinken dann auch etwas. Und am Ende zeigen mir dann meine Frau oder meine Tochter den Weg ins Schlafzimmer. (lacht) Wenn wir für Konzerte unterwegs waren, verzichteten wir strikt auf Alkohol. Wir traten auch immer nach allen Auftritten die Heimreise an.

Waren Sie mit Ihrem Berufswissen ein angenehmer Partner, wenn es ums Singen geht?
Ich bin ein fröhlicher Mensch. Aber wenn es um präzise Töne geht, kann ich pedantisch sein. Zu Beginn sangen wir ja noch als Quartett – mit unserem vierten Bruder. Seine gesanglichen Defizite sorgten oft für Lämpe – bis er es selbst einsah und aufhörte. Wir wären sonst wohl nie erfolgreich geworden.

© Bernard van Dierendonck

Ein Leben lang Musik im Ohr

Alex Eugster, geboren 1937, wuchs in Wollerau und Dübendorf im Kanton Zürich auf. Sonntags spielte seine Schwester auf Grossmutters Klavier – und Alex und seine vier Geschwister sangen dazu ein einstudiertes Lied. Mit 17 Jahren begann er eine Lehre als Klavierstimmer und bildete sich zum Klavierbauer weiter. Später gehörte er als Leichtathlet mit 10,8 Sekunden über 100 Meter zum Sprint-Staffel-Nationalkader. 1963 gründete er mit seinen Brüdern Vic und Guido das Trio Eugster, eine Volksmusik- und Schlagerformation. 1970 landeten die Brüder mit «Oh läck du mir!» den ersten Hit – viele weitere folgten. Um ihre Musik besser zu vertreiben, gründeten sie 1971 die Eugster Musikproduktionen AG. 1981 trat das Trio Eugster ab (bis zu einem kurzen Comeback 1997) und moderierte drei Jahre lang die Fernsehsendung «Iischtige bitte». Alex Eugster wirkte als Musikproduzent und Songschreiber weiter – bis 2017. Er erhielt 2007 die Schweizer Volksmusik-Auszeichnung des Goldenen Violinschlüssels. Alex Eugster ist seit 59 Jahren mit Josy Eugster verheiratet. Die beiden wurden in den 60ern zweifache Eltern, leben in Fällanden am Greifensee und sind ein eingespieltes Curling-Mixed-Paar (das in den 90ern an den Schweizer Meisterschaften einmal die Bronzemedaille gewann).

Seit einem Hörsturz 2019 hören Sie auf Ihrem rechten Ohr einen halben Ton tiefer. Kann man da überhaupt noch singen?
Ja, problemlos. Das Gehirn hat offenbar gelernt, dies auszugleichen. Ich singe noch immer im Chorus Crescendo Fällanden, den ich 1991 gegründet habe. Auch beim Hören ergibt sich keine Diskrepanz. Nur wenn ich ein Ohr zuhalte, merke ich einen Unterschied. Der Hörsturz stört also nur selten. Beim Musikhören habe ich somit ebenfalls keine Einschränkung.

Dabei tun Sie das gar nicht so gern.
Ja, das war schon früher so. Ich höre selten Musik. Es hat wohl damit zu tun, dass Musik meinen Alltag ausgefüllt hat. Bis vor fünf Jahren produzierte ich in meinem Studio für viele Chöre, Jodelklubs und Interpreten deren Lieder. Zu Hause ist mein Musikbedürfnis bis heute erschöpft. So schaue ich lieber Sport am Fernsehen. Für meine Frau etwas zu oft.

War Ihnen die harmoniebetonte Eugster-Liederwelt nie zu eintönig?
Nein. Wir hatten ja lange noch unsere Berufe, die wir ausübten. Später bot unsere eigene Plattenfirma zusätzliche Abwechslung. Ich komponierte und produzierte Musik für andere. Mein erster Kunde war Walter Roderer. Ebenfalls erwähnen möchte ich die Zusammenarbeit mit dem Kirchenmusiker Emil Endres. Daraus resultierte etwa 1978 eine Weihnachtsplatte mit Musikerinnen und Musikern des Zürcher Tonhalle-Orchesters. Für mich die beste Platte, die wir je gemacht haben.

Ansonsten fallen die Liedtexte des Trio Eugsters durch ihren Humor auf.
Das entsprach unserem Naturell am besten. Schon als Knirpse machten wir immer gerne dä Löli – zum Ärger unserer Mutter. Guido brachte später den Saal schon beim Betreten der Bühne zum Lachen. Die Liedtexte verfassten befreundete Sprachkünstler, meistens Fredy Lienhard und Max Rüeger. Wir passten höchstens noch einzelne Zeilen an. Natürlich waren die Schreiber und ich nicht immer gleicher Meinung, etwa bei «Ganz de Bappe». Ich wollte aber, dass alles nach uns klang – nach Schlagermusik und nicht nach Cabaret.

Interviewbild mit Alex Eugster. Im Hintergrund ist der Greifensee zu sehen.
© Bernard van Dierendonck

«Der Tod kommt ohnehin. Er ist eine Tatsache. Wir befinden uns alle auf dem Heimweg.»

Wie sehr kam Ihnen später die Rolle als Musikproduzent entgegen, nachdem Sie lange im Rampenlicht gestanden waren? Sie hörten erst mit 80 damit auf.
Ich blühte regelrecht auf dabei. Viele lobten mich für meine Geduld als Tonmeister. Als Künstler wusste ich: Die Basis für eine gelungene Aufnahme ist eine entspannte Studioatmosphäre. Je nervöser oder genervter ich als Produzent agiere, desto schlechter wird das Ergebnis. Zudem konnte ich dank meiner Gesangsausbildung hie und da weiterhelfen, wenn es an einer Stelle harzte – obwohl ich alles andere als der geborene Lehrertyp bin. Meine kleine Enkelin meinte kürzlich, sie würde gerne Klavierstunden nehmen … aber nicht bei Opa. (lacht)

Vergangenes Jahr ist Guido als Erster des Trios verstorben. Ist es seltsam, wenn Sie und Vic sich nun zu zweit treffen?
Vor kurzem sagte ich zu ihm: «Verrückt: Nun leben aus unserer achtköpfigen Familie nur noch wir beiden Löli.» Wir hatten Guido bis zum Schluss zu Hause begleitet. Lange wollten wir nicht wahrhaben, dass er bald sterben würde. Er liess sich nicht viel anmerken. Über den Tod haben wir nicht gross diskutiert. Wir wurden katholisch erzogen, der Tod hatte schon immer zu unserem Alltag gehört. Wir sprachen eher über den heutigen Glauben und den Klerus. Im Alter verändern sich gewisse Ansichten zu diesem Thema. Der Tod hingegen, der kommt ohnehin. Er ist eine Tatsache. Wir befinden uns alle auf dem Heimweg.

Ist das auch die Haltung, mit der Guido die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs aufnahm?
Vielleicht zu Beginn, ja. Wir sassen stundenlang mit ihm am Tisch, manchmal lange fast wortlos. Die Frage nach Schmerzen oder Hunger verneinte er kategorisch. Einzig die Frage, ob er sich hinlegen möchte, bejahte er. In der letzten Phase vor seinem Tod ist er verstummt und sinnierte weder über sein Leben noch über unsere Karriere. Das hat mich berührt und nachdenklich gestimmt. Ich hatte etwas anderes erwartet.

Wie war der Zusammenhalt unter den Trio-Brüdern?
Er hatte etwas Selbstverständliches. Wir fuhren jahrelang viermal wöchentlich zu unseren Auftritten und erlebten unzählige schöne Momente zusammen. Wir wussten selbst nicht so recht, warum es mit uns so gut funktionierte, schliesslich waren wir sehr unterschiedlich. Ich war nicht der Pflegeleichteste. Hie und da sagten wir uns gehörig die Meinung. Doch wir waren nie nachtragend, da wir uns die Streitereien von früher gewohnt waren. Unsere Bindung war sehr eng.


  • Im Video «5 Fragen an …» erfahren Sie, womit Alex Eugster sein erstes Geld verdient hat, was zu seinem Alltag dazugehört und welche Charaktereigenschaft ihm als Musiker besonders wichtig ist. Jetzt anschauen auf zeitlupe.ch/5-fragen
  • «Oh läck du mir! – Ein Schweizer Musical» mit den bekanntesten Trio-Eugster-Songs, u.a. mit Susanne Kunz und Viola Tami, 22. September bis 30. Oktober 2022, Theater 11, Zürich. Infos und Tickets: ohlaeckdumir.ch oder Ticketcorner, ticketcorner.ch, Telefon 0900 800 800 (CHF 1.19/Min.)

Beitrag vom 16.08.2022