© Jessica Prinz

«Ohne Natur kommen wir nicht aus!»

«Älter werden im Grünen» – diesem Thema hat sich Petra Hagen Hodgson unter anderem in ihren Forschungsprojekten an der ZHAW gewidmet. Sie kennt verschiedene Wohnsituationen, bei denen der Garten mitgedacht wurde und wie er das Lebensgefühl positiv beeinflusst. Wir haben sie zum Interview getroffen.

Interview und Fotos: Jessica Prinz

Petra Hagen Hodgson ist eigentlich Kunsthistorikerin und Germanistin. Über Umwege landete sie als Dozentin für Stadtentwicklung und Gartengeschichte am IUNR Institut für Umwelt und natürliche Ressourcen an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften ZHAW. Dort leitete sie viele Jahre die Forschungsgruppe Grün und Gesundheit, in deren Projekten sie häufig einen Fokus auf das Wohnen im Alter legte – insbesondere auf die Bedeutung des Wohnaussenraums.

Petra Hagen Hodgson betont, dass fast alle älteren Menschen bis ins hohe Alter am liebsten zu Hause wohnen möchten und wie wichtig es dabei ist, dass sie gleichzeitig soziale Kontakte pflegen und sich an der frischen Luft bewegen können. Ihre Arbeit und Forschung auf diesem Gebiet haben sie zu einer wichtigen Stimme in der Diskussion über die Bedeutung von Grünräumen im Alter gemacht. In Vorträgen zum Thema «Älter werden im Grünen» zeigt Petra Hagen Hodgson verschiedene Wohnsituationen, bei denen der Garten mitgedacht wurde und wie er das Lebensgefühl positiv beeinflusst, stellt ihre Forschungsprojekte vor und erläutert die Erkenntnisse.

Den Einstieg in das Thema fand sie durch ein persönliches Erlebnis: Für ihren schwerkranken Vater schaute sie sich zahlreiche Alters- und Pflegeheime an. «Damals kam die Diskussion um das Wohnen im Alter in der Architektur gerade erst auf. Die Mehrzahl der Heime fand ich ziemlich deprimierend. Der Garten spielte in keiner dieser Institutionen eine Rolle. Es lag nahe, dass ich mich intensiver mit diesem Thema auseinandersetzte. Ich war überzeugt, dass es auch andere Möglichkeiten gibt und geben müsste», erzählt die heute 67-Jährige.

Das Thema begeistert sie noch immer merklich. Denn die Wahlzürcherin beginnt ohne Einstiegsfrage zu erzählen: von den zahlreichen Architektur- und Gartenprojekten, die sie untersuchte und begleitete, den vielen qualitativen und quantitativen Befragungen älterer und alter Menschen, die sie für ihre Forschung durchführte, und den Analysen und Beobachtungen, durch die sie ihre Studierenden leitete.

Petra Hagen Hodgson, wenn man Ihnen zuhört, merkt man schnell, dass Sie einen engen Bezug zum Garten haben. Woher kommt das?
Petra Hagen Hodgson: Das ist eine gute Frage – und eine der ersten, die ich selber gerne stelle, wenn ich qualitative Befragungen in der Forschung durchführe. Ich habe festgestellt, dass das generell viel mit der eigenen Biografie zu tun hat. Ich persönlich habe im Selbstversorger-Garten meiner Grossmutter nicht nur gelernt, wie Spargel wächst oder dass selbst angebautes Obst und Gemüse besonders gut schmeckt, sondern habe auch die gute Stimmung beim Ernten erlebt. Obwohl ich lange Zeit keinen eigenen Garten hatte, blieb diese Erfahrung aus meiner Kindheit haften. In meinen Gesprächen mit älteren und alten Menschen entdeckte ich oft ähnliche Geschichten, mitunter geprägt von Erinnerungen an durchaus mühsame Gartenarbeit.

Warum sind Grünräume im Alter von Bedeutung?
Grünräume können eine wichtige Rolle für die psychische Gesundheit und für ein soziales Miteinander spielen. Sie bieten einen ungezwungenen Ort der Begegnung und des Austauschs, aber auch die Möglichkeit, sich an der frischen Luft zu bewegen und aktiv zu sein, was gerade im Alter wichtig ist. Im Grünen lässt sich vieles beobachten und erleben. In meiner Forschungstätigkeit habe ich Gespräche mit einer Dame geführt, die 101 Jahre alt geworden ist. Sie konnte nur noch an Krücken laufen, kam aber jeden Tag via Treppenlift aus ihrer Wohnung im ersten Stock in den Garten hinunter zu ihrem Gemüsegarten, den sie zusammen mit ihrer Tochter bewirtschaftete. Für sie gehörte das einfach dazu. Es war eine sinnvolle Tätigkeit. Sich an der frischen Luft bewegen, sich bücken, Beeren pflücken und Freude daran haben: Allein dadurch wird man natürlich nicht glücklich und gesund. Aber dieser Aspekt kann wesentlich zum eigenen Wohlbefinden beitragen – insbesondere, wenn man den Garten nicht alleine nutzt.

Schon aus der Gartentherapie ist bekannt, dass man eher gewillt ist, Schmerzen auszuhalten, wenn es mit Gärtnern zu tun hat.
Ja, das ist tatsächlich so und seit den späten 1980er-Jahren weiss man, dass Patientinnen und Patienten schneller gesund werden und weniger Medikamente brauchen, wenn sie vom Krankenhausbett ins Grüne blicken statt auf eine Betonwand. Es sind also nicht nur soziale Vorteile, die ein Garten mit sich bringt, sondern auch physisch-gesundheitliche Aspekte. Verlässt man die eigene Wohnung, um in den Garten zu gehen, weil es dort schön ist, hat das positive Effekte auf das Wohlbefinden. Da kann man sich hinsetzen, auch alleine. Der Garten kann ein Ort des Austauschs sein, aber man muss keinesfalls immer alles mit anderen zusammen machen!

Über den Garten allein wird man nicht glücklich und gesund. Aber er kann wesentlich zum eigenen Wohlbefinden beitragen.

Petra Hagen Hodgson

Die Arbeit im Garten birgt aber auch ein grosses Frustrationspotential.
Das stimmt, das muss man gar nicht beschönigen – die Gartenarbeit kann auch sehr frustrierend sein. Da gibt man sich die grösste Mühe und am Ende fressen die Schnecken alles weg. Manchmal will eben nichts gelingen.

Glauben Sie, es ist ein urmenschliches Bedürfnis, dass wir den Garten in unserem Leben brauchen?
Es ist auf jeden Fall urmenschlich, dass wir Nahrung brauchen. Wir sind Teil der Natur und ernähren uns von ihr. Eigentlich sollten wir uns viel stärker mit ihr auseinandersetzen und mehr Respekt für sie empfinden. Der englische Philosoph David Cooper hat auf philosophischer Ebene untersucht, was uns ein Garten gibt und was er uns an Tugenden abverlangt. So lehrt uns ein Garten, Sorgfalt zu üben, er gibt uns Rhythmus und Struktur durch die wiederkehrenden Arbeiten, er verlangt nach Demut, wenn etwa nicht alles gelingt, Respekt und dergleichen mehr. Ohne Natur kommen wir nicht aus, ganz einfach.

Warum, glauben Sie, wird die Bedeutung von Grünräumen im Baugeschehen und der Architektur dennoch oft vernachlässigt?
Letztendlich ist es vor allem eine ökonomische Entscheidung. Grünräume sind im Baugeschehen die labilsten Elemente. Aber es liegt sicher auch daran, dass heute die Mehrzahl der Architekten eher wenig Wissen über Gartengestaltung und überhaupt Pflanzenverwendung haben. Früher war es selbstverständlich, dass man Haus und Garten zusammen dachte und dass Gartengestaltung Teil des Curriculums eines Architekten war. Inzwischen wird Gartengestaltung zwar wieder ein Stück weit gelehrt, aber sie hat neben all den anderen baulichen Aspekten wie Statik und dergleichen einen schweren Stand. Bei der Villa Bleuler in Zürich beispielsweise, die Ende des 19. Jahrhunderts entstand, hat der Architekt die Grundstruktur des Gartens noch selbst entworfen.

Wie läuft das heute?
Wenn in Vermietungs- oder Verkaufsbroschüren hohe Bäume, blühende Sträucher oder lauschige Wiesen dargestellt werden, dient das vor allem Vermarktungszwecken – damit es hübsch aussieht. Gerade für Alterswohnprojekte, bei denen die unmittelbare Umgebung so wichtig ist, sollten Architekten, Landschaftsarchitekten, Biologen, Soziologen, vielleicht auch Psychologen noch enger zusammenarbeiten, um den Bedürfnissen älterer Menschen besser gerecht zu werden. Dies gilt aber auch grundsätzlich für alle Wohnprojekte. Die Mehrzahl aller älteren und alten Menschen wohnen in ganz normalen Wohnsiedlungen.

Was, wenn man nicht das Glück hat, einen eigenen Garten zu besitzen?
Da gibt es viele Möglichkeiten – es muss selbstverständlich nicht unbedingt der grosse Selbstversorgergarten sein! Man kann in seinem näheren Wohnumfeld schauen, wo es kleine Ecken oder Nischen gibt, wo man sich gerne aufhält. Mit Studierenden habe ich über mehrere Jahre an einem grossen Projekt gearbeitet, bei dem es um Orte der Ruhe in der Stadt ging und für das zahlreiche Leute danach befragt wurden, wo sie sich gerne aufhalten. Meist sind es Orte, die ein bisschen geschützt sind und wo eine gewisse Ruhe möglich ist, an denen aber trotzdem andere Menschen vorbeikommen. Wenn man die eigenen Kriterien kennt und gezielt Ausschau hält in der eigenen Umgebung, findet sich bestimmt ein Plätzchen.

Wo zum Beispiel?
Das kann vielleicht ein ganz kleiner Park um die Ecke sein, wo man sich auf eine Bank setzen und die Sonne geniessen kann. Vielleicht kommt da manchmal jemand vorbei und eventuell ist es immer wieder die gleiche Person, die man mit der Zeit möglicherweise kennenlernt. Oder es gibt ein Gartenprojekt in der Nähe, bei dem man sich anschliessen kann – auch wenn man körperlich nicht mehr in der Lage ist, mitzuarbeiten. Vielleicht kann man sich auf andere Art beteiligen.

Wie genau?
Mit dem Wissen und der Erfahrung der älteren Generation. Ältere Menschen haben viel gesehen und erlebt, Ihre Erfahrungen sollten nicht einfach brach liegen bleiben. Es ist ja nicht so, dass immer nur ältere Leute Hilfe brauchen, es kann durchaus auch umgekehrt sein. Das gilt auch für den Garten beziehungsweise die Gartenarbeit. Andere zu unterstützen macht in der Regel beiden Seiten Freude – das kann abgesehen von der Gartenarbeit auch auf andere Dinge übertragen werden.

Beitrag vom 12.04.2024

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