Harry stirbt am Ende
Für Harry Rowohlt war eine Zukunft als Verlags-Chef vorgesehen. Doch er wurde Übersetzer, Kolumnist und Vorleser. Über ein Leben, frei von Erwartung und Konvention.
Text: Maximilian Jacobi

Wozu ein Buch lesen, dessen Schluss man kennt? Eine Frage, die sich stellt, wenn man die Biografie eines Toten in den Händen hält. Jene von Harry Rowohlt bildet da keine Ausnahme. Doch ein Blick in die Geschichte des berühmten Übersetzers, Vorlesers und Sprach-Akrobaten lohnt sich. Allein schon wegen der Zitate:
Als Sohn der Schauspielerin Maria Pierenkämper und des Verlegers Ernst Rowohlt träumte er angeblich vor allem von einer Sache: «Vollwaise werden.»
Als er ausschlug, die Leitung des Rowohlt-Verlags zu übernehmen: «Da ich nie jemanden umgebracht hatte, fragte ich mich, weshalb ich eigentlich lebenslänglich kriegen soll.»
Als nüchterner Spiritueller: «Ich glaube, bei uns Agnostikern strengt Gott sich mehr an. Muss Er ja auch.»
Die Lektüre lohnt sich ebenfalls, weil es das Leben eines Menschen zeigt, der sich der Fremdbestimmung widersetzt. Von Kindesbeinen an bereitet Familie Rowohlt ihren Spross auf die Übernahme des Verlags vor. Doch Harry Rowohlt zweifelt, zaudert, zerbricht fast, bevor er sich dazu durchringt, auf die Erwartungen zu pfeifen und zu «werden, was er ist».
Zwischen den knalligen Zitaten weist das Buch ab und an trockene Stellen auf. Beispielsweise, als die Intrigen innerhalb des Rowohlt-Verlags aufgearbeitet werden, die dem jungen Harry das Verlagswesen vergällen. Denn Autor Alexander Solloch nimmt die Arbeit als Biograf ernst und widmet sich ihr in erster Linie mit Akribie – und erst in zweiter auch mit Witz.
Ein Muss ist das Buch für Menschen, die Harry Rowohlt bereits kennen und lieben. Harry-Neulinge sollten ihn zuerst einmal hören, um das Interesse anzufachen. Es genügt aber schon eine Hörprobe auf Youtube, um die Frage zu wecken: Wer ist dieser Mensch, der sprechen kann wie gedruckt?
Wie erwartet endet das Buch im Jahr, in dem Harry Rowohlt an Lungenkrebs starb. Und hätte er gewusst, dass diese Biografie über ihn erscheint, hätte er wohl gesagt: «Was kann die Nachwelt mir bleiben? Sie erraten es: gestohlen.»
Harry Rowohlt
Geboren 1945 in Hamburg, verbrachte er seine Kindheit in Hamburg, Wiesbaden und Zürich. Nach einer Lehre und diversen Volontariaten in Verlagen brach er mit seinem Erbe und wurde Übersetzer, statt Chef des Rowohlt-Verlags. Er erarbeitete sich den Ruf eines talentierten Übersetzers. Später begann er zudem, sich als Kolumnist, Vorleser und Hörbuchsprecher zu betätigen. Bekannt wurde er einem breiten Publikum vor allem als «Penner Harry» in der Fernseh-Serie Lindenstrasse. 2015 starb Harry Rowohlt in seiner Heimatstadt Hamburg.
Alexander Solloch: Harry Rowohlt, Ein freies Leben. Kein & Aber 2025, 320 Seiten, ca. CHF 26.–
Lektüre für Harry-Fortgeschrittene:
- A. A. Mile: Pu der Bär, übersetzt von Harry Rowohlt. Dressler Verlag 2009, 336 Seiten, ca. CHF 28.
- Harry Rowohlt: Pooh’s Corner, Kein & Aber 2015, 980 Seiten, ca. CHF 60.