Henri III: Ein fast vergessener König
Wer war Henri III, der letzte französische König aus dem Hause Valois? Der ehemalige Richter und Amateur-Historiker Richard Altherr hat einen historischen Roman über den bisher wenig bekannten Herrscher und seine turbulente Zeit verfasst.
Text: Annegret Honegger
Als Prinz beliebt, als König verhasst – und als Hauptdarsteller für einen historischen Roman ein «unentdecktes Juwel»: fast 400 Seiten stark ist Richard Altherrs Buchband über den König, dessen Herrschaft in die schwierige Epoche der Glaubenskriege zwischen Katholiken und Protestanten im Frankreich des 16. Jahrhunderts fiel.
Doch wie kommt ein ehemaliger Richter dazu, sich jahrelang mit einer Figur und einer Zeit zu beschäftigen, die blutiger und verworrener kaum sein könnte? Er habe, erklärt der 71-Jährige am Telefon, den letzten König aus dem Hause Valois aus dem Schatten seines bekannten Vorgängers Heinrich II. und seines noch berühmteren Nachfolgers Heinrich IV. ans Licht holen wollen – sei dieser doch mit seiner reichhaltigen Lebensgeschichte und seiner schwierigen Persönlichkeit eine spannende Romanfigur.
Schon als Student hätten ihn auf einer Reise ins Loire-Tal die prächtigen Schlösser und Güter der Valois fasziniert. Und den Traum, ein Buch zu schreiben, hegte der Trogener und gebürtige Zürcher schon länger. Beinahe hätte er nach dem Jus-Studium noch Geschichte und Kunstgeschichte studiert. Doch dann erklomm er schon in jungen Jahren die juristische Karriereleiter, wurde Untersuchungs-, Bezirks- und Oberrichter im Kanton Zürich. Geschichte blieb eine Liebhaberei.
Vom Richter zum Dichter
«Richter ist ein spannender Beruf», sagt Richard Altherr rückblickend, «und als Allrounder gefiel es mir, mich mit ganz verschiedenen Gebieten beschäftigen zu können.» Doch irgendwann habe er genug gehabt von Prozessen und Streitereien, genug davon, den Leuten zu sagen, was recht und richtig sei. Und es sei die Lust aufgekommen, etwas anderes und ganz anders zu schreiben als Urteile und Juristensprache.
So tauschte Richard Altherr zehn Jahre vor der Pensionierung die Beamtenexistenz gegen ein Künstlerleben. Er zog nach Herisau, eröffnete in Urnäsch eine Galerie mit Schwerpunkt Appenzeller Volkskunst und begann die Arbeit an seinem Roman über Heinrich III. Tief tauchte er in die mehrjährige Recherche ein, stöberte in Archiven und Bibliotheken. Im Frankreich des 16. Jahrhunderts bekämpften sich Katholiken und Anhänger des neuen reformierten Glaubens – die Hugenotten – erbittert. Tausende starben in den sieben Religions- und Bürgerkriegen, 3000 allein in Paris in der so genannten Bartholomäusnacht, in der es zu einem Gemetzel an den Hugenotten kam.
Vom Geschichtsbuch zum Roman
So entstand in Richard Altherrs Galerie zunächst ein Geschichtsbuch mit historisch belegten Ereignissen. In einem zweiten Schritt machte er daraus einen Roman – füllte also die Lücken im Gerüst des Geschichtsgeschehens mit dem persönlichen Erleben der Beteiligten. «Was sie dachten, fühlten und sagten, konnte ich natürlich nirgends nachlesen, sondern musste mich in die Figuren hineinversetzen», erklärt der Autor seine Methode. Er studierte Hunderte von Briefen und Tagebucheinträgen, las deren Wortlaut und zwischen den Zeilen. So wurden aus Andeutungen Szenen, aus Nebensätzen Nebenschauplätze. Stoff gab es genug am grossen französischen Hof voller Intrigen, verbotener Liebeleien und politischer Ränkespiele.
Seine Vergangenheit und Erfahrung als Richter hätten ihm beim Recherchieren und Schreiben geholfen, sagt Richard Altherr: «In komplexen Gerichtsfällen musste ich mich manchmal in drei Monaten durch 150 Bundesordner voller Akten lesen. So hatte ich Übung im Umgang mit der Fülle an historischem Material.» Auch die Schwere der Themen kannte er aus seinem früheren Beruf: «Schon als junger Richter wurde ich zu grossen Bränden und Unfällen und an die Tatorte von Morden und Selbstmorden gerufen. Das schafft Distanz.»
Opulentes Sittengemälde
«Henri III» wurde schliesslich ein umfassendes Sittengemälde, das Seuchen und Kriege, Opulenz und Dekadenz, Liebe und Triebe, Leben und Tod zeigt. Das feingliedrige, nachdenkliche Porträt auf dem Titelbild wird im Buchinneren in all seinen Facetten zum Leben erweckt. Eine Figur, die gleichzeitig fasziniert und befremdet. Etwa in ihrer masslosen Selbstbezogenheit: «Heinrich III. wurde schon als Kind verhätschelt. Er lernte früh, dass er sich alles erlauben konnte, quasi über den Gesetzen stand. Er war die Sonne, um die sich alles drehte.» Doch Richard Altherr warnt davor, die historischen Figuren fünfhundert Jahre später einfach zu verurteilen: «Schliesslich gibt es auch in unserer Zeit Machthaber und Wirtschaftsbosse, die sich für unantastbar halten.»
Selbst der Autor empfindet wenig Sympathie für seinen Romanhelden: «Die guten Zeiten, die er als Prinz und erfolgreicher junger Feldherr hatte, gingen nach seiner Krönung rasch vergessen. Sein ausschweifender Lebensstil und seine Gier nach Macht, Reichtum und Sex machten ihn zum verhassten König.» Richard Altherrs Fazit: «Zu viel Macht und Geld verdirbt die meisten. Die Moral bleibt da oft auf der Strecke.»
Und was kommt nach dem grossen Wurf? Entsteht bereits ein nächstes Buch? Ideen hätte Richard Altherr. Vielleicht ein Werk über einen englischen König … Doch erst einmal reorganisiert er seine Galerie. Und übernimmt eine neue Rolle: Er wird Grossvater. Aus seinem ersten Roman sollte er dem Enkelkind zum Einschlafen besser nicht zu früh vorlesen…
Richard Altherr: «Henri III. Der letzte Valois.» edition punktuell, Schwellbrunn 2019, ca. CHF 40.–.
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